HipHop und Rap gelten allenthalben als männlich dominierte Mackergenres, in denen Frauen – wenn überhaupt – als sexy Dekoration oder jederzeit verfügbare Betthasen auftauchen. Schaut man Videos von Puff Daddy/P. Diddy, 50 Cent oder Usher an, wird dieser Eindruck bestätigt und bekräftigt. Und will eine Frau als Solokünstlerin erfolgreich sein, muss sie sich entweder aufstylen wie eine Prostituierte oder die knallharte Geschäftsfrau geben – oder gibt es noch andere Modelle für Frauen im HipHop? Denn es gibt sie, die Rapperinnen, HipHopperinnen, MCs, DJs, Fly Girls, Souldiven, man muss nur ein bisschen nach ihnen suchen. Auf dieser Suche erfährt man zum Beispiel, dass das allererste HipHop-Label überhaupt, Sugarhill Records (Sugarhill Gang, „Rappers Delight“) 1979 von Sylvia Robinson gegründet wurde. Dass HipHop in seiner heutigen Form ohne das Engagement einer enthusiastischen MusikfanatikerIN wahrscheinlich nicht existieren würde, ist ein schöner Aufhänger für das Buch, das die Musik- und Kulturjournalistin Anjela Schischmanjan und die Kulturwissenschaftlerin Michaela Wünsch im Ventil Verlag veröffentlicht haben. Die beiden begannen vor etwa einem Jahr, Texte für „Female HipHop“ zusammenzustellen, die bislang erste deutschsprachige Veröffentlichung zu diesem Thema. Das Buch zeichnet die Geschichte der Frauen im HipHop von ihren Anfängen bis heute nach und untersucht Themen wie Homophobie und Queerness im HipHop, die Funktion afrozentristischer Aesthetik im deutschen HipHop oder das trashkulturelle Phänomen „Pornorap“. Musikerinnen wie Piranja, Quio, fiva und Sookee kommen selbst zu Wort und erklären, wie sie sich als Frauen in einer (vermeintlich) männerdominierten Branche definieren und behaupten. Ausserdem: Artikel von Diedrich Diederichsen, Tim Stüttgen, Hannah Kopietz, Clara Völker, Stefanie Kiwi Menrath, Kimiko Leibniz und anderen.
CM: Wie sieht Eure eigene HipHop-Sozialisation aus? Seid Ihr "nur" Fans oder seid Ihr aktive HipHopperinnen?
Michaela Wünsch: Ich habe HipHop so mit 17 entdeckt, ich hatte damals in Bielefeld im AJZ (Arbeiterjugendzentrum) aufgelegt, aber bis dahin mehr Musik, die ich aus der SPEX kannte gehört oder sogar Punk. Damals hatte ich an Musik vor allem den Anspruch, dass sie irgendwie 'anstrengend', also nicht leicht konsumierbar sein sollte, was einen jedoch nicht gerade zu einem beliebten DJ macht, weil diese Musik oft nicht tanzbar ist. Und einem selbst auch nicht so viel Spass macht. HipHop verband für mich damals diesen politischen Anspruch mit Musik, zu der die Leute auch abgingen, obwohl sie damals in der linken Szene durchaus umstritten war.
CM: Gibt es ein Schlüsselerlebnis, eine bestimmte Platte, das Euch zu Fans machte? Ich weiss noch gut, wie meine Freundinnen und ich zu Salt'n'Pepa und den Wee Papa Girl Rappers durch unsere Jugendzimmer getanzt sind :-D
MW: Zu der Zeit waren meine Favoriten Queen Latifah und Public Enemey, später hörte ich sehr gerne die Musik von der Eastcoast wie Jungle Brothers, A Tribe Called Quest, De La Soul, GangStarr, diesen ganzen eher smootheren HipHop. Später war ich sehr vom Wu-Tang-Clan begeistert, mir gefiel an ihnen das Verspielte und Düstere, so wie auch an Mobb Deep.
