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Mai 2007
Christina Mohr
für satt.org

Sinbeats


Sinbeats
(Finest Noise 2006)

Sinbeats
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Die Sinbeats aus Frankfurt existieren seit stolzen 17 Jahren: 1990 als Trio in Frankfurt und im mittelhessischen Unistädtchen Giessen gegründet, spielte die Band bis 1998 über 100 Livekonzerte und nahm zwei Alben auf ( "Get High"/1991, "Howl!"/1994). Als Bassist Karl 1998 die Band aus privaten Gründen verliess, suchte man per Anzeige nach einem neuen Bassisten und fand Arkadius, seit 2006 ist mit Arve ausserdem ein zweiter Gitarrist an Bord, der live zur Vielschichtigkeit des Sinbeats-Sounds beiträgt. Klang die Band in ihren Anfangszeiten noch sehr spartanisch-rockig, steht spätestens seit den Nullerjahren das ausgefeilte Songwriting von Harry Wolff und Wolfgang Huth im Zentrum der Musik. Heute hören sich die Sinbeats im besten Sinne zeit- und ortlos an: stilistisch vergleichbar mit Bands wie Joy Division, Interpol, Cure, Sisters of Mercy, Pink Turns Blue, The Mission. Aber die Sinbeats sind keine Achtzigerjahre-Zombies, sie transportieren das Wave-Feeling ins Hier und Jetzt. Das seit einigen Monaten erhältliche, schlicht "Sinbeats" betitelte Album enstand über einen Zeitraum von gut drei Jahren - den Songs hat die lange Reifezeit gutgetan, das Album wirkt wie aus einem Guss, die Songs "gut abgehangen" und perfekt inszeniert. Die Grundstimmung ist in einem satten Moll gehalten, melancholisch, aber energetisch und voller Intensität. Die relativ lange Entstehungsdauer der Stücke führte dazu, dass kein einziger Hänger auf der Platte ist (bei immerhin 13 Songs keinesfalls selbstverständlich): Der Opener "Down the Line" ist druckvoll, eingängig und besitzt eine ganz grosse Melodie, die Klassikerqualitäten hat. Die Ballade "Annabel Lee" braucht Vergleiche mit Nick Cave nicht zu scheuen, "Farewell", "Durango", "Poor Jack" oder das rockige "Sunshine" sind echte Hits. Auch wenn die meisten Rezensionen auf den Gitarrensound und die melancholisch-düsteren Vocals abheben, setzt sich der charakteristische Sinbeats-Sound aus vielen Komponenten zusammen, besonders prägnant sind die Percussionelemente. Die Band verwendet gern rock-untypische Instrumente wie Bodhran-Drums, Djembe oder eine Balalaika; durch den Einsatz von Effektgeräten wie Chorus entstehen flirrende, schwebende Gitarrensounds, die man beim flüchtigen Hören für Synthiesounds halten könnte. Dazu kommt, dass die Sinbeats zwei Sänger haben: Schlagzeuger Wolfgang und Gitarrist Harry singen abwechselnd - in Englisch. Warum?
Harry Wolff: "Wir hatten auch mal ein Lied mit deutschem Text, das wir wieder aufgegeben haben. In Englisch kann man andere Melodien singen - aber ich will nicht ausschliessen, auch ein deutsches Stück zu schreiben, wenn ich dafür eine gute Idee habe. Wir sehen uns als internationale Band -- unsere Website ist zweisprachig, die englische Seite wird häufiger angeklickt, in den letzten Webstatistiken interessanterweise am häufigsten aus den USA, die letzte Bestellung über unseren internationalen CD-Shop kam aus Kanada!" Die englischsprachigen Lyrics tragen dazu bei, dass das Album neben Deutschland auch und gerade im Ausland wahrgenommen wird: Sinbeats erhalten Reviews aus USA, Spanien, Italien, Frankreich, Belgien, Niederlande, Polen, Portugal, Argentinien, Südafrika und sogar die UK-Ausgabe des "Metal Hammer" widmete ihnen eine Besprechung, ihre Songs werden von ausländischen Radiosendern gespielt.


