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August 2006
Christina Mohr
für satt.org


V/A:
Queer Noises 1961 - 1978. From the Closet to the Charts

Trikont

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Queer Noises 1961 - 1978
From the Closet to the Charts

Schwulsein ist schick, jedenfalls heutzutage. Alle möchten ein bißchen was vom glamourösen Ruch des Queerseins abhaben, und wer unglücklicherweise nicht aus seiner heterosexuellen Haut kann, schmückt sich mit möglichst vielen verzauberten FreundInnen. Doch das war nicht immer so, auch nicht im vermeintlich liberalen Show- und Popbusiness. In den frühen sechziger Jahren kam ein Outing einem gesellschaftlichen Selbstmord gleich, egal ob in den USA, England oder Deutschland. In den siebziger Jahren begann sich das Blatt ein wenig zu wenden, schwule Künstler gingen offener und offensiver mit ihren sexuellen Vorlieben um, aber trotzdem haftet dem/der homosexuellen Künstler/in bis heute ein Exotenstatus an, abgesehen von tätlichen Übergriffen, denen Schwule überall auf der Welt zum Opfer fallen.

Der britische Musikjournalist Jon Savage, Autor des Punk-Standardwerks „England's Dreaming“ hat nun für Trikont* den Sampler „Queer Noises“ zusammengestellt, der 21 größtenteils unbekannte Songs ebenso meist unbekannter Künstler enthält. Was die Liedauswahl vereint, ist der explizit queere Inhalt, wobei „queer“ hier in erster Linie schwul meint. Eine einzige „echt weibliche“ Sängerin, Polly Perkins, repräsentiert mit „Coochie Coo“ lesbische Liebe, die anderen Songs sind von Männern über Männer. Wobei das kein Grund zur Klage sein soll, dennoch ist es ein Indiz dafür, daß Lesben noch immer Randgruppe innerhalb einer Randgruppe sind – auch in der Popmusik.


* Savage hat vor zwei Jahren – ebenfalls für Trikont – passend zu seinem Buch „England's Dreaming“ einen gleichnamigen Sampler kompiliert.

Savage beginnt seinen Streifzug durch queere Musik mit einem Song von ca. 1960, der von Jose, einem Travestiekünstler des Black Beat Club San Francisco vorgetragen wird – eine Drag Queen im Cabaret, die sich augenzwinkernd-abfällig über die „Lederjacken-Mädchen“ im Publikum ausläßt. Komisch, aber anrührend ist „Nobody Loves A Fairy When She's Forty“, ebenfalls aus den frühen sechziger Jahren. Eine echte Kuriosität ist Stück Nummer 17, Peter Grudzien und sein „White Trash Hillbilly Trick“, der wahrscheinlich einzige explizit schwule Country- und Westernsong überhaupt. Mit den Kinks, den Ramones und den Miracles sind einige Bands vertreten, die einem verhältnismäßig großen Publikum bekannt sind und keine ausgesprochenen Gaybands sind. „See My Friend“ von den Kinks ist ein Song über einen auffallend gutangezogenen Jungen, den die Mädchen deshalb auslachen; in „53rd and 3rd“ arbeitet Dee Dee Ramone seine Zeit als Stricher in New York City auf, als er Sex gegen Drogen tauschte. Einer der tragischsten Beinahe-Popstars, Jobriath, ist auch auf „Queer Noises“ gelandet: „I'm A Man“ von 1973 klingt wie die Vision eines schwulen David Bowie, die Erschaffung einer „true pop fairy“, wie sich Jobriath, der arm und einsam im Chelsea-Hotel starb, selbst bezeichnete. Der mit Obskuritäten und echten Entdeckungen gespickte Sampler – unbedingt anhören: Dead Fingers Talk, „Nobody Loves You When You're Old And Gay“ oder Black Randy And The Metro Squad, „Trouble at the Cup“ - endet mit einer Hymne der Gayscene: Sylvesters „You Make Me Feel“ von 1978 war der erste internationale Superhit eines offen schwulen Künstlers und sorgt bis heute für volle Tanzflächen. Danach traten immer mehr homosexuelle Bands und SängerInnen ins Scheinwerferlicht, von Village People bis zu den Pet Shop Boys, Frankie Goes to Hollywood, Bronski Beat, Erasure; auch Jazzmusiker wie Cole Porter hielten nicht mehr mit ihrem Schwulsein hinterm Berg, im Gegenteil: Homosexualität wurde offen thematisiert und - siehe oben – galt bald als glamourös. Aber – und auch das ist bis heute so – noch lange nicht als „normal“. „Queer Noises“ zeigt mit seiner enormen stilistischen Bandbreite aufs Allerschönste, daß sie überall sind und überall hingehören, die „Fairies“!