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4. Mai 2009
Marcel Tilger
für satt.org

Antimatter | Monochrome Creeks
Vic Anselmo | Lisa Cuthbert


Live, 13. April 2009, Köln, MTC

Schlagartig herrscht Stille im Raum. Fast. Leise surrt die kleine Belüftungsanlage an der Flanke des MTC in Köln. Der Barkeeper beeilt sich, die letzten Bierflaschen im Kühlschrank unterzubringen. Die Sängerin auf der Bühne freut die beinahe andächtige Spannung, mit der das Publikum auf mehr Musik wartet. „Wenn ich zuhause in Irland auftrete, lehnen die Leute auch während der Songs direkt an den Monitorboxen, sind total betrunken und unterhalten sich so laut es eben geht“, sagt Lisa Cuthbert und stimmt ihr wuchtiges schwarzes Keyboard für das nächste Stück: An Tori Amos-Coverversionen haben sich schon andere starke Stimmen verhoben. Die zierliche Irin nicht! Sie folgt „Winter“ nicht in die wechselvollen Klangfarben, die außer Tori ohnehin niemand meistern kann, sondern eignet sich das „Little Earthquakes“-Stück an, interpretiert es mit tiefem, eher an Fiona Apple gemahnendem Timbre.

Antimatter Live 2009
Antimatter (Fotos © Anselmo)

Auf die Plakate, die für die Tour des unter dem Namen Antimatter offenbar wieder vereinten Songschreiber-Duos Mick Moss und Duncan Patterson werben, hat sie es trotz ihres außergewöhnlich ausdrucksstarken Gesangs, trotz ihrer eingängigen, melancholischen Musik nicht geschafft. Eingeladen haben wird Lisa Cuthbert der Ex-Anathema-Bassist Patterson, der für Antimatter bereits ein gutes Händchen bewies und Dominion-Sängerin Michelle Richfield ins Licht der Öffentlichkeit zurückholte, und der mit seinem neuen Projekt on die vielseitig Emily A. Saaen förderte. Von „Ready to Unfold“, der feinen ersten EP, die die Sängerin zum Konzert in Köln mitgebracht hat, unterscheiden sich die Live-Versionen nur in Nuancen, selbst wenn Cuthbert auf Tonträger neben dem Piano auch Schlagzeug, Gitarre, Bass und Cello zur Seite stehen: Bei ihr ist ohnehin alles auf die emotionale Stimme zugespitzt. „Ready to Unfold“ bleibt ob seiner prägnanten Gesangs- und Melodielinie schon beim ersten Hören hängen. „Burden“ und „Nothing Left“ zeigen andere Facetten, ersteres mit kleinen, fast exaltierten Ausfällen, letzteres mit melancholischem Grundton. Cuthberts „Fragile Dreams“-Cover verrät erst der markante Refrain. Gerade deshalb funktioniert es, gerade deshalb bereitet es den Weg für die nachfolgenden Bands, die sich alle am Werk Anathemas versuchen – und auch schon mal kolossal scheitern.

Vic Anselmo könnte sich von Lisa Cuthbert kaum gravierender unterscheiden. Optisch probiert die lettische Newcomerin den Spagat zwischen Hippie, Vamp, Gruftie und Visual Kei. Gesanglich ist sie ähnlich stark, wenngleich in den Höhen wesentlich extravaganter, experiemtierfreudiger und facettenreicher aufgestellt. Das „Acoustic Music“-Motto, dem sich der Tourtross verschrieben hat, tut vor allem ihren Songs gut, die, von einer Schicht aus tanzbaren und willkürlich aufgetragenen Samples und Beats befreit, ihr dunkles Herz offenbaren dürfen. Vorher aber folgt das Publikum brav Anselmos schüchtern gehauchter Bitte, auf dem Fußboden Platz zu nehmen, damit sie von der niedrigen Bühne aus nicht nur auf eine Wand aus Menschen blicken muss. Kleine Gesten, große Wirkung – auch musikalisch: Für„Beverly“ greift Anselmo zur Akustikgitarre und mimt das „Strange Little Girl“ aus dem Text mit Körperhaltung und kindlich naiver Stimme, der sie abrupt das rau-krächzende Vibrieren einer Hexe geben kann. Ob schon das als Einstimmung auf „Love You to Death“ zu werten ist? Immerhin hat sich auch Tori Amos maskuline Musik unter dem Titel „Strange Little Girls“ vorgenommen. Bei Anselmo wirkt die betont unschuldig gesungene Zeile „I say the beast inside of me's gonna get ya, get ya, get...“ jedenfalls abgründiger als in Peter Steeles (Type O Negative) tiefem Bariton. Das gleichermaßen intime wie intensive „Dead Man Walks“ steigt phasenweise in eben diese Tiefen hinab, bevor „I Cried“ die Sängerin von der Akustikgitarre zum Keyboard wechseln lässt.

