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15. Juni 2009
Robert Mießner
für satt.org

Sonic Youth - The Eternal

Nichts gegen Hippies

»The Eternal«: Sonic Youth geben sich so luftig wie kompakt und widmen sich dabei Uschi Obermaier.

Neulich in der Oderberger Straße, Berlin-Prenzlauer Berg, gewesen. Als Lokalpatriot schnallt man ja nicht mehr, was rechts und links von einem auf der Straße so los ist. Hauptsache, es geht schnellstens in die heimische Hinterhofoase oder zur Tresenfachkraft des Vertrauens. Bis einem plötzlich gegenüber der Feuerwache ein Ladenschild auffällt. Eine Schwarz-Weiß-Zeichnung von Raymond Pettibon zeigt es, darauf ein Pärchen im Velvet-Underground-Look, Sonnenbrillen, na logo; sie mit Zigarette, er hat den Arm um sie gelegt und schaut zu Boden. Kennen wir doch noch von früher her, als wir noch inmitten von Ruinen hausten! Das Cover von Sonic Youths »Goo« (1990) ist es. Jener New Yorker Kapelle zwischen Kunstgalerie und Rockbühne, die in den späten Achtzigern das Jugendzimmer erschütterte. Die Band, die, so war zu hören, ihre Gitarren mit Schraubenziehern und Schlagzeugstöcken bearbeitete; die Turnschuh- und T-Shirt-Trägern Free Jazz und Improvisierte Musik beibrachte. Ihr Plattencover zu »Daydream Nation« (1988), das berühmte Kerzenmotiv von Gerhard Richter, hing noch ein Jahr später im Schaufenster eines Kreuzberger Plattenladens. Sonic Youth, bei denen Nirvana im Vorprogramm spielten und die mit »Goo« und dem Nachfolger »Dirty« (1992) dann richtige Popstars wurden, bevor sie mit »Washing Machine« (1995) dröhnenden Psychedelic und eine schwindelerregende Lightshow auf die Bühne brachten. »Das sind doch Hippies«, sagte ich damals und meinte es vielleicht ab da als Kompliment.

Sonic Youth
Foto: Michael Schmelling

Überhaupt, sage niemand was gegen Hippies. John Fahey (1939 - 2001), von dem die Coverzeichnung des neuen Sonic-Youth-Albums stammt, war zwar nicht wirklich einer, ließe sich aber schon auf den Plattenspielern einer entgrenzten Kommune vorstellen. Fahey, amerikanischer Gitarrist, Musikwissenschaftler Labelgründer und Spätberühmter, kam vom traditionellen Blues und wurde ab Mitte der Sechziger immer experimenteller, verlegte Charlie Patton wie Derek Bailey, Cecil Taylor und Jim O’ Rourke, für drei Platten Fünfter im Bunde bei Sonic Youth. Spuren von Faheys Stil lassen sich seit Jahren bei der Schalljugend finden. Sie schreiben sich auf »The Eternal« übrigens wieder mit Bindestrich* und fanden Verstärkung in Mark Ibold (Pavement). Stichwörter Kommune, Sechziger und alles, was vom geraden Pfad wegführt: »Anti-Orgasm«, der zweite Song des Albums, bezieht sich auf Uschi Obermaier und die Westberliner Kommune 1, »Leaky Lifeboat« auf den Beatpoeten Gregory Corso, der unser Erdendasein mit einem lecken Rettungsboot verglich. Querverweise also überall, was »The Eternal« aber besonders macht, ist, dass es reichlich irdisch zugeht. Die Platte ist luftig und kompakt zugleich. »Antenna« oder »Massage The History« sind hinreißende Freiform-Balladen. »What We Know«, gesungen von Lee Ranaldo, lässt an Kim Gordons Hinweis denken, man möge alle Sonic-Youth-Platten wegschmeißen und sich lieber mit Led Zeppelin eindecken. Oder warum nicht gleich mit den Wipers aus Portland, eine der ganz großen unbekannten Punkbands, die mit »No Way« gegrüßt werden? Dann, es deutete sich bereits an, widmen sich Sonic Youth dem Leben jenseits von Referenzkasten und Studierstube. Anders entstehen kaum Tracks wie »Poison Arrow« oder »Malibu Gas Station«. Nennen wir das Kind beim Namen, dies ist eine hedonistische Platte. Besser so.



*Kleines, aber wichtiges Detail. Siehe das selbstbetitelte Debüt (1982), »Confusion Is Sex« (1983) und »Sister« (1987).

» sonicyouth.com
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