Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




März 2006
Robert Mießner
für satt.org


Dayna Kurtz:
Another Black Feather

Munich/Indigo 2006

Cover
   » amazon

Grenzgänge in der Wüste
Dayna Kurtz

“Another Black Feather …“

Duke Ellington war nie sonderlich versessen darauf, als Jazzmusiker zu gelten. Viel lieber unterschied er einfach zwischen guter und schlechter Musik. Der Komponist dreiminütiger Swingnummern wie vierzigminütiger Suiten kannte keine Scheuklappen zwischen Unterhaltung und Kunst, Populär- und Hochkultur und ist letzten Endes doch im Jazzregal gelandet.
Dayna Kurtz, Sängerin, Songwriterin und Gitarristin aus Brooklyn, ist zu wünschen, dass aufmerksame Plattenhändler ihre neue CD gleich mehrmals platzieren: “Was mir immer wieder auffällt, ist das Phänomen, nirgendwo richtig hinzugehören. Aber das ist gut so. Denn es gibt mir die Möglichkeit, ohne fremden Erwartungsdruck zu arbeiten. Ich habe nicht ausschließlich und ausreichend genug Jazz, Blues, Folk, R & B, Rock oder Pop in mir, um zu einer dieser Welten zu gehören. Aber meine eigene Welt besteht aus all diesen verschiedenen Stilen.“


Dayna Kurtz
Dayna Kurtz
Foto © Munich Records

Ein Horizont, den sich Dayna Kurtz auf den Landstraßen der Vereinigten Staaten und in den Downtown-Clubs von New York erarbeitet hat. Im Vorprogramm von Geistesverwandten wie B.B.King, Dr. John, Richie Havens und Chris Whitley. Über Jahre hinweg hat sie ihre ersten selbstverlegten Kassetten aus dem Auto heraus verkauft. Ohne sich vorstellen zu können, dass diese einmal bei eBay Preise von 40 Dollar erzielen würden. Der Wunsch nach einem günstiger verbreitbaren Medium war schwerer zu erfüllen, als gedacht. Die Rechte an ihren ersten Demoaufnahmen lagen bereits bei den Plattenfirmen. Die Lösung brachte ein eher ungewöhnliches Debütalbum: „Otherwise Luscious Life“ enthielt ausschließlich Konzertaufnahmen, die sie selber verwerten durfte. Acht Jahre später muss sich Dayna Kurtz solche Fragen nicht mehr stellen. Sie erscheint bei Munich Records gemeinsam mit Johnny Dowd und Big Bill Broonzy – beste Gesellschaft für die Künstlerin, die ihre Stimme gerne wie eine Slide-Gitarre klingen lassen möchte. satt.org traf eine glücklich verheiratete Dayna Kurtz im Berliner Hotel Unter den Linden. Drei Tage, bevor das Haus, das den atmosphärischen Hintergrund für einen ihrer Songs hätte abgeben können, nur noch auf die Abrissbagger warten sollte.


Die Songs deiner neuen Platte hast Du in der Sonora-Wüste geschrieben. Ein Ort, der in hohem Maße inspirierend sein muss – Giant Sand und Friends Of Dean Martinez verdanken ihr viel von ihrem Klang. Was hat es mit der Wüste auf sich, was bedeutet sie dir?

Friends Of Dean Martinez kommen ursprünglich aus Tucson, Arizona, nicht wahr? Das ist eine College-Stadt wie jede andere auch, nicht gerade inspirierend. Die Wüste in der Nachbarschaft dagegen schafft etwas ganz Eigenes. Fahre allein hinaus, habe einen Unfall, breche dir die Knochen – niemand wird dich finden. Du wirst permanent damit konfrontiert, sterblich zu sein. Die Landschaft ist schön und herbe, macht bescheiden. Und Bescheidenheit ist eine gute Voraussetzung, um mit dem Schreiben zu beginnen.

Zwingt eine solche Umgebung zur Konzentration? Du sollst dort in einer Art Hütte gewohnt haben.

Eine Hütte aus Lehmziegeln. Luftgetrocknet, wie sie es auch in Mexiko tun. Ich war so gut wie alleine dort. Begrenzter menschlicher Kontakt, kein Telefon, keine Unterbrechung. Außer für einen gelegentlichen Spaziergang, auf dem ich dann für eine Stunde lang einen Käfer auf einer Wüstenpflanze beobachtet habe. Zurückgekehrt, konnte ich sofort wieder schreiben.

