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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Januar 2007
Christina Mohr
für satt.org

Neue Sampler

So schief kann kein Rahmen sein, der diese drei Sampler unter einen Hut bringt und bevor die Metaphern immer krummer werden, soll's lieber gleich losgehen …

Shtetl Superstars – Funky Jewish


Shtetl Superstars
– Funky Jewish

Trikont 2006

Cover
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Wie klingt jüdische Musik? Ganz einfach, wie Weltmusik im besten Sinne – da Juden überall auf dem gesamten Erdball leben, machen sie auch überall Musik. Das “Shtetl” befindet sich nicht mehr in Galizien oder Litauen, sondern ist ein globales Dorf geworden.

Yuriy Gurzhy, Wladimir Kaminers Kollaborateur in Sachen Russendisko und Lemez Lovas, DJ und Musiker der Band OiVaVoi haben 19 Stücke zusammengetragen, die zum einen mit dem Vorurteil aufräumen, jüdische Musik klinge heute grundsätzlich wie die Epstein Brothers (also Klezmer), andererseits ein Bewusstsein dafür schaffen, dass jüdische Musiker Meister im Mixen und Verbinden verschiedenster Stilrichtungen und kultureller Backgrounds sind. Zwischen Russendisko und Bucovina Club, melancholischen osteuropäischen Klängen und hebräischen Texten erlangt man die Erkenntnis, dass man sich einen vergleichbaren Sampler mit “funky catholic tracks” oder “groovy protestant songs” nicht wirklich vorstellen kann.

Den charakteristischen Klezmersound aus dem “Shtetl” ihrer Grosseltern transportieren sie in die heutige Zeit und verquirlen jiddisches Liedgut, chassidische Elemente, Reggae, Ska, Punk, und HipHop gehörig durcheinander, bis einem ganz schwindelig wird. Die Tanzbarkeit steht bei fast allen Tracks im Vordergrund: Yuriy Gurzhy übernimmt das Konzept der Russendisko-Compilations und -Veranstaltungen, deren völkerverbindender Erfolg nicht zuletzt auf der Erschöpfung der Tanzenden beruht. Das britisch-kanadische Duo Solomon & So-Called spielt eine Mischung aus HipHop und jiddischer Hochzeitsmusik, MookE aus Israel rappt zu arabisch anmutenden Klängen, Balkan Beat Box, ein amerikanisch-israelisches Trio mixt Housegrooves mit Klezmer und Terry Hall (DER Terry Hall von den Specials und Fun Boy Three) hat sich mit Mushtaq von Fun-da-mental zusammengetan, um einen arabisch-jüdischen Track aufzunehmen, der in einer besseren Welt den Friedensprozess befördern würde. Boom Pam aus Tel Aviv verbinden satten Tubasound und quecksilbrig gespielte Gitarren zu einer rasanten Bouzukiinterpretation, Funpunk mit Klezmerwurzeln gibts von Ha Biluim aus Israel.

New York Noise Volume III


New York Noise
Volume III

Music from the New York
Underground 1979 - 1984
Soul Jazz 2006

Cover
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Die beiden Vorgänger dieser Compilation, New York Noise I und II, setzten den Schwerpunkt auf Wave-Funk-Disco-Tracks, die in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren im Big Apple entstanden sind. Bands wie James White and the Contortions, ESG, Konk und Rammellzee luden zum Tanze, der vielleicht komisch aussah, aber immerhin möglich war. NYN III, wieder beim fabelhaften Soul-Jazz-Label erschienen, stellt eher untanzbare Elektrotüfteleien und -mutationen zum Teil völlig unbekannter New Yorker Künstler vor, von denen einige wie Technovorläufer klingen, andere nehmen EBM vorweg. Einendes Moment ist die Lust am Frickeln und Experimentieren mit den damals revolutionär neuen technischen Geräten. Zusammengestellt wurde NYN III von Stuart Argabright, einem visionären Elektromusiker und Produzenten, der seit 1978 in verschiedenen New Yorker Formationen aktiv war, er steckt zum Beispiel hinter den Projekten Ike Yard und Dominatrix, die auf dem Sampler zu hören sind. Die beiden Ike-Yard-Tracks bestehen aus tonlos knatternden Prä-EBM-Sounds und urbanem Wahnsinn, man kann sich gut vorstellen, dass Alan Vega Ike Yard sehr geliebt hat. “City That Never Sleeps” von Dominatrix ist ebenfalls dunkel und kalt, ein präzise agierender Drumcomputer peitscht den Track durch die Nacht. Auch wenn sich einige der von Argabright ausgesuchten Tracks heute sperrig und unzugänglich anhören, sind es gerade diese, die man als charakteristisch und zukunftsweisend für den kühlen, computergesteuerten Sound der Achtziger bezeichnen kann.

