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April 2008
Christina Mohr
für satt.org

Ja, Panik: The Taste and the Money

Ja, Panik:
The Taste and the Money
(Schoenwetter/ZickZack/Broken Silence)

Kein pickliger Befindlichkeitspop

Das zur Zeit beste, interessanteste und dringlichste deutschsprachige Album kommt aus Österreich: die Gruppe Ja, Panik, fünf aus dem Burgenland nach Wien „zuagreiste“ junge Musiker, legen mit ihrem zweiten Platte „The Taste and The Money“ ein Grosswerk hin, das anderen Bands im Leben nicht gelingt. Ja, Panik spielen antirockistische Rockmusik mit Blueselementen, so manches Stück endet in wilder Noiseimprovisation. Man hört gemütliches Pianogeplinker, eine Ukulele und beherzten Chorgesang mit österreichischem Zungenschlag (das „ch“ in „durch“ spricht sich wie „machen“). Textlich geht es um Rausch und Entgrenzung, Leere und Verzweiflung – Warten und Brennen sind die Extreme, zwischen denen der haltlose jugendliche Held durch die große Stadt taumelt. „Wir werden brennen, Baby, lichterloh!“ heißt es in „Swing Low, Sweet“ oder „Ich bringe mich in Form: auf der Herrentoilette“ („Ich bringe mich in Form“) - wobei man nicht den Fehler machen sollte, das lyrische mit dem realen Ich gleichzusetzen. „Ich hat nicht unbedingt etwas mit mir zu tun“ - diesen wahrhaft existenzialistisch-philosophischen Satz sprach kürzlich Olli Kahn in „Wetten, daß...“, als Gottschalk ihn auf seine Biografie „Ich“ ansprach. Auch wenn Kahn und Ja, Panik die wohl am weitesten voneinander entfernten Pole darstellen, die überhaupt nur denkbar sind, trifft Kahn den Anti-Authentizismus-Nagel unbeabsichtigt auf den Kopf. Denn Ja, Panik wollen nicht, dass man die zwölf Songs auf „The Taste and The Money“ als von ihnen selbst erlebte, authentische Berichte versteht. Viel wichtiger ist ihnen, Texte so sehr zu verfremden und immer wieder neu zu bearbeiten, dass man eben keine „authentische“ Person darin ausmachen kann. Dadurch und vor allem durch ein zutiefst verinnerlichtes Künstler- und Bohemedasein unterscheiden sich Ja, Panik prägnant von anderen jugendlichen Bands, die „pickligen Befindlichkeitspop“ spielen, so Ja, Panik-Sänger und -Gitarrist Andreas Spechtl. Auf der Website von Ja, Panik steht ein Sechs-Punkte-Programm, das die Haltung der Band gegenüber dem Popbetrieb unmißverständlich klarmacht. Hier Programmpunkt Eins:


I. Von der Notwendigkeit des Zitats, ja Plagiats. Den Fortschritt begreifen, sich fremder Ideen annehmen, falsche Gedanken streichen und durch richtige ersetzen. Doch wider die Reproduktion! Bedient euch, schöpft aus dem Vollen eines Jahrhunderts, setzt es in neue Formen! Reißt es aus dem Zusammenhang! Die Panik vor dem Nichts, der Überfülle. Wir stehen zitternd vor markierten Stellen, Gitarren in Händen, Buchstaben im Kopf.

satt.org hatte trotzdem noch einige Fragen – vielen Dank an dieser Stelle an Andreas Spechtl fürs Beantworten!

satt.org: Wie seid Ihr auf den Bandnamen gekommen?

Ja, Panik

Andreas Spechtl: Nachdem unsere erste Platte fertig aufgenommen war, fehlte eigentlich nur noch ein Bandname. Fertig gemischt, fertiges Cover..... alles war da. Wir haben uns dann irgendwann entschlossen einen Satz der Platte zum Namen der Band zu machen. Nach einigem Suchen wurde dann aus dem Satz " Ja, Panik treibt mich, whatever gets you through the night, it's alright" Ja, Panik auserwählt.

satt.org: Ihr klingt im besten Sinne "unmodisch" und man stutzt, wenn man erfährt, wie alt beziehungsweise jung Ihr seid: wer sind Eure Vorbilder, wie sieht Eure Popsozialisation aus?

