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Oktober 2006
Christina Mohr
für satt.org


The Rapture:
Pieces of the People We Love
Mercury, Universal 2006
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The Killers:
Sam's Town
Island, Universal 2006
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Kasabian:
Empire
SonyBMG 2006
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The Rapture | Kasabian
The Killers

„Verehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, daß Sie sich heute hier versammelt haben, um gemeinsam mit mir das Phänomen „Jungsbands nach dem großen Hype“ zu beleuchten. Als anschauliche Beispiele sollen die neuen Alben von The Rapture, Kasabian und The Killers dienen …“

So oder ähnlich könnte man ein Seminar an der Pop-Universität beginnen, Material gibt es mittlerweile ausreichend, um der Frage nachzugehen, ob und wie junge Bands ihr Erfolgsrezept ausbauen. Die vielleicht interessantesten (oder heikelsten, das ist Ansichtssache) Neuveröffentlichungen, nämlich die „schwierigen“ zweiten Alben von Maximo Park und Art Brut stehen zwar noch aus, sind beziehungsweise noch gar nicht in Sicht, aber auch bei The Rapture, The Killers und Kasabian, die mit ihren Debütalben für großes Aufsehen und mächtigen Hypewirbel sorgten, lohnt das genaue Hinhören – und Hinsehen, ein Blick aufs Coverdesign verrät bei allen drei Bands die eigene referenzielle Hinwendung: The Rapture sind der bunten Achtziger-Wave-Ästhetik verpflichtet, The Killers sehen sich (zumindest optisch) in einer Liga mit U2 und Depeche Mode, Kasabian mögen es siebzigermäßig progrockig-symbolisch im Spielkartendesign. Aber was ist dann „heute“? Spielt es überhaupt eine Rolle? Alle drei Bands beziehen sich offen auf Vorbilder und transportieren sie in die Gegenwart – betreiben also auf ihre jeweils eigene Weise so etwas wie erhaltende und fortführende Geschichtswissenschaft.

The Rapture

The Rapture aus New York (ursprünglich aus San Diego) stehen möglicherweise vor einem Dilemma: weitermachen wie bisher oder sich komplett neu erfinden? Ihr Album „Pieces of the People We Love“ ist wieder tanzbar wie Hölle und den Vorbildern Liquid Liquid, Konk und Gang of Four verpflichtet wie zuvor ihre Hit- und Durchbruchsplatte „Echoes“. Die Stimme von Luke Jenner changiert frappierend zwischen Robert Smith und John Lydon während seiner PiL-Zeit; produziert hat Danger Mouse, die eine Hälfte von Gnarls Barkley, die Zeichen stehen auf Ruhm und Unsterblichkeit. Dennoch besteht die Gefahr, dass die verwendeten Ingredienzien langsam ein wenig überbeansprucht werden. Bis es soweit ist, beweisen The Rapture auf „Pieces …“ weiterhin, dass sie wahre rhythm kings sind, zwischen NY-Wave-Funk und Kuhglockengedengel gelingen ihnen baßlastige Tanzhymnen wie der Titeltrack, der mit zwingendem „na-na-na-na-na-na“-Refrain über einem trockenen Hypnobeat die Definition von Indie-Disco abgibt. Im Text heißt es: „ … and our future's looking bright / In all the little pieces of the people that we keep inside“ - das ist ein durchaus sympathisches Geständnis, da bei The Rapture natürlich recht viele „little pieces of people“ verarbeitet werden. Zum Beispiel bei „Get Myself Into It“, das mit seinem glasklaren Sound und den versteckten Bläsern, die nach Hochhausschluchten klingen, an Blondie zur „Rapture“-Zeit erinnert; durch das Skandieren von Zeilen wie „It's the Chance of a Lifetime“ aber auch die Talking Heads mit im Gepäck hat. „First Gear“ beginnt schnarrend-rasselnd, um dann geschickt Gary Numans Synthie-Fanfare aus „Cars“ einzubauen – und in „First Gear“ geht es erwartungsgemäß auch um cars, um „my my my my Mustang Ford“ nämlich! Bei „Whoo! Alright – Yeah … Uh Huh“ erklingt eine Ska-Orgel und nach dem eher verhaltenen „Down for so Long“ hauen sie bei „The Sound“ nochmal richtig auf den Putz, um dann mit „Live in Sunshine“ das Album verträumt, aber nach vorne blickend ausklingen zu lassen.

Anfang September gaben The Rapture ein „free concert“ im Apple-Store in Manhattan: das klinische Ambiente im hellerleuchteten Verkaufsraum und das disziplinierte amerikanische Publikum boten den passenden Rahmen für dieses ein wenig schaumgebremste Konzert. Man wollte die Rapture-Jungs am liebsten ein wenig rütteln und ihnen nach Bernd-Begemann-Manier zurufen: „macht Lärm, seid wild!“. Dabei könnten The Rapture mehr bieten, nämlich Entfesselung und Extase – vielleicht mit dem nächsten Album.