Mit zwei, drei Ausnahmen klingt „Another Black Feather …“ eher sehr in sich gekehrt. An einer Stelle dagegen regelrecht wütend – auf „It’s The Day Of Atonement, 2001“.

Das ist die englische Übersetzung von Jom Kippur, dem jüdischen Versöhnungsfest, das Ende jeden Septembers begangen wird. Die Gläubigen bitten um Vergebung für sich, ihre Fehltritte und die ihrer Freunde. Meine Erziehung war atheistisch. Jüdisch, aber atheistisch. Und ich bin es immer noch. Von daher habe ich im Grunde keine Beziehung zu diesem Fest. 2001 fand es aber kurz nach 9/11 statt, und da wurde mir sein Grundgedanke zum Anlass, über Gott und Glauben nachzudenken. „It’s The Day Of Atonement, 2001“ hatte ich zuerst als Gedicht begonnen. Drei Jahre später, unsere jetzige Welt vor Augen, habe ich es dann beendet. Es ging mir schlicht um meinen wachsenden Widerwillen gegenüber Religion im allgemeinen. Auf der einen Seite der islamische, auf der anderen Seite der christliche Fundamentalismus. Kurz gesagt, der Song ist ein atheistisches Spottlied. Die einzige Religion, für die ich mich noch erwärmen könnte, wäre der Buddhismus. Leider fehlt es mir dazu aber wohl an Disziplin (lacht).

In einem früheren Interview hast Du betont, Du würdest versuchen, eine tolerante Atheistin zu sein. Was bedeutet dir Spiritualität anstelle von Religion?

Schon wesentlich mehr. Ich kenne viele Leute, die eine glücklichen, freudvollen Weg gefunden haben, ihren Glauben zu leben. Wenn aber institutionalisierte Religion das einzige Ticket für den Himmel sein soll, dann muss ich es nicht haben. Spiritualität hingegen – ich kann mir schlecht einen Musiker, einen Künstler vorstellen, der ohne den Glauben an etwas, das größer ist als er selbst, arbeitet. Einigen gelingt es dann, diesem Unbekannten auch einen Namen zu geben, einigen nicht. Ich persönlich möchte es jedoch nicht versuchen.

Dürfen wir nach einem der persönlichsten Songs auf dem Album, „Banks Of The Edisto“, fragen?

Keine Angst, Du darfst ruhig fragen. „Banks Of The Edisto“ ist als Abschied von einem Freund gedacht. Ein großer Charakter und Banjospieler aus dem Süden, den ich oft besucht habe. Der Edisto ist ein Fluss in South Carolina, wo er gestorben ist. Er hatte mir sein Banjo geborgt, und das Instrument war noch bei mir, als er starb. So habe ich den Song für ihn auf seinem Banjo geschrieben. Ein Stück, das mir außerordentlich viel bedeutet.

Du stammst aus New Jersey, aus dem Nordosten der Vereinigten Staaten, hast aber eine starke Beziehung zum Süden des Landes. Besonders zu New Orleans. „Nola“ auf deinem Album ist der Stadt gewidmet. Der Song ist vor der Flut entstanden.

Jahre zuvor sogar. Die Aufnahmen fanden dann aber exakt an dem Tag statt, als die Dämme brachen. Und wir unsere Arbeit unterbrechen mussten, weil mich die Nachrichten zu sehr mitgenommen hatten. New Orleans war immer ein besonderer Ort für mich. Ich war das erste Mal vor rund fünfzehn Jahren dort und habe mich jedesmal mehr zu Hause gefühlt. Es hat erst eine Tour durch den tiefen Süden gebraucht, um mich selbst von meiner Musik zu überzeugen. Irgendwann war ich drei bis viermal im Jahr dort. Viele meiner Freunde lebten dort, bis sie die Flut buchstäblich aus der Stadt getrieben hat. New Orleans hat mein Leben außerordentlich beeinflusst. Ich hatte sogar vor, dort zu leben und hielt es für einen Fehler, im Nordosten aufgewachsen zu sein. Als ich mich dann auf den Weg machte, hatte ich dann einen schrecklichen Autounfall, ohne den ich wiederum meinen Mann nicht kennen gelernt hätte.

Ist es zu weit hergeholt, wenn einen das Cover von „Another Black Feather …“ an die Bilder Frida Kahlos erinnert?

