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April 2007
Robert Mießner
für satt.org

Die Stille nach dem Schmus

Sepiatone “Darksummer”
Marta Collica “Pretty And Unsafe”


Marta Collica:
Pretty And Unsafe

Desvelos, Italien 2007

Marta Collica: Pretty And Unsafe



Sepiatone:
Darksummer

Desvelos, Italien 2005

Sepiatone: Darksummer


Manche freilich hören nach der Arbeit Motörhead. Im Prinzip verständlich und richtig so, nur: Wer je sein Brot in einem Callcenter verdiente, der weiß sie zu schätzen, die Stille nach dem Schmus. Da kommen zwei Alben gerade recht, die Pause und Stille als Stilprinzip benutzen. Marta Collica, Songwriterin und Keyboarderin, beruflich und privat mit Hugo Race zusammen, spricht von Minimalismus, Downtempo, sieht Ruhe und Stille als Werte an sich: “Beide helfen mir, meine Gefühle überhaupt wahrzunehmen und eine Seite in mir zu erkunden, die ich anderweitig kaum ausdrücken könnte.” Zu hören, zu bestaunen ist das auf ihrem Solodebüt Pretty And Unsafe und Sepiatones Darksummer, ihrem gemeinsamen Projekt mit Race, Wahlsizilianer und Blueserneuerer mit Bad Seeds-Vergangenheit.

Bevor jetzt gleich wieder die obligatorischen Assoziationen, Berlin, Bier und böser Kater, einsetzen, fahren wir lieber weg. Auf in den Süden Italiens, nach Catania, Sizilien, um genau zu sein. Wo Chaos Routine ist. Die Musikstadt des Landes, wie Marta Collica betont, trotz Isolation und mangelnder Größe inspirierend und lebendig. Wo sie aufwuchs, mit Ennio Morricone und Nino Rota, der Musik zu den italienischen Filmen der sechziger und siebziger Jahre: “Musik habe ich schon in meiner frühesten Kindheit gehört. Ich habe auch ziemlich bald schon in Bands gesungen. Bloß lange hat das nie gehalten, ich war zu schüchtern. Also habe ich mich alleine ans Klavier gesetzt, im Badezimmer meinen Gesang aufgenommen. Weil da die Akustik am besten war. Wobei ich zuerst gar keine Musikerin werden wollte. Tanzchoreografin war mein Berufswunsch, und ich habe das auch studiert. Die Faszination Musik war trotzdem immer da, und ich habe ihr dann mehr und mehr Zeit gewidmet, mir selber das Klavierspielen beigebracht. So ist dann eine Leidenschaft daraus geworden.” Erste Auftritte und Platten folgen bei Cesare Basiles Groovy Guru, inspiriert vom staubigen amerikanischen Blues und der bilderreichen italienischen Folklore. Kurz darauf Micevice und, den Mitteleuropäern wohl am besten bekannt, als festes Mitglied der John Parish Band. Mit der Marta Collica in diesem Monat auf Tour gehen wird.

Kommt die Rede auf die Biographie der Musikerin als Hörerin, erinnert sie sich an Joni Mitchells Blue, Carole Kings Tapestry, die Beatles, die Rolling Stones und Velvet Underground. Marta Collica verehrt die Produktionsweise Phil Spectors, liebt den Soul der Righteous Brothers, Ike und Tina Turner, Dusty Springfield und Al Green. Später die Talking Heads und Brian Eno, Lee Hazlewood und Serge Gainsbourg: “Sie alle sind bis heute meine Klassiker.” Es ist übrigens der große Franzose, durch den sie die Musik Mick Harveys und Anita Lanes entdeckt. Wobei sie eins zugibt: “Kaum zu glauben, aber ich habe tatsächlich nicht alle Platten der Bad Seeds gesammelt, obwohl Hugo so eng mit ihnen verbunden ist. An Nick Caves Musik gefallen mir die eher innigen, freundlichen Momente.”


