Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

Mai 2004
Christina Mohr
für satt.org


Stella:
Better Days Sounds Great

L’Age D’Or/LADO 2004

Stella: Better Days Sounds Great
   » amazon

Stella
Better Days Sounds Great



Viele haben schon sehnsüchtig gewartet: nach dem 2000er Album "Finger on the Trigger for the Years to Come" erschien am 10. Mai endlich die neue Platte von Stella, der Lado-Allstarband. Stella besteht aus Elena Lange, Mense Reents (eine Hälfte von Egoexpress), Thies Mynter (Superpunk, Phantom/Ghost mit Dirk von Lowtzow) und seit einiger Zeit Henrik Weber am Bass, der selbstredend auch eigene Sideprojekte (Minimalelektro) am Laufen hat.

Die Band hat sich von Anfang nie gescheut, die großen Themen zu behandeln: Liebe, Sex, Krieg, Politik, eingebettet in energiegeladenen Elektrorock. Diese Mixtur ist live besonders eindrucksvoll, nicht zuletzt durch die Performance der schönen Elena. Überzeugen konnte man sich davon bei der letztjährigen Jubi-Lado-Tour: neben Stella wirkten Youngster wie die schwer gehypten Spillsbury alt und depressiv.



Stella
© L'age D'or/ Lado Musik GmbH

Ihre Vielseitigkeit und schier unerschöpfliche Energie haben Stella nun in 15 neue Tracks gepackt, ein paar stelle ich hier in flottem Durchmarsch vor:
"Better Days Sounds Good" wartet schon am Anfang mit zwei hinreißenden Gassenhauern auf, "Never Going Back to School" und "Woman with a Beard" sind treibende Powerpopsongs mit Refrains zum Mitsingen, rebellisch und witzig. Die bärtige Frau hat einen deepen Basslauf im Gepäck, der an ESG erinnert, ergänzt von lustig hüpfenden Synthies. Ulkigerweise handeln beide Songs irgendwie von Schule, aber die dürfte doch für alle Stellas schon lange aus sein.
Doch was ist das? Hat jemand im Studio plötzlich das Radio angemacht und mitgeschnitten? Stella packen mit "Dreams" eine nahezu 1:1-Wiedergabe des schnuckligen Fleetwood Mac-Oldies auf die Platte und signalisieren, dass wirklich alles geht (wobei Elenas Stimme einen Tick zu kräftig für den Song ist, Stevie Nicks brüchig-zarte Elfenstimme paßte da besser).
In "Goodbye Popkids" zeigt Elena Lange, dass sie auch rappen kann: unter clicken und clappen gibt sie die Missy – eins der stärksten Stücke der Platte, ready für den Modern Soul Dancefloor. "The First and the Last Days of Love" katapultiert die Hörer um 180 Grad in eine andere Richtung, hier regiert Punkrock. Stück Nummer seven heißt Eleven (ist bestimmt kein Zufall, nicht bei Stella!) und wird als einziges nicht von Elena gesungen - ist sicher ein klasse Livestück mit hitverdächtigem Sänger-Background-Dialog. "Capitol Letters" wartet mit breit aufbauendem Refrain auf, eine Mitsinghymne mit einem – wie eigentlich durchgängig auf der Platte - super Bass. Das Titelstück "Better Days Sounds Great" ist ein aufs angenehmste reduziertes Songgerüst, eine Skizze, nur leichtes clicken, ein angenehmer Kontrast zum Breitwandsound des Vorgängerstücks, Elena singt ganz sanft (geht auch). Das japanisch anmutende Hintergrundgeklingel von "Better Days …" wird in "Take me Back to Tokyo" weitergeführt – allerdings knackiger und insistierender: Elena ist in Reisestimmung und bester Laune, eine schneidende Gitarre sorgt dafür, dass sich kein "Big in Japan"-Kitsch breitmachen kann. "Tonight" beginnt als mainstreamige Ballade und steigert sich zu gepflegtem Discofox, mit der kalkuliert aufgebauten Spannung und dem floskelhaftem Text ("She puts her body to the test, trying on that brandnew dress") könnte der Song auch im Feierabend-Radioprogramm laufen, ohne besonders aufzufallen.
Bei "I Could be Your English Teacher" wird wieder gerockt (woher kommt nur diese Schulobsession?), Elena schlüpft in die Rolle des Rockchick ("come on!"), auf den Backgroundgesang wird mächtig Hall gelegt. Auf "Work for Love" probiert Elena ihre Musicalstimme aus und muss aufpassen, dass sie nicht zur Ute Lemper des Indierock wird: sie kann alles, aber wo ist die Seele, das Herzblut?
"Underwater State" bietet gepflegten Clubsound zum Abschluss, "today I was driving underwater", das Chillen in der eigenen Afterwork-Lounge haben sich Stella jetzt wirklich verdient!

Stella sind im Lauf der Jahre beängstigend gut, nein, perfekt geworden, beinahe zu perfekt. Der Sound ist glatt, prall und prächtig, der souveräne Umgang mit den Instrumenten zeugt von absoluter Professionalität. Stellas Potential scheint unbegrenzt, die Band kann alles spielen, schüttelt Stil- und Soundwechsel lässig aus dem Ärmel. Bei dieser Bündelung von Energien und Talenten auch kein Wunder – Langeweile oder Eintönigkeit wird bei Stella nie vorkommen. Stella präsentieren zwar ein Popalbum wie aus dem Bilderbuch, doch bei aller Vielfalt läuft die Band Gefahr, ihr Gesicht und ihre Unverwechselbarkeit zu verlieren. Das Präsentieren und Abfeiern so vieler Stile und Stimmungen kann schnell auf Rockrevue-Niveau abrutschen, besonders Elena hat sich einen fetten Rucksack, randvoll mit Überambitioniertheit aufgeschnallt. Aber nur so kommt man zu was, weiß man ja selbst, daß immer die Bewerberin den Job bekommt, die die meisten Praktika und ausgefallensten Hobbies im Lebenslauf auflisten kann. Elena Lange vertraut darauf, dass viele Begriffe auf Englisch einfach schön klingen ("stranger", "pleasure dome"), ich wäre mal gespannt, wie Stella auf Deutsch klingen würden – aber spätestens mit "Better Sounds …" orientiert sich die Band ganz klar international, mit dem deutschen Markt wird sich Stella nicht begnügen wollen.
Ausserdem ist die Platte zu lang: 15 Stücke sind zu viel, um die definitiv vorhandenen Perlen eingehend zu würdigen, die Aufmerksamkeit läßt schlicht und einfach nach.
So, jetzt ist aber Schluß mit Meckern: Stella sind auf jeden Fall eine Super-Liveband und Ihr solltet sie nicht verpassen, wenn sie in Eure Gegend kommen (Tourdaten bald bei satt.org)! Freue mich schon auf die Liveversionen von "The Shape of Sound itself" und "Take me Back to Tokyo"!