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27. Juli 2009
Christina Mohr
für satt.org

Musikbuchsommer 2009, Ausgabe I

Die Musikredaktion empfiehlt in loser Reihenfolge Bücher rund um – genau! – Musik. Es geht los mit Kai Havaii, Michael Jackson und Christoph Drössers Buch, das uns erklärt, warum wir alle musikalisch sind …

  Kai Havaii: Hart wie Marmelade
Kai Havaii:
Hart wie Marmelade

Aufbau Verlag
287 Seiten, € 8,95
» die-breiten.de
» aufbauverlag.de


Kai Havaii: Hart wie Marmelade

Normalerweise würde eine Empfehlung Frank Goosens, ein Buch sei „Voller Witz, Tempo und Selbstironie“ bei mir dafür sorgen, um ebendiesen Titel einen Riesenbogen zu machen. Bei Kai Havaiis Autobiografie „Hart wie Marmelade“ (Taschenbuch-Neuauflage des 2007 erschienenen Hardcovers) habe ich eine Ausnahme gemacht: Vor zwei Jahren geriet ich auf der Leipziger Buchmesse zufällig in eine Lesung des Extrabreit-Sängers und musste damals einige meiner zahlreichen Vorurteile gegenüber Havaii aufgeben. Extrabreit fand ich schon als Kind uninteressant und mackerhaft (trotz „Polizisten“), in den letzten Jahren sowieso indiskutabel, Havaii war für mich ein überdrehter Gockel mit Quietschstimme. Aber: seine Lesung überzeugte mich. Havaii präsentierte sich als selbstironischer (also doch!) und keinesfalls mackermäßiger Erzähler, der witzig, aber nie gewollt komisch sein Leben als Extrabreiter und die Zeit davor in der „Ruhrmetropole“ Hagen Revue passieren ließ. Havaii beschönigt nichts, der rasante Aufstieg Extrabreits ging Hand in Hand mit üblen Abstürzen mit Alkohol und Drogen, Havaiis (überwundene) Heroinsucht brachte ihn mehr als einmal ins Gefängnis. „Hart wie Marmelade“ ist natürlich auch ein Buch über die NDW, Kollegen und Konkurrenten wie Nena tauchen immer mal wieder auf, aber Havaii ist weit davon entfernt, nostalgisierendes Namedropping zu machen. Im Mittelpunkt steht die Geschichte eines hyperaktiven Jungen aus Hagen, der mit seinen Kumpels tüchtig einen drauf machen wollte, irrsinnig erfolgreich wurde und dann doch wieder in der Versenkung verschwand. Der Neonlack von damals ist längst ab, der Wunsch zum Rocken ist geblieben – Extrabreit machen wieder zusammen Musik und treten mit relativem Erfolg auch wieder auf. Angucken würde ich sie mir zwar nach wie vor nicht, das Buch von Herrn Havaii kann ich aber ohne Einschränkung empfehlen.


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  Hanspeter Künzler: Black or White. Michael Jackson – Die ganze Geschichte
Hanspeter Künzler:
Black or White. Michael Jackson – Die ganze Geschichte

