Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Juli 2006
Christina Mohr
für satt.org


TV on the Radio:
Return to Cookie Mountain

4AD, Beggars 2006

Cover
   » amazon

TV on the Radio:
Return to Cookie Mountain

The many layers of a rock song

„Unsere erste Platte 'Desperate Youth, Blood Thirsty Babes' war ein Fragezeichen, 'Return to Cookie Mountain' ist unser Ausrufezeichen“ , sagt David Sitek von TV on the Radio. Aber egal, ob man Satzzeichen, Zahlen oder die Richterskala als Maßeinheit verwendet, heraus kommt dasselbe: 'Return to Cookie Mountain' ist groß, sehr groß. Klang 'Desperate Youth..' von 2004 noch sehr fragmentarisch und skizzenhaft, fügt sich auf 'Cookie Mountain' alles zusammen. Vergleiche mit anderen Bands greifen nicht: Weniger sakral als Arcade Fire und keineswegs so konfus wie Broken Social Scene verweben TV on the Radio Rock, Jazz, Gospel, Soul, elektronische Musik und „klassischen“ Pop á la Beatles und Beach Boys zu einem – ha! - Soundteppich, der die Hörer staunen macht. Aber das New Yorker Künstlerkollektiv um Gründungstrio David Sitek, Tunde Adebimpe und Kyp Malone will keine Ehrfurcht erzeugen (obwohl diese sich automatisch einstellt), sondern auch rocken, Tanzbeine schwingen und Hüften kreisen lassen.


TV on the Radio Live:
20.8.06 Erfurt-Hohenfelden, Highfield-Festival
21.8.06 Nürnberg, K4
22.8.06 München, Zenit (supporting Massive Attack)
23.8.06 Berlin, Arena (supporting Massive Attack)

Mit verhaltenen Drums und Falsettvocals beginnt „I Was a Lover“ und sorgt für einen faszinierenden Einstieg in das Album – das klingt sexy, soulig und irgendwie verwirrend, aber man ist sofort „hooked“ . Beim zweiten Song, „Hours“ erklingt die Stimme von Kazu Makino, sonst bei Blonde Redhead, über experimentellem Prog-Rock, der mit jeder Menge Fisimatenten geschmückt ist, die Details schleichen sich von ganz hinten an, fast unhörbar. Ebenso fast unhörbar, aber deutlich vorhanden ist ein anderer Gastsänger: nach den ersten Takten von 'Province' ist man sich sicher, daß man diese Stimme kennt, aber das kann doch nicht sein, oder? Doch, ganz unaufdringlich bereichert kein Geringerer als David Bowie wie selbstverständlich diesen Song, als sei er nur ein Mitglied unter vielen dieses Cookie Collectives. „Playhouses“ und „Let the Devil in“ sind perkussiongetriebene Monster, the drum is everything, sehr organisch, gewaltig und leicht.

„Wolf Like Me“ , Song Nummer fünf auf dem Album ist der Indie-Hit, der dich aus dem Sessel hebt – unwiderstehlich, unvergeßlich, lässig, intensiv, beflügelnd, aufrührerisch, ein Klassiker schon jetzt. Ein Hit, von dem andere Bands nur träumen können – TV on the Radio dosieren minimale Bläser von links über druckvollen Gitarrensound und packen in die Mitte einen Break, der die Hörer/Tänzer danach winseln läßt, daß das Stück noch einmal Fahrt aufnehme – was es auch tut. Wenn „Wolf Like Me“ Ende des Jahres nicht alle Polls anführt, dann ist definitiv was schiefgelaufen auf dem Popplaneten.

„A Method“ beginnt westernmäßig mit Pfeifen und handclapping, mit schmeichelnden uhuh-Chören gesellen sich die Beach Boys dazu, „Dirty Little Whirlwind“ könnte auf einen David-Lynch-Soundtrack passen, slowe, kranke Barmusik mit intensivem Bluesklavier. Fast könnte man versucht sein, diesen Song für ein Liebeslied zu halten, aber der „dirty little whirlwind“ ist Wirbelsturm Katrina, der im letzten Jahr New Orleans zerstörte – und so ergibt die bedrohliche Grundstimmung dieses Stücks einen ganz eigenen, besonderen Sinn.

Die letzten drei Songs des Albums, „Blues From Down Here“ , „Tonight“ und das hypnotisch-bratzende „Wash the Day Away“ sind kraftvoll und filigran gleichermaßen. Zum „Cookie Mountain“ kehrt man mehr als einmal zurück, keine Frage.