Keinesfalls. Als ich eine Freundin von mir um Entwürfe für das Cover bat, wollte ich bestimmte Images der Songs auf dem Cover haben. Wir sprachen dann über verschiedene mögliche Motive und Einflüsse, und Frida Kahlos Selbstportraits gehörten tatsächlich dazu. Zusätzlich griechische Ikonen. Im Süden der Vereinigten Staaten, auf Armenfriedhöfen – so es sie noch gibt – finden sich ähnliche Darstellungen. Viele der Grabsteine sind von den Hinterbliebenen selbst in Handarbeit gefertigt und dann, ähnlich einer Ikonendarstellung, ausgeschmückt worden.

“Another Black Feather …“ ist komplett analog aufgenommen worden.

Es war das erste Mal, dass ich mit dieser Technik gearbeitet habe – und ich werde es niemals mehr anders machen. Eine wunderbare Wahl. Die Technik ist mittlerweile wesentlich weiter fortgeschritten, so dass es auch bequemer ist. Bei digitalen Aufnahmen musst du dir vorstellen, wie der Song letztendlich klingen könnte. Dagegen deine Aufnahmen vom Band zu hören, verschafft dir bereits den Eindruck einer fertigen Platte. Die Unmittelbarkeit, die Wärme des Sounds verdankt sich hauptsächlich dieser Entscheidung.

Du stehst dem von vielen Fans geliebten Musikerklischees kritisch gegenüber und sagst über die Zeit des Schreibens: “Ich war auf fast schon beängstigende Art und Weise wirklich glücklich. Und habe bewusst nach Künstlern gesucht, die sich im Griff haben, glücklich sind und dabei keinen Ausschuss fabrizieren.“ Hast Du welche gefunden?

Tom Waits, Stevie Wonder und Lucinda Williams. Sie ist vielleicht nicht glücklich in ihrem Privatleben, aber doch eine glückliche Künstlerin. Ich habe lange darüber nachgedacht und spreche mittlerweile von ruhelosen, aber nicht verzweifelten Künstlern. Die Vorstellung, es wimmele im Rock ’n’ Roll zwangsläufig von unglücklichen und süchtigen Kreativen, ist haltlos und romantisierend.

Und hat vielen Beteiligten mehr geschadet als genützt.

Genau. Verstehe mich nicht falsch, ich bin weit davon entfernt, Verbotsschilder aufzustellen. Ich habe es aber zum Beispiel sehr genossen, vor kurzem mit Richard Thompson auf Tour zu gehen. Die ganze Band war im Großväteralter, Sechzigjährige mit intakten Familien. Und unterwegs haben sie selber wie eine Familie funktioniert. Vielleicht ein Drink nach dem Konzert, aber alles auf eine sehr entspannte Art und Weise. Ich habe mir das angeschaut und gesagt: “So könnte ich bis in alle Ewigkeit leben.“ Mich interessiert das unspektakuläre Leben. Ich brauche keine Hotelzimmer zu zerlegen und möchte, dass ich idealerweise noch als Siebzigjährige auf der Bühne stehen kann.

Du coverst Johnny Cashs „All Over Again“. Hast Du bereits „Walk The Line“ gesehen?

Ehrlich gesagt, nein. Ich mag nicht unbedingt, was Hollywood aus Musikerbiografien macht. Allerdings soll Reese Witherspoon ja sehr gut in dem Film sein. Also werde ich ihn mir eventuell doch anschauen.

Welche Musik lief eigentlich in deinem Elternhaus, gehörte zu deiner Kindheit und Jugend?

Meine Eltern haben viel klassische Musik gehört. Dann Swing, Bigbands, viel Jazz. Frank Sinatra wurde oft aufgelegt. Da ich das jüngste der Geschwister war – meine Schwester war acht Jahre, mein Bruder sechs Jahre älter als ich – war natürlich ihr Musikgeschmack vorherrschend. Sie waren bereits Teenager, als ich noch ein Kind war. Mein Bruder hat sich sehr an Rock ’n’ Roll gehalten, war aber auch von den Songwritern der späten Siebziger, zornigen jungen Männern wie Graham Parker und Joe Jackson, sehr angetan. Und er ist großer Fan von David Bowie, den ich auch immer noch sehr mag. Meine Schwester hatte einen ziemlich breiten Musikgeschmack. Von Cat Stevens, Joni Mitchell und James Taylor zu den Jackson Five, Stevie Wonder und James Brown. Später kam dann noch Disco hinzu.