The Killers

The Killers hingegen halten sich mit Bescheidenheit oder Zurückhaltung nicht auf: der martialische Bandname soll zeigen, dass hier keine Gefangenen gemacht werden, watch out! Die Mittzwanziger aus Las Vegas um Sänger Brandon Flowers (welch' ein Name! Damit kann man nur Popstar werden!) benannten sich nach der Fake-Band aus New Orders „Crystal“-Video und zogen so vor ihren Heroen den Hut. Doch The Killers klingen gar nicht besonders stark nach Elektropop, kräftiger Rock mit starken Refrains und gelegentlichen Disco-Einsprengseln ist eher ihr Metier.

Ihr erstes Album „Hot Fuss“ mit der unwiderstehlichen Hitsingle „Somebody Told Me“ war ein globaler Dauerbrenner, ob im Collegeradio oder in den Verkaufscharts. Nun wollen The Killers auch Weltstars sein – ein durchaus berechtigter Wunsch, dem sie allerdings zuerst selbst genügen müssen. Alles auf dem neuen Album „Sam's Town“ ist in Richtung Supergroup gebürstet: angefangen bei den Bandfotos von Anton Corbijn, auf denen die Band augenscheinlich an die „Joshua Tree“-Phase von U2 oder an Depeche Modes „Personal Jesus“-Ästhetik anknüpfen möchte; über das Produzentenduo Alan Moulder und Flood (die zum Beispiel das Millionselleralbum „Mellon Collie and the Infinite Sadness“ von den Smashing Pumpkins zu dem machte, was es wurde) bis zu den vollmundigen Rocksongs, die teilweise wie Hybriden aus Meat Loaf und Queen klingen, Wunsch und Wille zum Pathos sind unüberhör- und -sehbar. Auf dem CD-Cover ist ein Aufkleber angebracht, der vorsorglich mitteilt, welche die Hits sein werden: „When You Were Young“, „Bones“ und „Read My Mind“. Da diese drei Songs tatsächlich die Besten sind, mit an The Cult und Big Country geschulten Gitarren und einprägsamen Breitwandrefrains wie fürs Stadion-Mitsingen gemacht, werden The Killers zur iPod-Band par excellence: das ganze Album braucht's allerdings nicht.

Kasabian

Kasabian kommen zur Abwechslung mal nicht aus den USA sondern aus Great Britain und auch sie orientieren sich deutlich an antiken Vorbildern. Was Kasabian zu etwas Besonderem macht, ist ihr definitives „nein“ zu Stillstand und Langeweile. Was unter anderem dazu führt, dass sie lauthals über Bands wie Keane lästern, diese als Langweiler bezeichnen und sich im Mitbewerberkreis durch ihre losen Zungen oft sehr unbeliebt machen. Doch „Empire“ (ein „kleinerer“ Titel durfte es natürlich nicht sein) löst allerdings ein, was viele nur versprechen, nämlich Wagemut und Abenteuer. Auch Kasabian haben sich für ihre neue Platte einen Star-Produzenten an die Seite geholt: Jim Abiss, der schon für die Arctic Monkeys und Placebo gearbeitet hat, stand bei „Empire“ an den Reglern. Kasabians Debütalbum von 2004 deutete es an, nun wird manifest, dass die Band um Sänger Tom Meighan Bands wie Love verehrt, die verdrogten Seiten der Beatles, Byrds, Slade (!) liebt, aber auch knackigen Wave mag, was man im Killersong „Shoot the Runner“ hören kann: hier wird nach Herzenslust „My Sharona“ von The Knack zitiert, nicht nur durch den ähnlichen Klang der Worte. Aber schon der bassige Opener „Empire“ zieht den arglosen Hörer derart zwingend in dieses Album hinein, dass Widerstand zwecklos ist. Im Gegensatz zu The Rapture und The Killers gibt es bei Kasabians „Empire“ keine beigelegten Lyrics: die Band baut voll auf ihre Livewirkung und will nicht, dass sich die Fans zu sehr mit der Textexegese ablenken. Und in der Tat sprechen Kasabian ganz deutlich durch ihre Musik. Über den Drogengebrauch der Band kann ich nichts sagen, aber Kasabian gelingt das Kunststück, potenzielle Trips in pop-handliche Dreiminüter zu verpacken. Man könnte nämlich sehr wohl aus Songs wie „Last Trip“ (ha!), „Me Plus One“ oder „The Doberman“ acidgetränkte, psychedelische Zwanzigminüter drechseln, aber Kasabian sind punk genug, um nach ein paar Minuten Lust auf was völlig anderes zu bekommen, knarzigen Elektrorock wie „Apnoe“ zum Beispiel. Und Kasabian wollen auch tanzen, beziehungsweise ihr Publikum tanzen sehen: „Stuntman“ baut sich hypnotisch auf, um dann in einen druckvollen Indie-Dancefloor-Hit auszubrechen – great!

Wir halten zusammenfassend fest: The Rapture haben den Zenit ihres kreativen Schaffens erreicht, brauchen aber bald mal eine neue Idee; The Killers gefallen sich ein bißchen zu gut im Supergroup-Outfit und Kasabian sind trotz aller Großmäuligkeit die wagemutigste Band. Und heute? Das war gestern.