AS: Vorbilder sind einerseits große Ästheten, andererseits schlaue Formzerstörer. Wir wollen hier keine Namen nennen. Unsere Popsozialisation fand in den fundierten Plattenregalen unserer Eltern statt. Altersbedingt waren das Sachen aus den 60-, 70- und frühen 80ern. Aktuelles wurde eigentlich erst ziemlich spät gehört. Teile der Gruppe Ja, Panik tun das noch immer nicht wirklich.

satt.org: Manche Schreiber bezeichnen Euch als Punkband - wenn ja, was ist an Euch "Punk"?

AS: Echt? Noch nie gelesen..... Man kann natürlich wenn man will, da und dort ein bisschen Punk (als Musikrichtung jetzt) raushören. Als Punkband würden wir uns aber auf keinen Fall bezeichnen.

satt.org: Ihr lebt als WG zusammen - wird es manchmal zu eng, oder braucht Ihr die (kreative) Nähe?

AS: Zusammenleben tun ja nur drei von uns, sozusagen der "Kern". Die musikalische Kreativarbeit wurde auch hauptsächlich im Proberaum getätigt, da wir aber darauf bestehen, uns um Dinge wie Covergestaltung, Fotos, Flyer und Videos selbst zu kümmern und das alles sehr zeitintensive Arbeiten sind, hat uns gerade hier das Zusammenleben vieles gebracht, oft auch nur auf rein organisationstechnischer Ebene. Das Bandprojekt anders anzugehen, wäre wohl gar nicht möglich gewesen. Man darf das aber nicht zu romantisch sehen, immer wieder fällt in diesem Zusammenhang das Wort Kommune, von dem wir aber Abstand nehmen wollen. Wir finden die Bezeichnung Hauptquartier da schon viel passender.

Ja, Panik live:
  • Apr 10 2008 - München (D) - Rote Sonne + Frank Spilker Gruppe
  • Mai 1 2008 - Schwerin (D) - Filmkunstfest
  • Mai 3 2008 - Wien (A) - Stadtfest
  • Mai 11 2008 - München (D) - Theatron
  • Mai 21 2008 - Neu–Ulm (D) - Mahatma
  • Mai 23 2008 - Leipzig (D) - Intro Intim in Ilses Erika
  • Jun 4 2008 - Berlin (D) - Lido + Britta, Mondo Fumatore
  • Jun 6 2008 - Hamburg (D) - Grüner Jäger
  • Jul 12 2008 - St.Agatha (A) - Rock Am Hof + Velojet
  • Aug 1 2008 - Gmünd (A) - Palaverama Festival
  • Sep 29 2008 - Bielefeld (D) - Kamp
  • Okt 3 2008 - Oberhausen (D) - Druckluft

satt.org: Auf Eurer Web- und myspace-Seite habt Ihr ein regelrechtes Manifest oder Programm gepostet - nicht sehr "rockig". Stößt Euch das übliche Indierockband-Getue ab?

AS: Ja, definitiv.

satt.org: Wie wichtig ist Literatur (und welche?) für Ja, Panik?

AS: Für den textenden Teil der Gruppe Ja, Panik ist Literatur äußerst wichtig, ohne würden ihm schnell die Ideen ausgehen. Ähnlich wie in Frage zwei mit den Musikern verhält es sich hier auch mit den Autoren.

satt.org: Jens Friebe bezeichnet Euch als seine Lieblingsband, Christiane Rösinger sagt, sie habe Euch "adoptiert", Ihr seid mit Britta und Doktorella aufgetreten - wie fühlt Ihr Euch mit dieser geballten Unterstützung hiesiger Indiepopkoryphäen?

AS: Mit derartigen Sympathiebekundungen ist natürlich immer schwierig umzugehen, überhaupt wenn dazu noch Freundschaft im Spiel ist. Von Musikern die man selbst schätzt hört man sowas aber natürlich gerne.

satt.org: Eure schönste/schlimmste Erfahrung mit Ja, Panik (live, unterwegs...)