Antimatter Live 2009

Lokalmatador Masi Kriegs sprengt mit seinem heute nur durch ihn vertretenen Akustikprojekt Monochrome Creeks nicht nur die Gästeliste, sondern auch den von Cuthbert und Anselmo bis hierher sorgfältig aufgebauten atmosphärischen Rahmen. Tingeltangel-Barden wie ihn sieht man an jedem Wochenende durch die Irish Pubs der Republik ziehen. Für jemanden, hat Primordial-Sänger Alan Averill Nemtheanga einmal gesagt, der mit Heavy Metal aufgewachsen ist, könne die musikalische Unbedarftheit mancher Folkmusiker durchaus ernüchternd sein. Aufgewogen werde dieses Manko von einigen Künstlern durch ein Maximum an emotionaler Wucht und Wahrhaftigkeit. Was aber, wenn selbst die fehlen? Es bereitet fast körperliche Schmerzen, Kriegs bei der seelenlosen Interpretation von Leonard Cohens seelenvollem „Hallelujah“ zuzuhören. Lockere Sprüche überspielen dieses Unvermögen nicht. „Monochrome“ verliert sich in Eintönigkeit und deutet leider auf das obligatorische Anathema-Cover voraus: Selbst ein schöner Song lässt sich leicht zerstören.

Über Antimatters plötzliche Wiedervereinigung schweigt sich selbst das Internet aus. Dass das Tourplakat neben Anathema-Stücken auch Musik von Duncan Pattersons neuem Projekt on in Aussicht stellt, macht alle Hoffnung auf einen neuen gemeinsamen Anfang zunichte: Die Antimatter, die hier auftreten, sind eine (gut funktionierende) Zweckgemeinschaft, die alleine für Konzerte zusammenfindet. Die hochgeschobenen Ärmel von Pattersons Sakko legen den Blick auf zahllose Tattoos frei; mit Goldkette und Unterhemd hätte sich der Musiker um eine Kiezkarriere bewerben können. Der bullige, glatzköpfige Moss würde für ihn die Drecksarbeit erledigen. Heute besteht die nicht nur im Singen, sondern auch im Zotenreißen: „I like to do it in the dark, ask my girlfriend“, fordert er den Techniker auf, das Licht runterzudrehen. Patterson ringt das ein müdes Lächeln ab. Kontakt zum Publikum sucht er nur selten. Mandoline und Bouzouki reichen ihm zum Kommunizieren völlig aus: Wer gedacht hat, das aus seiner Feder stammende „Eternity Part III“ wäre nicht mehr zu steigern, wird in Köln eines Besseren belehrt und mit Gänsehaut beschenkt. Ob er Patterson die nach Weltschmerz und Sehnsucht klingenden Instrumente während seiner zahllosen Aufenthalte in Griechenland schätzen und lieben gelernt hat? Ein einziger Saitenanschlag weckt Erinnerungen an die einmalige Filmmusik der griechischen Komponistin Eleni Karaindrou. In „Leaving Eden“ hat die nichts verloren, weshalb Moss das schon nach der Trennung von Patterson entstandene Stück alleine mit kraftvoller Klampfe und voluminöser Stimme bestreitet. So funktioniert Singer/Songwriter-Musik, Herr Kriegs! „Flowers“ und das Trouble-Cover „Mr. White“ bringen es trotz oder wegen des reduzierten Klangkörpers zu größter atmosphärischer Dichte. Das große Ensemble tritt für ons „Learpholl“ an und schickt das Publikum atmosphärisch nach Irland: Anselmo braucht sich hinter keinem Folk-Sternchen zu verstecken; Cuthbert zart im Raum schwebende Keyboards decken Stimme und Saiteninstrumente nicht zu, sondern umspielen sie mit der Flüchtigkeit eines Traumes. Dieser direkte Vergleich von Pattersons und Moss' Songs bestätigt, dass Patterson sich von der traditionellen Strophe/Refrain-Struktur längst gelöst und Moss sie mit emotionalem Verve neu zu beleben versucht hat. Einig sind sich beide, dass hinreißende Musik keiner aufwändigen Lichteffekte, keiner prahlerischen Showeinlagen bedarf.