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September 2005
Christina Mohr
für satt.org


Mark Stewart:
Kiss the Future

Featuring The Maffia & The Pop Group
Soul Jazz Records 2005

Mark Stewart: Kiss the Future
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Mark Stewart:
Kiss the Future

Mark Stewart gründete 1978, mit 17 Jahren, die legendäre Pop Group, die heute ihre verdiente Renaissance erlebt: Viele junge Bands verweisen auf den immensen Einfluß von Platten wie Y und Songs wie We Are All Prostitutes; besonders deutlich hörbar bei Radio 4, The Faint oder TV On The Radio. Aber The Pop Group waren alles andere als eine Popband, ihr Name war purer Kulturzynismus: hochpolitisch waren Mark Stewart und seine Mitmusiker, agitierend, kapitalismusverachtend, zornig und kämpferisch – und das alles zu einer Zeit, als Punk bereits zur Farce verkommen war und Desillusionierung im England des Thatcherismus wieder um sich griff. Die Musik der Pop Group war experimentell und nur schwer eingängig, avantgarde galore: als so ziemlich erste britische Band vermischte The Pop Group Punk/Wave mit Funk (weil ihnen „purer“ Punk viel zu langweilig war), liebte Dub und Reggae und jagte Mark Stewarts Stimme schon damals durch alle nur verfügbaren Sequenzer. Angeblich stülpte Stewart lediglich eine Plastiktüte über das Mikro, um den eigenartig verfremdeten, verzerrten Klang zu erzielen – vielleicht ein DIY-Mythos, aber mit eindrucksvollem Ergebnis.

1981 löste sich die Band auf, aus den Überresten der Pop Group entstanden unter anderen Rip, Rig & Panic (mit Neneh Cherry). Bands wie The Slits, New Age Steppers oder Palais Schaumburg, um mal eine deutsche Band zu erwähnen, wären ohne den visionären Sound von Mark Stewart und der Pop Group wahrscheinlich nie entstanden.

Nun liegt die Compilation Kiss the Future vor, erschienen bei Soul Jazz Records, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, verschüttete Schätze zu bergen und auf Sampler zu retten. Allerdings war Mark Stewart nie so richtig weg: Nach dem Ende der Pop Group traf Mark Stewart auf Adrian Sherwood (On U Sound), der die Aufnahmen Stewarts‘neuer Band The Maffia produzierte und – wieder kompromißlos nach vorne blickend und wagemutig – Dancehall, Electro und Industrial vermischte. Hört man die Maffia-Stücke heute, ist man überrascht, wie modern sie klingen: Weniger „Songs“ als brachiale, monumentale Elektro- und Dub-Etüden, energetisch aufgeladen wie Massacre, die Hardcore-Jazz-Band um Fred Frith (die auch eine Neuentdeckung wert wäre). DJs wie Carl Craig und DJ Hell bezeichnen Mark Stewart & The Maffia als unverzichtbaren Impuls für ihre Arbeit.

Und natürlich gibt es auch jede Menge Soloaufnahmen von Mark Stewart, von denen ebenfalls einige auf dem Sampler zu hören sind, zum Beispiel The Puppet Master von 2004 oder Dream Kitchen von 1995, ebenfalls von Adrian Sherwood produziert.

Vor einigen Monaten konnte Martin Peter, bayrischer DJ mit großem Bekanntenkreis, Mark Stewart sogar als Gastsänger für seine CD Enough of This? gewinnen, deutliches Zeichen dafür, dass Stewart sich nicht auf seinen Lorbeeren als Bristoler Legende ausruht, sondern sich jetzt, im Hier und Heute unters Volk mischt, mit vielen unterschiedlichen Musikern zusammenarbeitet und immer wieder neues, spannendes Material erzeugt.

Leider sind nur drei Pop Group-Songs auf Kiss The Future zu hören (We Are All Prostitutes, We Are Time, Beyond Good and Evil), aber das sollte Anlaß sein, sich um das Gesamtwerk von Mark Stewart / The Pop Group zu bemühen. Falls man es nicht eh schon zu Hause hat.