AS: Am schlimmsten sind meist socialise- und fraternisierungswütige Kollegen. Schön ist es immer, wenn die Band gut spielt und das Publikum das dann auch honoriert.

satt.org: Hierzulande (also in D.) fährt man gerade sehr auf Wien ab (siehe auch Schwerpunkt Wien im aktuellen Intro) – könnt Ihr das nachvollziehen? Die Wiener hegen doch eher eine gesunde Hassliebe für "ihre" Stadt, oder? Ist Wien das neue Berlin?

AS: Ja, das mit der Hassliebe sagt man den Wienern zumindest nach, aber es kleben doch an jeder Stadt so ihre Mythen, nicht? Wir würden auch Wien nicht als "unsere" Stadt beschreiben, sind wir alle doch erst vor vier, fünf Jahren vom Land hierher gezogen, als die typischen Wiener können wir also nicht gelten. Wir haben zu Wien ein ziemlich neutrales Verhältnis, die Stadt kommt auf unserer Platte ja eher gezwungenermaßen vor, als der Platz an dem ihre Geschichten spielen und zwar nicht weil sie da spielen müssen, sondern weils sie eben hier spielen. Es hat sich halt so ergeben, könnte man sagen. Natürlich kann man der Stadt ihren morbiden Charakter nicht absprechen, ihn hat sie aber auch weil gerade das immer wieder alle in ihr sehen möchten. Hier beisst sich schon auch die Katze in den Schwanz. Zumindest aber die ewige Lamentiererei der österreichischen Musikszene befindet sich in Auflösung. Man erfährt gerade mächtig Aufschwung, es tut sich echt viel an Labels, Bands und so.... Wien hat als Jammertal in dieser Hinsicht also einiges wettgemacht, die MusikerInnen ordentlich an Selbstbewusstsein gewonnen. Was jetzt nicht in direktem Verhältnis mit der Qualität der Arbeiten steht, das ist ganz wichtig zu sagen. Um wieder auf die Mythen zurückzukommen haben wir aber von dem "glorreichen" Berlin schon ein gänzlich anderes Bild als von Wien "jetzt". Den Vergleich finden wir auf keinen Fall angebracht. Wien bleibt in all seiner Praxis doch zu sehr eigener Mittelpunkt, das Problem wird es wohl auch nicht so schnell los werden.

satt.org: Wiener/Österreicher gelten als latent depressiv - trifft das auf Euch auch zu? Wenn ja, warum dann Musikmachen?

AS: Wiener/Österreicher gelten als latent depressiv und lebensüberdrüssig...... das ist Blödsinn! Und Deutsche haben keinen Humor und mein Gemüseverkäufer am Marktstand ist abends Terrorist, oder wie? Also bitte......
Die Depressionen befinden sich bei den einzelnen Mitgliedern der Gruppe Ja, Panik in durchwegs verschiedenen Stadien und ein gesunder Lebensüberdruss gehört sowieso zu jedem halbwegs klar denkenden Menschen. Also, warum nicht gerade dann Musikmachen?

satt.org: In Artikeln über Euch fallen große Namen: Fehlfarben, Tocotronic, Rimbaud, Qualtinger... ist das eine Bürde für Euch oder freut Euch das?

AS: Ach, sowas ist wie oben schon gesagt immer schwierig. Wenn große Namen fallen, fühlt man sich schnell mal geschmeichelt oder gleich arg missverstanden. Gewisse Leute brauchen diese Kurzschlüsse aber um Dinge zu verstehen und einzuordnen. Wenns so sein soll, na gut. Die hier genannten Namen können wir nachvollziehen und gehen auch ok. Grundsätzlich freut es uns aber, wenn ein Text über uns ohne derartiges auskommen kann.

satt.org: Im Intro-Interview sagt Ihr, dass Ihr für das Album "The Taste and the Money" einen Helden erschaffen habt, den Ihr durch zwölf Stationen schickt (Passionsweg?!) - warum ist es Euch so wichtig, dass die Texte nicht als authentische Künstler-Ich-Äusserungen zu verstehen sind?