Ich habe nicht nur HipHop von Frauen gehört, obwohl ich Foxy Brown mochte oder Lil' Kim und mich Rahmen meines Studiums mit HipHop theoretisch auseinandergesetzt habe. Dadurch hat sich mein Blick auf die Musik sehr verändert, da Theoretikerinnen wie Tricia Rose den Sexismus im HipHop anders beurteilt haben, nämlich aus der Perspektive der afro-amerikanischen Frauen, obwohl die natürlich gar nicht einheitlich ist. Aber ihre Position war, dass es für Frauen auch die Möglichkeit einer Wiederaneignung des Körpers gibt, da der Körper schwarzer Frauen lange als hässlich degradiert wurde. Das stellte auch Positionen weisser Feministinen oder anderer Intellektueller in Frage, wie zum Beispiel, dass in der SPEX Rapperinnen immer auf ihren Feminismus angesprochen wurden. Ich finde, man muss seine Massstäbe hinterfragen, ohne kulturalistisch zu sein.
CM: Wann und wie entstand die Idee, ein Buch über Frauen im HipHop zusammenzustellen?
MW: Ich war in den letzten zwei, drei Jahren ein paar Mal in New York und Los Angeles und war total begeistert von den HipHop-Clubs mit einem vor allem queeren Publikum. Die Stimmung dort war super, es wurde viel getanzt, gute Musik gespielt und die Frauen waren ziemlich sexy. Alles, was man aus den Videos kennt, nur nicht in hetero, sondern queer. Das hat meine Begeisterung für HipHop wiederbelebt. Dann gab es Initiativen wie femalehiphop.com, oder Mädchen feiern Sprechgesang in Berlin und mir schien, auch hier bewegt sich nochmal was. Zugleich gab es aber auch Aggro Berlin und eine neu entfachte Diskussion um Homophobie und Sexismus in der Presse. Anjela hatte mich angesprochen, einen Beitrag für den Band zu schreiben, den sie zunächst alleine herausgeben wollte. Es ergab sich dann aber, dass wir das Buch gemeinsam herausbringen.
CM: Was stand bei der Konzeption des Buchs im Vordergrund: der feministische Gedanke oder die Beleuchtung eines popkulturellen Genres?
MW: Im Vordergrund stand eigentlich die Verteidigung des HipHop - andere Seiten im HipHop herauszuarbeiten, die in den letzten erwähnten Diskussionen verlorenen gegangen sind. Dass HipHop nicht nur sexistisch ist, sondern auch Möglichkeiten für Frauen bietet, sich zu artikulieren und im Grunde ja ein 'Sprachrohr' für junge Afroamerikaner war. Ich mag die Ghetto-Mythologisierung zwar auch nicht, beziehungsweise glaube ich nicht, dass es den 'wahren' HipHop einerseits und den verfälschenden Kommerz andererseits gibt, aber uns war das alles zu einseitig und vor allem von den falschen Leuten diskutiert (Familienministerin vs. Pseudo-Ghettokid). Und es gab ja bislang in Deutschland kein Buch über Frauen im HipHop.
CM: Wie war die Reaktion der männlichen Kollegen (im Buch sind Artikel von Diedrich Diederichsen und Tim Stüttgen) - fanden die auch, dass das Thema around ist oder musstet Ihr sie erst überzeugen?
MW: Nee, überhaupt nicht. Tim und Diedrich hatten auch auch bereits zu diesen Themen geschrieben, ich finde nicht, dass das Thema nur von Frauen behandelt werden sollte, hätte aber andererseits auch nichts dagegen.
CM: Einige der im Buch vorgestellten HipHopperinnen wie Piranja und Quio* sind weiss - gibt es schwarze HipHop-Künstlerinnen, die sagen, weisse Frauen könnten nicht "real" sein? Oder spielt die Herkunft/Hautfarbe keine Rolle, so lange man gut rappen und Beats
basteln kann?
* Quio: Phiu Im September erscheint das tolle neue Album der Berlinerin Quio – sie arbeitet wie auch auf der Vorgängerplatte „Like Ooooh“ mit dem Electronic-Producer AGF zusammen und mixt Dubstep, Drum'n'Bass, Garage zu soulfullen Tracks, zu denen sie mit ihrer prägnanten Stimme rappt (es gibt sogar ein Stück über German Bratwurst!), singt und croont. Watch out!