Sinbeats sind (CD-line-up):
Harry Wolff: Vocals, Guitars, Keyboards, Balalaika
Wolfgang Huth: Vocals, Drums, Percussions
Arkadius Neumann: Bass
Nachfolgend ein Gespräch mit Harry Wolff und Wolfgang Huth:

CM: Apropos Internet: Hilft Euch das Netz mit all seinen Foren, Blogs und Communities, besser wahrgenommen zu werden?
HW: Es hilft schon und bietet mehr Möglichkeiten -- aber du musst auch gefunden werden in diesem Ozean! Es gibt dort auch immer mehr Bands! Andere mit grossem Budget blicken von jeder Plakatwand …

CM: Aber es gibt doch immer häufiger "Internetwunder" wie der Erfolg der Arctic Monkeys zeigt …
HW: Dahinter stehen doch meist auch Promoter, ich glaube nicht, dass so etwas nur durch Bandaktivitäten entstehen kann.

CM: Ich habe ein Interview mit Euch bei www.schallgrenzen.de gefunden, in dem Ihr sagt, Ihr hättet keine Vorbilder. Nun kann man aber doch Einflüsse verschiedener Wave-Bands in Eurer Musik ausmachen. Welche Musik mögt Ihr?
HW: Wir haben immer einen eigenen Weg verfolgt, natürlich gibt es auch Einflüsse, wir haben viele Lieblingsbands. Die alleinige Fokussierung auf 80er Wave/Gothic Bands bei etlichen Reviewern kann ich so nicht nachvollziehen, sie stört mich aber nicht, da es häufig sehr positiv gemeint war. Bands wie Joy Division, Cure, Sisters etcetera höre ich ab und zu gern, sie zählen aber nicht zu den Scheiben, die ich besonders häufig auflege, wir sind keine Retro-Band, wir haben eigene Melodien, licks, die vocals klingen anders. Viele andere Reviewer haben uns zwischen 80s Wave/Gothic und 00er-Alternative Rock eingeordnet oder als New New Wave, Neo Wave, Dark Alternative, Wave/Modern Rock, Beschreibungen die vielleicht zutreffender sind, wieder andere verglichen uns mit Franz
Ferdinand, Suede, Coldplay …Uns gefallen Sachen, die aus ganz unterschiedlichen Ecken kommen, Johnny Cash, Placebo, Morrissey, Beasts of Bourbon, Elvis, Can, She wants revenge oder Ennio Morricone … Grunge, Surf, Blues, TripHop, manchmal auch HipHop wie z. B. den WuTang-Clan/Soundtrack von Ghost Dog. Uns ist der Song an sich wichtig, weniger eine bestimmte Band. Ich mag einfach gute Songs! Und ich schaue mir viele Bands live an, kürzlich zum Beispiel Woven Hand, das war sehr beeindruckend.

CM: Aergern Euch denn Vergleiche mit anderen Bands?
Wolfgang Huth: Das kommt auf die Formulierung und den Kontext an. Wenn unsere Platte den Reviewer an andere Sachen erinnert, also eine Bestandsaufnahme vorgenommen wird, ist das in Ordnung. Ärgerlich ist es, wenn jemand schreibt, "das klingt wie schon hundertmal gehört." Das wird uns und unserer Musik nicht gerecht. Ein Amerikaner verglich uns mit Iggy & the Stooges und The Damned, Joy Division (wegen der Stimme). Unsere Musik wird mit einem gewissen Druck gespielt, was den Vergleich mit den Stooges durchaus rechtfertigt.
HW: Wenn Vergleiche mit anderen Bands dazu führen, das sich die Leute für unsere Musik interessieren, ist es ok. Im Übrigen galube ich nicht an eine stetige Weiterentwicklung: es ist immer alles gleichzeitig da, gute und schlechte Musik. Früher war jedenfalls nicht alles besser. Ich lebe gern in der Gegenwart und denke nicht rückwärtsgewandt - Zeit ist ja auch nur eine Idee, die in anderen Kulturen eine ganz andere Bedeutung hat.

CM: Gibt es eine bestimmte Platte, die Euch zum Musikmachen gebracht hat?
HW: Weniger eine einzige Platte, ich war immer von der Livesituation begeistert: Ich bin mit ungefähr 15 Jahren zum ersten Mal zu Konzerten gegangen und mir hat es gefallen, was die Leute auf der Bühne machten - das wollte ich auch! Zu dieser Zeit fand ich zum Beispiel Eric Burdon klasse, mir gefiel sein Gesang.