AS: Grundsätzlich versuchen wir, persönliche Erfahrungen, Erlebnisse und Probleme durch einen bewusst gestalteten künstlerischen Schaffensprozess, durch die Form und gewisse Brechungen, so zum Beispiel fremde Ideen, die wir uns einverleiben und umgestalten oder einfach plagiieren, in ein autonomes Werk umzuformen. Es soll sich einfach niemand verleiten lassen zu glauben, den bizarren Lebensweg von ein paar Wahnsinnigen durch das Hören unserer Platten nachverfolgen zu können. Und das ist gut so. Es ist doch nichts langweiliger und durchschaubarer als der pickelige Befindlichkeitspop des Gros unserer gleichaltrigen Kollegen, oder?
Die zwölf Stationen haben nichts mit dem Passionsweg zu tun, auch wenn das ein schöner Gedanke ist, der durchaus weiter zu verfolgen wäre. Die zwölf Stationen kann man eher als das Jahr, von dem anfangs gesungen wird, dass es ein Marathon zu werden verspricht, sehen.

satt.org: Die Texte pendeln zwischen den Polen "Warten" und "Brennen" - gibt es ein Dazwischen? Was passiert dort?

AS: Auf unserer Platte gibt es dieses "Dazwischen" eigentlich nicht. Es heisst ja schon in dem Lied /Swing Low, Sweet.../: "Wie so oft gibt’s kein dazwischen es gibt nur Gott oder den Teufel und nicht mal das stimmt irgendwie denn nichts ist wahr, niemals und nie."

satt.org: "The Taste" vs "The Money" - sind das Gegenpole oder bedingen sie einander?

AS: Es heisst ja erstmal "and" und nicht "versus". Der Titel "The Taste And The Money" kann ja erst dann verstanden werden wenn man den dazugehörigen Satz kennt. Also: "The taste is familiar and so ist the sound, it burns all my money, it turns me down." Esrt jetzt kann man verstehen, dass es nicht um diese zwei Wörter geht. Der Titel führt ja absichtlichtlich in die Irre, da die zwei Wörter aus dem Zusammenhang gerissen dazu verleiten direkt aufeinander bezogen zu werden, was ja im Satz dann gar nicht der Fall sein kann, da sie sich auf zwei verschiedenen Ebenen begegnen. Es geht um die unbestimmte, abstrakte Form, das "it", das man kennt, das einem bekannt vorkommt, das man aber nicht benennen kann, obwohl es einen beherrscht und das Leben schwer macht. Das ist im Großen und Ganzen das Hauptproblem des "Ich" auf unserer Platte. Hier kann man, wenn man will, einen direkten Bezug zu einzelnen Mitgliedern der Gruppe Ja, Panik herstellen.

satt.org: Warum covert Ihr Lou Reeds "Satellite of Love"?

AS: Ach, da steckt nichts großartiges dahinter. Wir hatten einfach den Wunsch, ein Coverstück einzuspielen, das sich wenn möglich in das Konzept der Platte auch noch ganz gut einfügen lässt. Wir mögen die unaufdringliche Weise, wie dieses Lied ein ganz klares Liebeslied ist und finden, es passt ganz gut zu unserer Art, solche Themen anzugehen.

satt.org: Was treibt Euch an? Und was würde dazu führen, dass Ihr die Instrumente in die Ecke werft?

AS: Was uns antreibt? Hm... Langeweile wohl am ehesten. Aber auch die organisierte Unsicherheit, die unserer Generation eingepflanzt worden ist. Unsere Instrumente würden wir unter keinen Umständen in die Ecke werfen, im besten Fall könnten sich Bedingungen ergeben, unter denen man sich als Musiker und Künstler nicht mehr auf den Markt werfen muss, das würde unser Leben sehr erleichtern und sich positiv auf die Qualität unserer Arbeiten auswirken beziehungsweise uns neue Möglichkeiten bringen. Damit rechnen wir aber erst mal nicht in nächster Zeit.

satt.org: Lieblingsdrogen?

AS: Tages- und stimmungsabhängig.


» www.ja-panik.com
» myspace.com/japanik