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MW: Ich finde, dass 'race' eine grosse Rolle im HipHop spielt und finde das Thema leider in dem Band etwas unterbeleuchtet, was vor allem daran liegt, dass wir kein Geld hatten, noch mehr Texte zu übersetzen, die Theorie ist nämlich besonders in den USA viel weiter. Ich hätte zum Beispiel gerne einen Text von Todd Boyd über 'whigger' wie Eminem im Buch gehabt, also Weisse, die als 'schwarz' auftreten. Ich finde, dass Boyd auch sehr gut die sogenannten 'Playa Haters' analysiert, die HipHop als zu kommerziell verdammen oder als nicht mehr politisch genug. Auch Isaac Julien hat mal geschrieben, dass auf Schwarzen immer die Bürde lastet, gleich eine ganze Community zu repräsentieren. Weisse habe da viel mehr Freiheiten, weil sie als Individuen und nicht als Vertreter ihrer 'Rasse' betrachtet werden. Im HipHop kommt diese Frage auf, weil das Genre als 'schwarz' gilt. ?hnliche Forderungen werden natürlich auch an Frauen gestellt, die ihr Geschlecht thematisieren müssen oder im Gegensatz als nicht-feministisch gelten. Aber ich finde, man muss sich auch mit der Fetischisierung 'Schwarzer' beschäftigen, wenn man als Weisse HipHop mag, das muss ja nicht gleich in Verkrampfung enden. Aber man sollte auch nicht so tun, 'hey wir sind alle gleich, ich bin aus dem Ghetto, Schwester'.
CM: Kann HipHop-Engagement Frauen stärken/emanzipieren? Oder besteht die Gefahr, dass Frauen in einem Mackersystem versanden?
MW: Genau diese stärkende Wirkung wollten wir herausstellen, ebenso wie die Widersprüche, dass Männer meist die Produzenten sind und in den mächtigeren Positionen sitzen. Aber das ist ja überall in der Gesellschaft so.
CM: Warum sind die Begriffe schwarz und weiss im Buch durchgängig in Anführungszeichen gesetzt?
MW: Weil die Hautfarbe oder die mitgemeinte Kultur natürlich erstmal künstliche Konstruktionen sind, die zwar sehr wirkmächtig sind, aber auch dann wiederum nicht so klar voneinander zu trennen (ist eine Latina oder Türkin schwarz oder weiss?) Ich finde die Definition von 'schwarz' für Menschen, die Rassismus ausgesetzt sind, sehr hilfreich.
CM: Im Buch wird dargestellt, dass die ersten Rapperinnen wie Roxanne Shanté sehr "angezogen" aufgetreten sind, einfach in Jeans und T-Shirt. Ueber die Jahre hinweg wurde der female HipHop immer freizügiger - glaubt Ihr an die (ja oft von den Musikerinnen selbst vertretene) These, die zur Schau gestellte Sexyness sei ein Ausdruck weiblicher Macht und Stärke? Oder ist das Augenwischerei?
MW: Wie gesagt, gibt es da meiner Ansicht nach kulturgeschichtliche Unterschiede. Es ist zum Beispiel sowohl ein sehr bürgerliches weisses Phänomen und Ideal, den weissen Frauenkörper zu verdecken, wie auch zu enthüllen. Aber ein nackter weisser Frauenkörper galt lange Zeit als schöner als der Körper nicht-weisser Frauen, für die Sexyness durchaus eine Ermächtigung bedeuten kann. Auf der anderen Seite kann die neuerliche Sexualisierung auch mit Erniedrigung einhergehen. Es ist am wichtigsten, das mehrdimensional zu betrachten, statt das eine dem anderen als 'freier' gegenüberzustellen.
CM: Hätten Frauen wie Roxanne heute (wieder) eine Chance, als Rapperin wahrgenommen zu werden? Oder überlagert mittlerweile der Körperkult die Skills?
MW: Ich glaube, dass Skills auch nach wie vor eine Rolle spielen, wenn es heisst, eine Frau kann nicht rappen und sieht nur scharf aus, hat sie auch wenig Chancen auf dem Markt. Und es gibt ja verschiedene Sparten im HipHop, vielen ist Authentizität wichtiger als gutes Aussehen.
CM: Dass Missy Elliot so stark abgenommen hat, sich selbst also der aktuellen optischen Norm unterwirft, hat viele Frauen "enttäuscht" - könnt Ihr das nachvollziehen? Glaubt Ihr, Missy Elliot wird auch als stromlinienförmige Künstlerin ihren Ausnahmestatus behalten?
MW: Ich finde es auch ein bisschen schade um Missy. Sie hat ja auch so eine Popstars-Sendung in den USA gemacht und ich war hier in Deutschland auf einem superkurzen Konzert von ihr, das eher wie eine Adidas-Werbung wirkte. Aber ich würde ihr ihre kommerziellen Interessen nicht ankreiden, sie steht ja auch für eine Business-Frau, die alles selbst managt.