CM: Seht Ihr Euch im Gothic-Umfeld? Eure Platte wurde in Zillo und Sonic Seducer besprochen …
WH: Eher am Rand von Gothic, obwohl es durchaus Berührungspunkte gibt. Wir sind nicht vordergründig "dark", es ist eher die Stimmung, das Gefühl in unserer Musik das diesen Aspekt beinhaltet. Leute, die uns hören, kommen aus verschiedenen Ecken, es gibt Gothic-, Metal-, Rock-, Indie-, Wave-, Britpop, Songwriter-Fans - oder auch Leute, die sonst ganz andere Musik hören, fühlen sich von uns angesprochen. Wir haben eine sehr bunte Fangemeinde.
HW: Vielleicht zwischen Wave/Gothic und Alternative Rock/Indie. Unsere Musik ist dunkel, rockt aber auch, hat eingängige, leidenschaftliche/enthusiastische Melodien. In einigen Texten kommen Tod, Verlorenheit, viel Negatives, das uns umgibt vor, dem wir nicht ausweichen wollen. Trotzdem geht es genauso darum, etwas zu erleben, Mut zu haben, ein Herz.
WH: Wir tragen schon meistens schwarze Klamotten, aber weil es uns gefällt, nicht weil es eine bestimmte musikalische Stilrichtung ausdrückt. Im bunten Ringelpulli würde allerdings wohl keiner von uns auf die Bühne gehen ….

CM: Was hat Punk für Euch bedeutet?
WH: Punk hat vieles möglich gemacht. Man konnte einfach auf die Bühne gehen und anfangen, auch wenn man kein versierter Musiker war. Punk war eine Haltung. eine Meinung, ein Standpunkt. Ähnlich wie Joseph Beuys es für die Kunst formulierte, jeder konnte, wenn er wollte, sich musikalisch ausdrücken - das rauslassen, was ihn beschäftigte.
HW: Punk hat gezeigt, dass du was wert bist, auch wenn du nicht perfekt bist. Punk hat viel Mut und Intensität bewiesen - für Leute, die sich nicht alles gefallen lassen. Obwohl wir keine Punkband sind, hatten wir doch - gerade am Anfang - diese Attitüde, es "einfach zu machen", obwohl wir musikalisch damals auch längst nicht so versiert waren wie heute

CM: Wie entstehen Eure Texte, was inspiriert Euch?
WH: Inspiration kann alles mögliche sein: ein Buch, ein Film, Gedanken, Reisen, Alltagsbeobachtungen, persönliche Erlebnisse … das, was mich beschäftigt.
HW: Wir wollen keine Weltverbesserer sein, unsere Texte sind sehr persönlich, es geht um Gefühle, Eindrücke, Stimmungen, Liebe, die Welt, die uns umgibt. Die Umstände, in denen wir leben, sind grundsätzlich falsch - wo sollen wir da anfangen? Ich kann auch keine Lösungen anbieten, wie das Wirtschaftssystem besser funktionieren kann oder sowas. Mich interessiert das Leben an sich, Freiheit, Freundschaft, Erleben - nicht unbedingt der Drang, immer voranzukommen, immer "besser" zu werden. Mit dem Umstand, dass man geboren wird und irgendwann stirbt, muss man ja irgendwie klarkommen. Das ist bitter, das kann und will ich nicht verschweigen..

CM: Wie entsteht ein Sinbeats-Song?
WH: Da gibt es in der Regel bei uns zwei Varianten: es gibt einGitarrenriff oder einen Basslauf aus dem wir dann den Song erarbeiten – oder es gibt bereits einen "fertigen" Song im Kopf der dann gemeinsam arrangiert wird. Es ist ein Prozess bei dem die Interaktion untereinander eine große Rolle spielt.
CM: Kommt erst die Musik oder erst der Text?
WH: Üblicherweise entsteht zuerst die Musik, dann der Text. Es ist wesentlich schwieriger, die Musik an den Text anzupassen.

CM: Wieviele Eurer Ideen bleiben unausgeführt?
Beide: Zwei Drittel (haha)! Man hat zum Beispiel einen starken Refrain, zu dem man keine passenden Teile findet - das kann man nicht vorhersehen. Wir haben jedenfalls umfangreiche Archive!

