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März 2006
Christina Mohr
für satt.org


Britta:
Das schöne Leben

Flittchen Records, Morr Music 2006

Cover
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Britta: Das schöne Leben

Seltsam, seltsam, wie wenig unglücklich ich bin …

Ein Samstag im März 2006, eisiger Wind, es schneit – Berlin zeigt sein schäbigstes Gesicht, als ich mich auf den Weg mache, um Christiane Rösinger zu treffen. Anlaß ist die Veröffentlichung von „Das schöne Leben“, dem vierten Album ihrer Band Britta. Mit den Vorgängerplatten „Irgendwas ist immer“, „Kollektion Gold“ und „Lichtjahre voraus“ haben sich Britta den Ruf erspielt, die „traurigsten Menschen von ganz Berlin“ zu sein - gilt das noch immer? Während ich durch den Schnee stapfe, höre ich „Depressiver Tag“ auf dem Discman, und die stimmungsaufhellende Wirkung des Songs ist frappierend. Der auf dem Cover abgebildete rosafarbene Blüten tragende Baum materialisiert sich direkt vor mir, auf den grauen, matschigen Straßen Kreuzbergs. Die aufmunternde Melodie mit einem Gitarrenlauf zum Verlieben trägt den vermeintlich schwermütigen Text, dessen Botschaft aber grundpositiv ist: auch der mieseste Tag dauert nur 24 Stunden. Geht vorbei, kein Grund zur Panik!



Britta sind:
Christiane Rösinger - Gesang, Gitarre
Barbara Wagner - Gitarre, Keyboard, Bass
Julie Miess - Bass, Gesang, Gitarre
Sebastian Vogel - Schlagzeug
Foto: Claudia Heynen

„Depressiver Tag“ ist der älteste Song der Platte, entstanden nach Britta Neanders Tod – die Schlagzeugerin und Namensgeberin von Britta starb im Dezember 2004 nach einer Herzoperation; kurz darauf wurde Christiane Rösinger schwer krank, noch dazu ging der Efa-Vertrieb pleite, die Band war buchstäblich leidgeprüft. Doch mit dem Musikmachen aufzuhören, kam für Britta nicht in Frage – auch wenn Christiane die widrigen Umstände eine Zeitlang als Zaunpfahlwink des Schicksals interpretierte, doch alles aufzugeben. „Britta Neanders Tod führte uns die eigene Endlichkeit vor Augen“, sagt Christiane, „aber Handwerker, Büroangestellte und Taxifahrer machen nach ähnlichen Schicksalsschlägen auch in ihren Berufen weiter. Warum sollte das bei Musikern anders sein?“

Während dieser schweren Zeit entstand „Depressiver Tag“ - laut Christiane sollte man während trauriger Phasen nicht auch noch deprimierende Musik machen oder hören, die einen noch mehr herunterzieht. Dementsprechend ist „Das schöne Leben“ weniger düster sondern lebensbejahend und kämpferisch geraten. „Liebe als Konstrukt“ und das Scheitern von Beziehungen sind nicht mehr die vorherrschenden Themen, soziale Verhältnisse, Ungerechtigkeiten und Kommunikationsprobleme sind in den Mittelpunkt gerückt.

Aber man kann nicht über Britta schreiben, ohne deren Quasi-Vorgängerband, die Lassie Singers zu erwähnen, zu würdigen und zu lobpreisen. Schon bei den Lassie Singers war Christiane Rösinger eher für die melancholischen Texte zuständig, Almut Klotz für die fröhlicheren. Gemeinsam schrieben sie Songs für jede erdenkliche Gefühlslage, der Titel des ersten Albums Lassie Singers … helfen Dir war Versprechen und Programm zugleich. Mit Liedern wie Ist das wieder so 'ne Phase, Leben in der Bar, Mein zukünftiger Ex-Freund und – unerreicht – Liebe wird oft überbewertet haben die Lassie Singers ein zeitloses, schier unerschöpfliches Reservoir konkreter Lebens- und Überlebenshilfe geschaffen, Therapiemusik sozusagen.

Und nun sitze ich mit Christiane Rösinger im Café und bin froh. Auch mir haben sie und die Lassie Singers oft geholfen, meine gesamte Studienzeit ist eigentlich undenkbar ohne Textzeilen wie „schlafen kann ich, wenn ich tot bin, verliebt bin ich sowieso, ich sag' Mikrokosmos, hallo“, der mehrstimmige Mädchengesang tat ein übriges. „Es wäre prima, wenn die ganzen Lassie-Fans zu Britta überlaufen würden – leider hören ja viele Menschen über 30 auf, sich für neue Bands zu interessieren. Wie erfahren die denn dann von Britta?“ fragt sich Christiane, aber zu wissen, mit den Lassie Singers so vielen Menschen etwas bedeutet zu haben, ist schon sehr schön. „Natürlich wäre es toll, von der Musik leben zu können, aber man muß sich vom Star-sein-wollen lösen, es ist viel cooler, wenn es nur um die Musik geht“, sagt sie – doch Britta sind definitiv Stars am Himmel hiesiger Popmusik, Christiane Rösingers Texte sind lebensklug, manchmal traurig, immer weise und zitierfähig wie eh und je. Britta ist die erwachsene Version der Lassies, „man kann mit 40 nicht mehr singen 'mein Freund hat mit mir Schluß gemacht', irgendwann stehen einfach andere Themen an und manchmal macht sich auch eine gewisse Traurigkeit breit“. Aber Depression und Verbitterung können nur bis zu einem gewissen Grad als Triebfeder der Kreativität dienen, die Schwermut darf nicht überhand nehmen - „Texten geht auch mit Erfolg und guter Laune.“