Die obskure und mysteriöse Band Implog eröffnet New York Noise III mit dem scheppernden, pfeifenden Track “Sea Creatures”, der klingt wie die B-52's nach einem Sack Tranquilizern. Der zweite Implog-”Song” auf diesem Sampler heisst “Holland Tunnel Dive” und ist das längste, verwirrendste und interessanteste Stück der Compilation. “Holland Tunnel Dive” beginnt federnd-pluckernd, über stoischem Drumcomputerrhythmus sind vocoderverzerrte Stimmen auszumachen, die von fräsenden Störgeräuschen überlagert werden, bis man es kaum noch ertragen kann. Der Track schält sich immer wieder aus diesem Staubsauger-Zahnarztbohrer-Inferno heraus, und dann bricht sich das lebensfrohe Getröte zweier Saxofone Bahn, die mal parallel, mal versetzt spielend einen enorm voluminösen Klang fabrizieren. Rätselhaft, seltsam und faszinierend, das. Nach diesem Track erscheint der darauffolgende “TV Blues” von Experimentaljazzlegende James Blood Ulmer beinah mainstreamig-gefällig, auch Martin Rev, hier ohne seinen Suicide-Partner Alan Vega, kann man verhältnismässig leicht folgen. Das repetitive Thema von “Temptation” wird von Synthiegeknarze und -glöckchen untermalt und wirkt ohne Vega nur halb so bedrohlich. Aber es gibt auch Tracks mit Stimmen: die Sängerin der Band Ut könnte ihrer Intonierung nach Lydia Lunchs Mitbewohnerin gewesen sein. Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass Lydia L. jemals irgendwelche Mitbewohner geduldet hat und man kann mutmassen, dass diese Art zu singen einfach in der New Yorker Luft lag. Die beiden Tracks von Boris Policeband gingen glatt als neues grosses Ding aus Berlin durch: die dumpfen, knackig-kurzen Elektrobasteleien könnten auch von Namosh oder Electronicat stammen. Beinah berühmt wurden das Frauenduo Snatch, bestehend aus Judy Nylon und Patti Palladin, ehemaliger Weggefährtin von Johnny Thunders. Nylon und Palladin trafen sich in London, wo beide Zuflucht suchten, weil sie es in den USA nicht mehr aushielten. Dennoch verschlug es sie hin und wieder nach New York City, wo sie hörspielartige Tracks wie das hier vertretene “Black Market” aufnahmen. Obwohl beide Musikerinnen toll aussahen, bauten sie niemals auf ein Sexy-Chick-Image und fanden Sängerinnen wie Debbie Harry höchst zweifelhaft, weil sich diese mit vollem Körpereinsatz vermarktete. Judy Nylon ist auf NYN III auch solo zu hören: ihre Coverversion von “Jailhouse Rock” sollte man zur allgemeinen Gästeverwirrung auf Partys auflegen. Judys wunderbar geleiertes “ ….let's raaaaak, ev'rybaaady let's raaaak ….” wird Elvis-Fans nachhaltig verschrecken. Fazit: auch wenn man zu den Stücken von New York Noise Teil 3 nicht tanzen kann, lohnt die Reise zu den Anfängen von Techno und Elektro unbedingt!

Operation Pudel 2006


Operation Pudel 2006
Nobistor/Hausmusik 2006

Cover
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Der legendäre Club am Hamburger Hafen ist mittlerweile ins Teenageralter gekommen – im Namen des gelockten Hundes haben sich schon so viele berühmte, berüchtigte und völlig unbekannte Topstars die Klinke in die Hand gegeben, dass es allmählich Zeit wurde für diesen Sampler. “Operation Pudel 2006” enthält eine Auswahl von Knallerhits der bisher nur als Vinyl-EPs veröffentlichten “Pudel Produkte” eins bis vier. Dazu kommen jede Menge Bonustracks (auf Pudel-Hamburgerisch “Bonüsse”) von zum Teil internationalen Stars wie Matthew Herbert, die vorher noch gar nie auf CD erschienen sind. Die 18 Stücke schleudern den geneigten Hörer in ein Wechselbad der Gefühle: es gibt crazy jazzy Shit wie “Katze Geil” (Robag Wruhme featuring Helge Schneider, Rocko Schamoni, Lenja, Fina & Dorle), Elektrominiaturen wie “I'm Not Comfortable Inside My Mind” von John Callaghan, den Tanzflächenburner “Welcome to Your Life” von DJ Phono & Jan Peter und glamouröse Duette von Electronicat & Miss Le Bomb und Sandra Wrampelmeyer & Carsten “Wampe” Meyer, also known as Erobique. Schorsch Kamerun verbreitet mit “Bloss weil ich friere, ist noch lang nicht Winter” Eins-A-Genörgel und Tolerantes Brandenburg lassen eine ganz besondere Hymne auf “Schumi” ab. Wer sich noch nie getraut hat, den Pudel Club in echt zu besuchen, kann ja mal testen, ob sich beim kollektiven Abhören von “Operation Pudel” zuhause pudulöse Zustände einstellen. Funktioniert bestimmt auch in München, Leipzig oder sonstwo.

   » www.pudel.com