CM: Mit welcher Stilrichtung würdet Ihr gern experimentieren?
HW: Wir kriegen schon meistens alles unter, was wir ausprobieren wollen - wenn es auch manchmal nur kleine Teile sind, zum Beispiel jazzige/50' s-Elemente bei "Shell Beach". Dadurch, dass wir Elemente aus verschiedenen Stilen verwenden, entsteht in der Gesamtheit der charakteristische Sinbeats-Sound.

CM: Positioniert man sich durch eine Stilrichtung automatisch (zum Beispiel politisch)?
HW: Man gibt schon eine Grundrichtung oder -einstellung vor, dazu brauchen wir aber keinen Extrabadge, auf dem ein Slogan draufsteht.

CM: Gibt es eine "Sinbeats-Philosophie"? Auf Eurer Website steht der Satz "Our Melodies have something to say" …
WH: Nicht im Sinne eines Dogmas, natürlich fliesst unsere Sicht der Dinge in die Musik mit ein, aber wir verkünden keine allgemeingültigen Botschaften, keine fertigen Erklärungen. "Our Melodies …" meint: wir haben Dir was zu sagen, finde für Dich persönlich heraus, was es ist.
HW: Melodie und Text ergeben zusammen mehr als nur Töne und Worte, sondern es werden Stimmungen und intensive Gefühle transportiert, das kann bei uns sehr tief sein. Wie bei manchen Fotografien: es ist mehr drauf als nur das eigentliche Motiv.

CM: Wie hält man über 15 Jahre und länger die Begeisterung am Musikmachen?
WH: Eine gemeinsame Vision, Freundschaft, Energie …wir schüren das Feuer, solange es brennt.
HW: Die Leidenschaft für die Musik lässt uns weitermachen. Der Rock'n'Roll-Lebensstil ist ein Teil von mir und der wird bleiben!

CM: Hat der Indiestatus für Euch auch Vorteile?
WH: Ganz sicher, wir haben keinen Druck von Plattenfirmen. Aber Druck seitens der Kritiker besteht durchaus: man muss etwas Neues, Richtungsweisendes abliefern …
HW: Du kannst Musik nicht neu erfinden, die ist schon da. Du kannst ihr nur deinen eigenen Stempel aufdrücken, Deine Seele, dein Gefühl, dein Herz, deine Melodien einbringen.

CM: Was bedeutet Frankfurt für Euch?
WH: Frankfurt spielt für unsere Musik keine allzu grosse Rolle.Wir wären auch die Sinbeats, wenn wir in Berlin wohnen würden.

CM: Wolltet Ihr denn jemals nach Berlin?
WH: Irgendwann stand es mal zur Debatte, doch dann sind wir in Frankfurt gelandet! Berlin war für Künstler während der Achtziger sicherlich eine kreative Insel, ob das heute noch so ist, weiss ich nicht … Innerhalb Frankfurts gibt es allerdings kein vergleichbares
Netzwerk, bis auf vereinzelte gemeinsame Auftritte gibt es nur wenig Austausch mit anderen Frankfurter Bands (Ausnahme: Unter dem Motto "Heimspiel" spielten die Sinbeats gemeinsam mit der Frankfurter Band The Cold am 22.4.07 im Nachtleben/Anm. cm)

CM: Ihr dürft Euch einen Gastmusiker -- tot oder lebendig -- aussuchen:
WH: Das ist schwer … kommt auf das Stück an. Es wäre eine lustige Idee, pro Song einen anderen Gast auf die Bühne zu holen!

CM: Spielt Ihr gerne live oder seid Ihr lieber im Studio?
WH: Das kommt auf den Club an, wenn die Anlage und die Bühne gut sind, macht es wahnsinnig viel Spass.
HW: Früher als Trio hatte das live eine ganz eigene Magie: man muss unheimlich straight spielen, jede Note muss sitzen, man kann sich nicht hinter anderen verstecken.

CM: Ein Schlussatz:
Sinbeats: Grüsse an alle satt.org-Leser, eine gute Zeit!
Und: Auf tonspion.de gibt es einen freien Song („Farewell“).


Sinbeats zum Anhören und Bestellen:
finetunes | Itunes

CD Shop:
Indietective (kleinerer Indie Shop/mailorder bei Hannover)

mailorder:
dimension7-records.de

Vertrieb:
www.icare-media.de
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