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April 2003
Hajo Mönnighoff
für satt.org


Deutsch Amerikanische Freundschaft:
Fünfzehn Neue DAF Lieder

Superstar 2003

DAF: 15 neue Lieder
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Deutsch Amerikanische Freundschaft
30 DAF Lieder - Konzertreise 2003
7. April in der Columbia-Halle, Berlin



DAF-SonneEigentlich hätte es da von vornherein keine Zweifel geben dürfen: Dieses Konzert, gar keine Frage, muss ich besuchen. Und: Es wird vermutlich so, wie es am Ende dann auch wurde. Damit erübrigt sich nachträgliches gesteigertes Wermutgeträufel, von Vergleichen mit "früher" gar nicht zu reden. Vor zwanzig Jahren wäre ich aus Altersgründen bei der Einlasskontrolle zu egal welchem Konzert ohnehin noch ausgefiltert worden. Dass die Deutsch Amerikanische Freundschaft meinem dennoch über einige Jahre herzinnig geliebten und gepflegten Band-Mythos nicht so ganz gerecht werden könnte, war mir vorher klar. Die leise Hoffnung aber, noch ein Restchen vom Glanz dessen schauen zu dürfen, was ich bislang stets nur aus der Konserve hören durfte, vielleicht sogar Gabi Delgado und Robert Görl doch ein wenig als Inkorporanten jenes Band-Ideals erleben zu können, das mir leider nur zweidimensional die "Dreiklangdimensionen" des Bayerischen Rundfunks sichtbar machten - diese leise aber beharrliche Hoffnung gab mir den Anlass, mich zu lautem Sequenzer-Gezockel hin- und herschubsen zu lassen.

Ich war etwas überrascht, die Columbia-Halle nur knapp zur Hälfte gefüllt zu sehen - trotz des anscheinend nicht gar so großen Erfolgs der aktuellen CD. Vor allem hätte ich bedeutend mehr "alte" Fans erwartet. Kaum zu glauben, dass das ganze junge Volk da war, um ein paar Oldies zu hören. Aber wäre denn irgendjemand wegen der neuen Stücke gekommen? Angesichts des ausgebliebenen Gedränges wünscht man sich zumindest nachträglich, die Planung hätte für diese Konzertreise kleinere Veranstaltungsorte vorgesehen - zumindest in Berlin hätte das vielleicht auch noch in den hinteren Reihen für mehr Stimmung sorgen können.

Erfreulicherweise verzichtete die Band weitestgehend auf schmückenden Firlefanz im Bühnenbereich. Lediglich eine in längliche, rotierende Streifen zerteilte Projektionsfläche wurde mit Schlagwörtern beleuchtet, die dem gerade vorgetragenen Text entlehnt waren. Unnötig allemal, schließlich wiederholt Gabi Delgado jede Zeile so oft, dass die Suggestivwirkung nicht mehr visueller Verstärkung bedarf, die sie ohnehin aus der Präsenz des Sängers bezieht. Durchaus MC-verwandt rufend, häufiger auch schreiend - das wunderbar tiefe Geknödel früherer Aufnahmen gibt es live offenbar nicht - legt er viele, viele Meter im für die Band und den Besucherkontakt zu großzügigen Bühnenraum zurück, zeigt Haut (offenes Hemd) und übergießt sich gelegentlich mit Wasser (mehr Schweiß).

Deutlich näher an der Bühnenrückwand denn an Sänger und Publikum platzierten sich zur Rechten Robert Görl mit allerlei großenteils verdeckten Gerätschaften und zur linken ein unbekannter präziser Schlagzeuger hinter einem nicht ungewöhnlichen, für den Anlass jedoch fast ungehörig aufwändigen Schlagwerk. Was zu Beginn der Achtzigerjahre angeblich ehrfurchtsvolle Bewunderung auslöste, das Bewältigen selbstverständlich auch heute noch hoher spieltechnischer Anforderungen an den Schlagzeuger beim sequenzergebundenen Spiel, dürfte mittlerweile als normal und nicht mehr als Anziehungspunkt im Bühnengeschehen betrachtet werden. Das Bedienen von Synthesizern, Computer- und Mischpulttechnik gibt optisch bekanntermaßen ungleich weniger her als raumgreifendes Getrommel, lebt also erst recht von der Präsenz des ausführenden Musikers. Robert Görl ließ sich hiervon aber nicht beeindrucken, sondern verrichtete scheinbar nicht besonders teilnahmsvoll aber akkurat seinen Teil der Bandpflichten. Bisweilen war der Eindruck nicht loszuwerden, DAF bestehe eigentlich nur aus Gabi Delgado - glücklicherweise konnte man sich dann noch den Schlagzeuger anschauen. Oder sich darauf besinnen, dass man doch gerade jetzt das bekam, was die erwähnten "Dreiklangdimensionen" rund zwei Jahrzehnte vorher bereits im Studio eingefangen hatten - den überaus präsenten und einnehmenden Sänger und den außerordentlichen Schlagzeuger/Musiker, der aber irgendwie so dasteht, als durchlebe er innerlich gerade den Kampf zwischen Himmel und Hölle und keine Musikdarbietung.

