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1. Juni 2014 | Anja Kümmel für satt.org |
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Klassische Moderne, aktualisiert.In seinem Erzählungsband „Kebehsenuf“ bietet Alexander Graeff einen zeitgemäßen Rückgriff auf die Reflexionsprosa des Expressionismus Wenn Heinrich und Fernando zusammen Urlaub machen, dann hört sich das bei Alexander Graeff so an: „Zwei Schriftsteller kommen zur Hochzeit einer Tierfamilie“ – das Surreale, Kryptische ist sogleich mit von der Partie. Auf der nächsten Seite klären sich die Verhältnisse, zumindest deren äußere Umstände: Wir befinden uns in Griechenland im Jahre 1939. Ziemliche Schwerenöter scheinen die beiden Gäste zu sein, die nicht nur Unmengen von Wein und Rauschmitteln konsumieren, sondern auch jede Frau, die ihnen begegnet, mit Blicken und Worten abtasten nach ... Ja, was eigentlich? Ganz offensichtlich geht es hier nicht allein um die Anhäufung erotischer Abenteuer, sondern vielmehr (wie die beiden später erörtern) um die Suche nach dem „Ich bin“, verkörpert durch ein weibliches Gegenüber – den Eros also, verstanden im philosophischen Sinne als Erkenntnisdrang oder Wahrheitsstreben. Heinrich und Fernando sind „Suchende (...), die es in sich brodeln spüren“, und damit prototypische Figuren in Graeffs neuem Erzählband Kebehsenuf, der soeben im Berliner Independent-Verlag J.Frank erschien. Nicht alle seiner Protagonisten sind grüblerische Einzelgänger; doch selbst den Lebemenschen unter ihnen ist die sinnliche Erfahrung der Welt unmöglich ohne deren fortwährende Reflexion und Versprachlichung. Und spätestens beim Thema „Sprache“ angelangt, dürfte literaturbeflissenen Leser_innen aufgehen: Heinrich ist niemand Geringeres als ein fiktionalisierter Henry Miller, in den der Geist Fernando Pessoas gefahren ist. Der fluide Übergang zwischen Leben und Tod gehört zu den Leitmotiven in Kebehsenuf – kein Wunder, bezeichnet „Kebehsenuf“ doch einen der vier Kanopengötter aus der altägyptischen Mythologie, den Schutzgott der Toten, der zugleich als Medium zwischen Leben und Tod fungiert. Leicht zugänglich sind die Texte von Alexander Graeff (Jahrgang 1976 und studierter Philosoph) nicht gerade. Schon der exotische Titel, den der Autor für seinen nunmehr dritten Erzählband wählte, dürfte sich den meisten erst durch Nachschlagen bzw. Googeln erschließen. In den meisten Geschichten gelingt Graeff eine ausgewogene Balance zwischen Erzählerischem und Essayistischem, Alltäglichem und Transzendentalem, sinnlicher Erfahrung und theoretischer Reflexion. Nur selten hemmen überlange Dialoge oder allzu philosophisch abgehobene Monologe den Erzählfluss. Doch selbst wenn einige dieser Passagen ermüden – belehrend wirken sie nie. |
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