Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

März 2004
Christina Mohr
für satt.org


Franz Ferdinand
Domino Records 2004

Franz Ferdinand

Franz Ferdinand
   » im Netz
   » bei amazon

Believe the Hype!



Franz FerdinandDas wichtigste vorneweg: Glaubt alles! Alles ist wahr! Franz Ferdinand sind toll! Sie sind die Band des Jahres 2004 und ich möchte diejenigen mal sehen, die ihnen diesen Status streitig machen wollen! So. Jetzt könnte dieser Bericht eigentlich auch schon aufhören, denn Ihr wisst ja schon alles über Franz Ferdinand: dass die Band aus Glasgow kommt, dass Gitarrist Nick McCarthy in Deutschland aufgewachsen ist und daher diese kauzige Vorliebe für deutsche Wörter und deutsche Bands wie Can und Kraftwerk kommt, dass Franz Ferdinand der Habsburger Erzherzog war, dessen Ermordung in Sarajevo vor 90 Jahren den Ersten Weltkrieg auslöste, undsoweiter undsoweiter.
In den letzten Wochen war es schier unmöglich, dem Namen Franz Ferdinand und Fotos der smarten Musiker nicht zu begegnen – alle relevanten Blätter machten Titelstories (Spex, Intro), Interviews und Rezensionen galore. Kaum eine Band – seit den sich als Vergleich beständig aufdrängenden Strokes – wurde in so kurzer Zeit derart gehypt, abgefeiert, mit Vorschusslorbeeren überhäuft, von allen toll gefunden, kurz: als lang ersehnte Konsensband für alle geliebt. Noch dazu ohne "The" im Namen, was ihnen möglicherweise später mal hochangerechnet werden wird.
Franz Ferdinand verkörpern im allerbesten Sinne den ewigen Wunschtraum des Pop, wie er zu Beginn der Achtziger Jahre schon einmal fast in Erfüllung gegangen wäre: mit Bands wie ABC, Scritti Politti, Orange Juice – die Symbiose von Mode, Design, Kunst und Musik, noch dazu umweht von einem Hauch Anarchie und Subversion, tongue-in-cheek-Intellektualismus. Durch ihre Vorliebe für schicke Hemden und Krawatten und einen messerscharfen Haarschnitt vervollständigen sie den Gesamteindruck – doch in Puncto "intelligenter Pop" wollen sie die Bälle lieber flach halten und ihre Musik nicht mit diskursiven Theorien überfrachtet wissen. Für Thomas Venker sind Franz Ferdinand die ideale Verbindung aus Artschool und Abifeier, wie er es in seinem Intro-Interview so schön anmerkt.
FF halten Popmusik und Popkonzerte für die unmittelbarste Form der Kommunikation – die wahre Subversion ist für Franz Ferdinand, mit einem Winz-Label an die Spitze der Charts zu gelangen und große Säle zu füllen; sie sehen sich in einer Linie mit den Specials, die 1981 mit "Ghost Town" die britischen Charts anführten, oder den Smiths, die auf Rough Trade begannen und dort blieben und nicht zuletzt – ob inszeniertes Spektakel oder nicht – die Sex Pistols auf Platz eins mit "God Save the Queen". Verstecktes Rumdaddeln vor fünf "Insidern" ist nicht Franz Ferdinands Vorstellung von Musikmachen, sie wollen Öffentlichkeit und sie wollen Erfolg! Um so schöner und beeindruckender ist dieser Erfolg, weil er ohne jegliche Marketingstrategie und ohne Masterplan des Labels Domino gelang – klares Zeichen dafür, dass das Publikum sie will – und keine "xy sucht den/die xy"-Show-Klone.