John Parish And Band in Deutschland:
13. April 2007 - Saarbrücken Sparte 4 / mit Raphelson
14. April 2007 - Ludwigshafen Das Haus / mit Raphelson
15. April 2007 - Dresden Star Club / mit Raphelson
16. April 2007 - Rosenheim Hammerhalle / mit Raphelson

Einkehr, Meditation geradezu nun auf ihren beiden Platten. Dabei handelt es sich um zweierlei Stille. Sepiatone ist die mediterrane, südliche Variante des Schweigens. Musik aus Gärten und Hinterhöfen im Frühling, ein leichtes Getränk zur Hand an einem späten Nachmittag. Marta Collica erzählt, wie die Arbeit mit dem Melbourner Hugo Race sie inspiriert hat, ihr sizilianisches Erbe zu untersuchen, sich noch einmal die italienische Musik ihrer Kindheit anzuhören. Bald waren beide begeistert. Darksummer, das ist in der Tat die Musik alter Filme und alter Platten. Sogar das Kratzen des Vinyls haben sie liebevoll eingearbeitet, im traumhaften C’e Dio und auf Inside The Sun, einem Stück errungener Zuversicht. Analoge und elektronische Klänge leben hier friedlich zusammen, ergänzen einander gar: “Ich denke, wer sich einem Instrument, das so ’wild’ ist wie der Synthesizer, anvertraut, wird ihm völlig originelle Klänge entlocken können. Das Instrument hat einen sehr eigenen Kopf. Am Synthesizer interessiert mich gerade die psychedelische Unberechenbarkeit, die er nun mal hat.” Zum Stichwort: Saboteur könnte denen gefallen, die sich nicht zwischen Stereolab und Joni Mitchell entscheiden wollen müssen. So dunkel, wie im Titel angekündigt, muss der Sommer nicht werden. Nicht mit diesem Album und seinen zwölf Miniaturen zwischen Soundtrack und Songwriting.

Marta Collica
Marta Collica
Marta Collica

Verstärkt auf letzteres setzt Pretty And Unsafe, spontan entstanden in Abgeschiedenheit und ländlicher Umgebung, unmittelbar danach aufgenommen: “Ich habe alle diese Songs so schnell wie möglich eingespielt, ohne mir allzu viele Gedanken über Form und Struktur zu machen. Sie sollten die Gefühle, die ihnen zugrunde lagen, möglichst exakt und klar wiedergeben.” So minimalistisch gehaucht das Album auch klingt, Hugo Race hat ihr aus den frühen Demotapes eine CD für den Hausgebrauch zusammengestellt, sie Pretty And Dangerous genannt. Wohl wissend, dass diese Platte auf subtile Art und Weise süchtig machen kann. Pretty And Unsafe steht für die Suche nach Perfektion und die unerwarteten, alltäglichen Details, die dabei im Weg stehen. Faded Bloom, einer der anrührendsten Songs des Albums, berichtet von einer Kindheitsbegegnung mit Zigeunern auf der Landstraße: “Ich war mit anderen Kindern unterwegs, und für Stunden haben uns diese Unbekannten mit Musik und Essen versorgt, haben mit uns getanzt. Sie haben uns ein Gefühl von Freude und Freiheit vermittelt, und das erste Mal in meinem Leben war mir bewusst, dass ich komplett Fremden trauen kann.” Wie ihr Schwesteralbum ist die Platte mit zahlreichen Zeichnungen Collicas illustriert. Katzen, Vögel, ein Mädchengesicht und Pflanzen – dafür gibt es diesmal kein Textblatt. Mit Absicht: “Songs zu schreiben ist für mich eine zutiefst mysteriöse Angelegenheit, ein Prozess ohne viel Rationalität. Und ich wollte, dass der Hörer Teil dieses Mysteriums wird. Als wir die Songs aufgenommen haben, hatte ich viele der Texte nicht einmal fertig geschrieben, sondern ließ mich im Moment, während ich sang, zu den endgültigen Zeilen inspirieren.”

Marta Colica ist das Wunder gelungen, dass ihre Platte an keiner Stelle fragmentarisch, sondern atmosphärisch und offen klingt. Gemeinsam mit einer beeindruckenden Liste von Gästen: Hugo Race wie auch John Parish und Cesare Basile haben geholfen. Und zwei in Deutschland selten gehörte Namen: Giorgia Poli ist Bassistin in Parishs Band, in unzähligen italienischen Projekten aktiv und seit langem mit Collica befreundet. Enrico Sorbello am Cello stammt ebenfalls aus Catania. Ironischerweise hat sie ihn aber erst in Berlin getroffen: “Er ist ein großartiger Cellist, kommt aus der Barock- und Experimentalmusik. Freiheit und Sensibilität, das ist es, was ich an seiner Musik mag.” Freiheit und Sensibilität – das könnte genau so gut als Motto über diesen beiden Platten stehen, nach denen man im Laden wohl leider wieder fragen muss. Wer bereit ist für das Abenteuer Stille, sollte Augen und Ohren südwärts richten. Es wird eine Reise werden, die lange im Gedächtnis bleibt.



» www.sepiatone.net
» www.myspace.com/martacollica