Ein großer Teil des Publikums hatte denn auch, als die Zeile "Schwitzt, meine Kinder" ("Sato-Sato") das Konzert eröffnete, genau dazu Lust. Die Resonanz war jedoch spürbar geteilt. Eher verhaltenen Beifall gab es im hinteren Hallenbereich, wo sich vermutlich die Gäste aufhielten, die entweder mehr - vielleicht eine alterslose Vision der frühen Achtziger ohne Haarausfall - oder sowieso nur noch alte Säcke erwartet hatten, die zu Lebzeiten ihr Denkmal vom Sockel hebeln. Vor der Bühne wurde ohne Enttäuschung fröhlich gepogt und bis weit ins Halleninnere gejubelt. Bemerkenswert war dabei, dass insgesamt neue und alte DAF-Lieder gleichermaßen aufgenommen wurden. Alte Titel wie "Verschwende Deine Jugend" oder "Der Mussolini" konnten zwar mehr Tänzer animieren als manches Neue, aber selbst jemand, den die aktuelle Veröffentlichung "15 neue DAF Lieder" nicht mehr zum Fan machen würden, wäre es ein Debüt-Album, muss zugeben, dass live die meisten dieser Lieder ihren Zweck verblüffend ähnlich erfüllen wie die Evergreens. Gabi Delgados Stimme und Vortrag wirken live erheblich besser, als dies bei der neuesten Studioproduktion der Fall ist und vermögen dadurch dem Konzert genau den bündigen Verlauf zu geben, den man erwartet - im Hinblick auf das zum Teil recht heterogene Klangbild, das alte und neue Halb- oder Viertel-Playbacks nebeneinander abgeben, eine beachtliche Leistung.

Ein einziger Moment spürbarer Distanz entstand nach "Kinderzimmer", einem Titel der über jugendliche Verehrung von politisch motivierten Terroristen und chauvinistischen Rebellen aus gutem Hause Zeugnis ablegt - Jungens sind wohl so. Die eher zurückhaltende Reaktion auf das abschließend kommentierende "So war das" schien zu sagen "So ist es aber nicht mehr". Das DAF-Publikum hat heute offenbar andere Helden. Das wird die Band wissen. Sie glaubt ja auch zu wissen, wer heute unser bedrohlichster Feind ist. "Der Sheriff" wäre gar nicht so schlimm, wenn der furchtbare Untertitel "Antiamerikanisches Lied" nicht wäre. Wenn "Der Mussolini" noch einigermaßen unberechenbar und mit großem hermeneutischen Spielraum eine in dieser Form üblicherweise nicht aufgezählte Liste Prominenter (Mussolini, Hitler, Jesus Christus) zu neuartigen Klängen auf die Tanzfläche brachte, dann ist "Der Sheriff" leider das völlige Gegenteil geworden. Eigentlich eines der guten Stücke der neuen Produktion, aber hier wird über den Untertitel sehr berechnend in ein misstönendes Horn gestossen, das momentan vieler Leute Lieblingsinstrument zu sein scheint. Wo die Avantgarde hinfällt …

Nicht alle sehen es so. Die vor mir hüpfende Amerikanerin war von diesem Lied ebenso begeistert wie von den meisten anderen. Schön wie die Freiheit sprang sie als Allegorie auf Eispickel-Absätzen der pogenden Menge auf die Füße, vielleicht etwas Schönes für sich gewinnend, traurigerweise aber auch Schmerzen zufügend. Besser immerhin, als aus der Distanz die von einer Ikone abblätternde Farbe zu betrachten. "Tanz den Jesus Christus" wurde uns ja schließlich auch aufpeitschend zugerufen und nicht "Ehrt ihn still - er ist tot". DAF sind es nicht.