Franz Ferdinand

--- Während ich versuche, diesen Artikel zu schreiben, lasse ich die LP laufen und ständig muss ich aufspringen, um lauter zu drehen oder wild durchs Zimmer zu hüpfen – Franz Ferdinand wollen Musik machen, zu der die Mädchen tanzen – bitte, könnt Ihr haben! Aber tanzen ist viel zu wenig, man will springen, hüpfen, kreischen----- ach, diese Platte! Diese Platte, von der Kerstin Grether im Intro schreibt, sie klinge "so … glücklich" macht auch glücklich, definitiv. Einen einzigen, grossen Hit auszumachen, ist nicht möglich – jeder Song ein euphorisierender, hysterischer, unglaublicher Smasher, der einen zapplig und fröhlich macht. Nicht ein schwaches Stück haben sie auf dem Album versteckt, unglaublich.
"This Fire", die Singles "Darts of Pleasure" und "Take me Out" sind schon jetzt Klassiker, die auch nach Jahren noch die Tanzböden füllen werden; "The Matinee" ist ein Song, den man sich seit Jahren, ach was, Jahrzehnten gewünscht hat, ohne es genau zu wissen, nur tief drinnen hat man es gefühlt: überschäumend, perlend, entfesselt, eine moderne Old-School-Hymne – ungläubig beginnt man zu strahlen, zu jubeln, zu tanzen – danke, Franz Ferdinand!
Die Texte drehen sich um Hochschulen, Urlaub (Jacqueline mit der prägnanten Zeile "It's always better on holiday" – was sollte man dagegen einwenden? Keinen Koffer packen, einfach los!), Leidenschaft (This Fire), Liebe (Tell Her Tonight), Schlussmachen (Cheating on You: "Goodbye Girl/ it isn't over/ Goodbye Girl/Because it's only love/Goodbye Girl/Yes I'm a Loser …."), aussichtslose Liebe (Auf Achse: "You see her / You can't touch her / You hear her / You can't hold her / You want her / You can't have her") – um alle wichtigen Belange des Lebens also.
Die einzigartige Spannung, die Franz Ferdinand in jedem Song aufbauen, resultiert aus dem Mit- und Nebeneinander von Dancegroove und zackigem New Wave mit konzeptionellem Aufbau à la Talking Heads – Musik für Kopf und Körper. Natürlich hört man die Vorbilder, Gang of Four, Buzzcocks, Sparks, B-52's, XTC (ganz besonders!), Roxy Music, The Jam, The The, Kraftwerk, The Clash, um mal gross angelegtes Referenz-Namedropping abzuliefern – aber nichts ist falsch daran, aus dem grossen Meer called Popmusic die besten Impulsgeber herauszufischen. Franz Ferdinand klingen niemals retro, die Musik kommt immer auf den Punkt, wenn auch über ein paar Ecken: jedes Stück verwirrt und verzaubert durch rasante Tempiwechsel und gebrochene Strukturen, so mancher Song erscheint wie zweigeteilt (Jacqueline zum Beispiel). Alle Wildheit wird konstruiert, das Konstrukt durch wilde Spiellaune gleichzeitig dekonstruiert – je nach Sichtweise.
Natürlich müssen spätestens jetzt die Strokes (oder vielleicht auch die Libertines und Hot Hot Heat) ins Spiel gebracht werden: wo so viel Jubel ist, lauert möglicherweise auch der Über-Hype oder das One-Hit-Album-Wonder-Syndrom. Was Franz Ferdinand und die Strokes vom Heer der Epigonen und Mitbewerber um den Pop-Thron abhebt, ist der enorm lässige Umgang mit überlebensgrossen Vorbildern (Franz Ferdinand siehe oben, bei den Strokes: Iggy & the Stooges, die Ramones, Blondie), das Abliefern eines absolut perfekten Debutalbums und diese besondere Form von Glamour, die man nicht aufschminken oder anziehen kann – und die den Unterschied zwischen guten Musikern und Stars ausmacht. Die Strokes haben ja im Moment ein wenig mit ihrem Status zu kämpfen – schwierige zweite Platte, was kommt jetzt, die Auflösung? Franz Ferdinand, so scheint's, haben Ideen und Energie für noch zehn weitere Platten vom Kaliber ihres Debuts.

Ich wollte mit diesem Artikel unbedingt bis zum Franz Ferdinand-Konzert in Frankfurt am 10. März warten, weil ich wissen wollte, ob die Band die immensen Erwartungen auch live einlösen wird – Test bestanden, Konzert war super, eine Stunde – zack- dann war's vorbei! Zum Glück haben Franz Ferdinand ihr einstündiges Repertoire nicht mit Coverversionen oder extended versions ihrer eigenen Songs auf die übliche zweieinhalb-Stunden-Rockkonzert-Länge gestreckt. Das hätte den Charme getötet, der ihren Songs und ihrem Auftreten eigen ist.
Der Frankfurter Konzertort dürfte der Band gefallen haben, schliesslich waren sie in ihrer Heimatstadt Glasgow berühmt und berüchtigt für das Besetzen ungewöhnlicher venues wie etwa einer stillgelegten Lagerhalle. Wegen der grossen Nachfrage wurde der Auftritt vom kleinen Kellerclub "Nachtleben" ins benachbarte ehemalige Royal-Kino verlegt – das plüschig-rote Ambiente passte wunderbar! Hinter der Band liess man Filmschnipsel laufen, Endlosschleifen von Skiunfällen, Strandszenen und Werbung für elastische Herrenhosen. Es gab also auch was zu Gucken, falls man keinen guten Blick auf die Band erwischen konnte. Es war nämlich voll – und die Mädchen haben getanzt, natürlich! Draussen stand ein Kamerateam von N24 und fragte: "Findet Ihr, dass Franz Ferdinand eine Mädchenband sind?" ---- JAAAAAA – zum Glück! Und das ist der kleine, aber bedeutende Unterschied zwischen POP und Rock …