CM: Mary J Blige und Missy sind DIE Vorzeige-HipHop-Künstlerinnen - das aber auch schon eine ganze Weile. Wer sind die neuen Queens?
MW: Beyonce ist natürlich ziemlich dominant, andere wie Ciara oder Rihanna finde ich ja etwas nichtssagend. Aaliyah fand ich ziemlich toll, aber sie hat keine so grosse posthume Karriere gemacht wie Tupac oder Biggie. Abwarten.
CM: Was macht HipHop/Rap zu einer solch attraktiven Musikrichtung, beziehungsweise zu einem so attraktiven Style für Jugendliche? Kaum ein Genre erfährt über so viele Jahre hinweg solchen Zuspruch ….
MW: Ich vermute mal, dass HipHop noch am ehesten so etwas wie eine rebellische Jugendkultur repräsentiert, weil HipHop provoziert. Das macht auf jeden Fall diese Seite populär. Auf der anderen Seite ist der HipHop, der in Richtung R&B geht, natürlich auch gefällig und eignet sich gut als Hintergrundmusik. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Rockmusik nicht doch dominanter ist. Bei MTV seh' ich kaum HipHop …
CM: Kaum ein Musikstil ist so voller Widersprüche wie HipHop (Macker- und Machotum versus mächtige Queens und Mommas, Armut versus Markenkult, etc.pp.) - trotzdem wirkt HipHop für Aussenstehende sehr homogen mit seinen vielen strikten Regeln. Glaubt Ihr, Jugendliche wünschen sich vielleicht einen Style, der auf Regeln aufbaut? Um sich so auch von anderen abzugrenzen?
MW: Ja, neben der Provokation glaube ich, dass die klaren Codes und der Wettbewerb wahrscheinlich anziehend wirken, und wahrscheinlich eher auf Jungs. Aber wie man beobachten kann, basiert jede Mode darauf, einem Code zu entsprechen und in den Details raffinierter zu sein als die anderen - HipHop eignet sich gut dafür.
CM: Gibt es Dinge im Rap/HipHop, die Euch stören – zum Beispiel die inflationäre Verwendung von Begriffen wie "real" oder "respect"?
MW: Wie gesagt, glaube ich, dass das ein Teil des Authentizitätsgedanken im HipHop ist,
er stört mich nicht wirklich, was mich gerade am meisten stört ist die Tendenz, dass HipHop immer rockiger wird. Die letzte Mos Def-Platte zum Besipiel.
CM: Im HipHop steht häufig der battle, die competition im Vordergrund - kommt Ihr damit klar? In anderen popkulturellen Szenen spielt das „Batteln“ ja keine so grosse Rolle (z.B. bei Goths)
MW: Ich persönlich kann damit nicht so viel anfangen, aber ich mag auch keinen Sport, und der Battle repräsentiert wohl die sportliche Ebene im HipHop. Irgendwie ist es lustig, vor allem in terms of Goldketten, Autos etc. Weil es so 'neureich' wirkt und etwas peinlich ist, aber auch lustig.
CM: Gab es Rapperinnen, Musikerinnen (ihr müsst ja keine Namen nennen), die eine Beteiligung am Buch explizit abgelehnt haben?
MW: Nein, wirklich nicht.
CM: Auch wenn Sabrina Setlur und 3p in Eurem Buch nicht vorkommen: glaubt Ihr, die Rödelheimer können in Zeiten von Aggro Berlin (wieder) erfolgreich werden? Hat Sabrina Setlur mit ihrem kommenden Album eine Chance?
MW: Wahrscheinlich eher auf einem anderen Marksegment. Ich kenne die neue Platte noch nicht, aber wenn es in Richtung … (mir fällt gerade der Name nicht ein, ehemals Mannheim, jetzt Schlagersänger**) geht, wird es wohl eher R&B oder sogar Schlager werden, vielleicht mehr was für Erwachsene.
** Michaela meint wahrscheinlich Xavier Naidoo
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CM: Wenn es einen zweiten Female HipHop-Band geben sollte, was wollt Ihr darin unterbringen?
MW: Mehr amerikanische und nicht-weisse Autoren und Autorinnen, ganz repräsentationspolitisch gedacht.
CM: Dein Lieblings-female HipHop-Stück of all times:
MW: Da ich ein grosser Mary J. Blige Fan bin: Ihr Remake von 'Everything'.