Melancholie hin, Depression her, Britta nimmt auf „Das schöne Leben“ jedenfalls kein Blatt vor den Mund, im Song „Menschenfeind“ heißt es:

Alte Zausel, Indieboys, Neocons, Mutanten
Junge Spiesser, Pradafrauen und ihre Anverwandten
Höhere Töchter, bessere Söhne und eure ganze Schicht
Ihr denkt, ich kann euch leiden,
aber ich verzeih' euch nicht

Britta unterwegs:
12.04.2006 Berlin - Festsaal Kreuzberg
19.04.2006 Köln - Gebäude 9
20.04.2006 Duisburg - Hundertmeister
21.04.2006 Frankfurt - Brotfabrik
22.04.2006 Weinheim - Café Central
24.04.2006 Augsburg - Kerosin
28.04.2006 Leipzig - Ilses Erika
29.04.2006 Dresden - Groove Station
30.04.2006 Hannover - Glocksee
04.05.2006 Hamburg - Übel + Gefährlich
05.05.2006 Bremen - Junges Theater
06.05.2006 Münster - Gleis 22
08.05.2006 Stuttgart - Schocken
09.05.2006 Marburg - KFZ
10.05.2006 München - Orangehouse
11.05.2006 A-Linz - Kapu
12.05.2006 A-Salzburg - Arge
13.05.2006 A-Hollabrunn - Alter Schlachthof
15.05.2006 A-Wien – B72

In „Wer wird Millionär“ werden prekäre Lebenssituationen thematisiert, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten angeprangert und außerdem wird die berechtigte Frage gestellt: „Ist das noch Bohème oder schon die Unterschicht?“ Doch Nine-to-Five-Berufstätigkeit ist auch nicht wirklich erfüllend, zeigt der Song „Büro, Büro“, Christiane singt „Und sie rennen rum / und raus kommt doch nur / Smoke on the Water, Baby“ - wie wahr … aber wie soll, wie kann man leben? Berlin-Mitte-Bohèmien oder Frankfurter Banker – welches Modell verspricht mehr Glück? Auch das „Leben in der Bar“ kann auf Dauer verdammt anstrengend sein, davon erzählt „Heimi Heimato“, ein anrührendes Stück über das dringende Bedürfnis, nach einer langen Nacht einfach nur noch nach Hause zu wollen, „nichts mehr reden, nur noch liegen, nur noch sein“.

Gut möglich, daß man deshalb „Heimi Heimato“ möchte, weil man während der letzten Stunden in der Kneipe von einem Zeitgenossen vollgequatscht wurde, wie er in „Du sprichst in Rätseln“ porträtiert wird: „Du sprichst in Rätseln / in Bildern und Zeichen / die sich stets gleichen“, aber man weiß längst, „das Leben ist konkret“, wie es am Ende dieses Songs heißt. Die ganze Platte ist geprägt von wohltuender Weisheit und Erfahrung, die Abgeklärtheit zu nennen zu heftig wäre – es herrscht viel mehr ein leiser, freundlich lächelnder Optimismus, der sich aus dem halbwegs sicheren Wissen nährt, daß am Ende doch alles gut werden kann. Besonders schön kommt diese Haltung in „Seltsam Seltsam“ zum Ausdruck, „Seltsam seltsam, es ist gar nicht so schlimm / und es geht auch schnell vorbei / seltsam seltsam, wie wenig unglücklich ich bin/ es liegt wohl an der Sommerzeit“ - das ist Lebensmut mit kleinen Rissen und einem schiefgenähten Saum, jedoch ungemein aufbauend. Ganz nebenbei ist Britta mit diesen Zeilen eine inverse, moderne Version des alten Spruchs „Ich lebe und weiß nicht wie lang / Ich sterbe und weiß nicht wann / Ich reise und weiß nicht wohin / Mich wundert's, daß ich so fröhlich bin“ gelungen. Doch bei allen grandiosen Textzeilen – welchen Stellenwert hat eigentlich die Musik bei Britta? „Die ist natürlich wichtig, sonst könnte man ja auch Gedichte schreiben“ sagt Christiane, und Brittas Singer-Songwriter-Rock wird auf der neuen Platte von allerlei feinem Beiwerk geschmückt: so ertönt bei „24 Stunden sind kein Tag“ ein Cello; Mandolinen und Keyboards beflügeln die ohnehin sehr lebhaften (Baß-)Gitarren und Christianes Stimme hält alle Fäden zusammen. Produziert hat wieder Herman Herrmann, der auch bei der kommenden Tournee dabei sein wird. Und um noch einmal eine Textstellezu zitieren: „ … und für uns bleibt nur das schöne Leben“ singen Britta in „Wer wird Millionär“ - „nur“? Die Prada-Frauen sollen sehen, wo sie bleiben. Wir haben Britta.