Hannibal Verlag
256 Seiten, € 14,95
» hannibal-verlag.de


Black or White. Michael Jackson – Die ganze Geschichte

Für dieses Buch ist eigentlich keine Werbung mehr nötig: Der Hannibal Verlag brachte die Neuausgabe von Hanspeter Künzlers Michael Jackson-Bio mit aktualisiertem Kapitel Anfang Juli, knappe zwei Wochen nach Jacksons Tod heraus (in der Verlagsbranche heißt das „Schnellschuss“). Wenige Tage später konnte der Verlag stolz vermelden, dass „Black or White“ höchster Neueinstieg auf der Spiegel-Bestsellerliste geworden war (von null auf Rang zehn), die Nachdruckmaschinerie läuft auf Hochtouren, fast 50.000 Exemplare sind bereits verkauft. Da wir über die Verkaufszahlen dieses Buches vor Michael Jacksons Ableben nichts wissen, bleibt festzuhalten, dass ein toter Star noch immer die beste Garantie für hohen Umsatz ist... Aber auch wenn Jacko noch leben würde, wäre „Black or White“ eine lohnende Lektüre: Künzler, Schweizer Journalist und Musik-Aficionado, hat seit 1983 zu Michael Jackson recherchiert, Artikel und Interviews archiviert (er selbst hat ihn nie getroffen) und im Lauf der Jahre eine umfassende Biografie zusammengestellt. Beginnend mit der Familiengeschichte der Jackson-Familie in Gary/Detroit,Michigan, erzählt er sehr anschaulich, wie der selbst musizierende, aber erfolglose Vater Joseph Jackson seine Söhne (die Töchter fielen – im Guten wie im Schlechten – bei ihm durchs Raster) mit brutaler physischer und psychischer Gewalt zu musikalischen und tänzerischen Höchstleistungen antrieb. Joseph gelang es, The Jackson 5 bei Motown unter Vertrag zu bringen, Anfang einer großen Karriere und gleichzeitig der Leidensgeschichte Michaels. Das Buch stellt die positiven und negativen Seiten der jeweiligen Stationen im Leben Jacksons nebeneinander: Platten, Tourneen, Weggefährten, die kurze Ehe mit Lisa Marie Presley, seine Kinder, etc. Dass die „positiven“ Buchseiten weiss eingefärbt sind und die negativen schwarz, ist sicherlich kein rassistischer Seitenhieb, im Falle des zwischen allen Stühlen sitzenden Jackson (Hautfarbe, Geschlecht) aber durchaus ein pikantes Detail.


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  Christoph Drösser: Hast du Töne? Warum wir alle musikalisch sind
Christoph Drösser:
Hast du Töne? Warum wir alle musikalisch sind

Rowohlt
320 Seiten, € 19,90
» hast-du-toene.com
» rowohlt.de


Hast du Töne? Warum wir alle musikalisch sind

Nie war der Mensch mehr von Musik umgeben als heutzutage – und doch behaupten viele Leute, komplett unmusikalisch zu sein. Woran liegt das? Sorgt der akustische Overkill aus Radio, MP3-Playern, Fahrstühlen und Einkaufszentren dafür, dass man nur noch konsumiert anstatt selbst zu musizieren? Wird man von Pseudo-Talentshows wie „Deutschland sucht den Superstar“ eingeschüchtert, weil diese TV-Sendungen vorgaukeln, es gäbe unter Zehntausenden nur ein einziges herausragendes Stimmtalent? Zeit-Journalist und NDR-Moderator Christoph Drösser möchte mit dem Vorurteil aufräumen, dass Musizieren oder Musikalität generell nur einer genialen Minderheit vorbehalten ist: er zitiert zahlreiche aktuelle Studien aus Musikpsychologie und -wahrnehmung, Hirnforschung und Biologie und kommt zu häufig überraschenden Ergebnissen, z.B. dass Musiklaien (also Menschen, die kein Instrument spielen) Bruchstücke von Liedern genauso schnell erkennen wie Profis, die sich berufsmäßig ständig mit Musik beschäftigen. Trotz ausführlicher Ausflüge in Musiklehre und -theorie ist Drössers Buch nie trocken, er schreibt lebendig und vor allem aus dem Leben: er selbst ist Musiker in verschiedenen Bands und einem A-Capella-Chor und streut immer wieder eigene Erfahrungen in den Text ein, seine Beispiele beziehen sich meist auf Popmusik, weil ihm diese näher steht als Klassik (die er allerdings nicht totschweigt). „Hast du Töne“ ist ein gelungenes Beispiel für die Verknüpfung aus fundiertem Sachbuch und popkulturellem Ansatz – und es macht Mut, mal wieder lauthals drauflos zu singen, nicht nur unter der Dusche.


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