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Juni 2007
Robert Mießner
für satt.org

DISCO 3000
03

Voodoo in Hackney
- Fraud - s/t -



Fraud
Babel Records 2007

Fraud
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Fraud
Foto: James Emmerson

Die Musik wird immer besser. Diese hier feiert und klagt, packt energisch zu, tastet sich zaghaft vor, ist exzentrisch und melodisch. Drei Engländer, einer davon auf den Bahamas geboren, ein Deutscher und ein Norweger spielen Jazz ohne Snobismus, Punk ohne Pose. Betrüger nennen sie sich. Und sind doch eher Verwirrer. Dekomponisten wollen sie genannt werden, nicht Komponisten. Zu ihren Konzerten nehmen sie selbst gestaltete Fanzines mit, stilecht in der Manier von B-Movies der fünfziger Jahre. Sie pflegen einen Humor, der auf dem Festland gerne britisch genannt wird. Ein Magazin bescheinigt ihnen, das Jazzäquivalent zum Texas Chainsaw Massacre zu sein und verkündet, Fraud hätten ein neues Jahrhundert Improvisierter Musik eingeläutet. Sie lieben ihre Superlative, die Kritiker aus der Inselhauptstadt. Ihre Begeisterung ist allerdings nur zu verständlich.

Fraud sind Bassklarinettist, Tenor- und Baritonsaxofonist James Allsopp, Tim Giles an Schlagzeug und elektronischer Perkussion, Keyboarder Philip Hochstrate, Schlagzeuger Ben Reynolds und Stian Westerhus an der Gitarre. Der Bass, obwohl in ihrer Musik allgegenwärtig, wird geteilt. Allsop und Hochstrate haben Akademien besucht, Westerhus in seiner norwegischen Heimat Black Metal gespielt. Bevor er auf einen Lärm ganz anderer Art gestoßen ist. Sie sind Teil einer jungen, experimentierfreudigen Londoner Jazzszene, die die teure Innenstadt verlassen hat, in die ärmeren und erschwinglichen Viertel Hackney und Bethnal Green Infinite Livez’ Heimat) gezogen ist und auf dem Babel Label einen spirituellen und materiellen Hafen gefunden hat. Ihre Bands hören auf Namen wie Led Bib oder Acoustic Ladyland. Ihre Musik solle Freude bereiten und nicht mit Leichenbittermiene konsumiert werden. So der dringende Wunsch der Abenteurer, die im nahegelegenen Dalston mit dem Vortex ihre Plattform und Bühne haben. Auf ihr haben sich Fraud einen legendären Ruf erspielt. Bevor sie während des renommierten Cheltenham Jazz Festivals für das Konzerthighlight des Jahres 2006 sorgten, wie Zeugen berichten. Vorschußlorbeeren, eine heikle Angelegenheit, folgten in Windeseile. Bevor es überhaupt erschienen ist, wurde ihr Debütalbum für den BBC Jazz Award nominiert.

Fraud

Fraud nun sind unter der Last des frühen Lobes nicht etwa zusammengebrochen, sondern haben ein Album der Extraklasse veröffentlicht. Hymnisch beginnt es, atmosphärisch klingt es aus. Clatter, der perkussive erste Song, solle Albert Ayler vorstellen, wie er in der Küche stürzt. Sagt Giles. Wie gesagt, Fraud sind in der Mehrheit Engländer. Linctus, Insect und Glasses bieten betörende Ambientstudien, Keyboardfragmente und Glockenspiel inbegriffen. An anderen Stellen kann, wer will, den Miles Davis der siebziger Jahre, mit Frank Zappa diskutierend, heraushören. Auf Voodoo Teeth bündeln Fraud ihre stilistische Bandbreite in einem einzigen Song: Was vorsichtig beginnt, wird alsbald von einer mächtigen Orgel unterbrochen, gerät abgehackt und hektisch, endet in Stille. Die Mystery Box enthält in der Tat ein Rätsel. Seit Tagen frage ich mich, ob John Carisis und Gil Evans’ Moon Taj Pate gestanden hat, eines der großen Beispiele für Dramatik und Struktur, die auf Platte gepresst worden sind. Reden wir nicht zuviel. Hören wir lieber Into The Hot und Fraud. Die Musik war selten besser.



» myspace.com/fraudsound
» babellabel.co.uk