Deine Einflüsse lassen sich vielleicht am besten anhand deiner Coverversionen festmachen. Auf „Beautiful Yesterday“ hast Du Leonard Cohens „Everybody Knows“ aufgenommen. Fantastischer Song, fantastische Lyrics …

 …einfach unschlagbar.

Zeitgleich hast Du gemeinsam mit Norah Jones Duke Ellingtons „I Got It Bad (And That Ain’t Good)“ gecovert. Vergleiche zu Nina Simone, Billie Holiday oder Cassandra Wilson liegen nicht fern.

Oh, vielen Dank. Von den dreien würde ich Nina Simone als den größten Einfluss nennen. Obwohl ich Billie Holiday sehr liebe, hat sie doch wesentlich minimalistischer gesungen als ich, hat versucht, mit ihrer Stimme den Klang einer Trompete oder eines Saxofons nachzuempfinden. Was ich nicht tue. Nina Simone hatte, wenn nötig, weniger Angst, hässlich zu klingen. Ihr Gesang war deutlich emotionaler, weniger technisch als der Billie Holidays. Von Cassandra Wilson gefallen mir besonders ihre Aufnahmen, die sie vor den Alben mit Craig Street veröffentlicht hat. Das sind natürlich auch sehr gute Platten, aber ich mag den Stil ihrer Standards-Interpretationen mehr als den ihrer späteren Van Morrisson-Versionen. Sie ist allerdings auch eindeutig mehr Jazzsängerin, vergleichbar mit Billie Holiday, als ich. Jazz ist für mich ein Land, das ich von Zeit zu Zeit besuche, ohne die Sprache fließend zu beherrschen. Als reine Jazzmusikerin würde ich mich nicht bezeichnen wollen.

Eine andere Grenzgängerin ist Cat Power.

Ja, ich habe vor kurzem „The Greatest“ gehört. Das ist ihre erste Platte, die mir sehr gut gefällt. Bis jetzt fand ich ihre Alben interessant, „The Greatest“ aber ist brillant.

Richie Havens soll ein großer Fan von dir sein.

Er war einer meiner frühesten Unterstützer. Ein großer Künstler und wunderbarer Mensch. Er hatte mich eingeladen, mit ihm auf Tour zu gehen, mich Leuten vorgestellt, die hilfreich sein konnten und unermüdlich für mich im Bekanntenkreis Werbung gemacht.

Du hast auch zusammen mit Chris Whitley Konzerte absolviert. Er ist im vorigen Jahr gestorben.

Ich habe schon für viele angenehme Menschen Konzerte eröffnet – Chris Whitley war einer der angenehmsten von ihnen. Ein solch freundlicher Mann. Und einer der Gründe, weshalb ich selbst zur Slide-Gitarre gegriffen habe. Auf unserer Tour habe ich mit das erstemal gehört, welche emotionale Bandbreite dieses Instrument abdecken kann. Ein großartiger Gitarrist, ähnlich Lightnin’ Hopkins, Mississippi Fred McDowell, Snooks Eaglin und Kelly Joe Phelps. „Living With The Law“ ist meine Lieblingsplatte nicht nur von ihm, sondern eine meiner Favoriten überhaupt. Er selber soll sie übrigens weniger gut gefunden haben, was mich ziemlich irritiert.


Diskografie
Otherwise Luscious Life – Live (1997)
Postcards From Downtown (2002)
Postcards From Amsterdam – Live in Concert DVD (2003)
Beautiful Yesterday (2004)
The Beautiful Yesterday Sessions EP (2004)
Another Black Feather … (2006)

Eine Frage zum Abschluss: Was bedeutet dir Melancholie?

Es wird mir oft gesagt, dass meine Musik einen melancholischen Anstrich hat. Und ich kann es auch nicht abstreiten. Ich habe mich auch immer eher zu solcher Musik hingezogen gefühlt. Habe immer lieber Balladen gehört, Chopin und Satie anstelle von Beethoven.

Melancholische, aber nicht depressive Musik.

Exakt. Keine Platte hat mich glücklicher gemacht als Joni Mitchells „Blue“. Eines der Alben, das mir nie langweilig wird. Gut, ich höre es nicht mehr so oft, wie zu der Zeit, als ich neunzehn war. Da habe ich mir „Blue“ zweimal täglich aufgelegt. Mit neunzehn Jahren bist du empfänglich für Dramatik.

Dayna, herzlichen Dank für das Gespräch.