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6. Juli 2008
Martin Jankowski
für satt.org

Erinnerungen an die Zukunft

Jörg Albrecht: Sternstaub, Goldfunk, Silberstreif.

Es ist schon erstaunlich, dass Jahre nachdem der Marketingbegriff der neuen „Popliteratur“ seine diskursive Zauberkraft in deutschen Landen wieder verloren hat, solche Bücher geschrieben werden! „Sternstaub, Goldfunk, Silberstreif“ nennt der literarische Experimentalpopper Jörg Albrecht (neuerdings in Berlin lebend) sein neuestes Werk. Er bezeichnet es als „Roman“, aber auch wenn wir drei tapfere Haupthelden ausmachen können mit delitnen wir bangen und hoffen dürfen, um einen Roman im herkömmlichen Sinne handelt es sich nicht. Man könnte diesen wunderbaren Text ebenso gut einen Essay nennen, denn bei aller fiktionaler Kreativität beinhaltet er statt einer nachvollziehbaren Handlung vor allem die spielerische Betrachtung einer geistigen Haltung - der Begeisterung für das Weltall und für die Zukunft. Eben jene Geisteshaltung mit der Jörg Albrecht offenbar aufgewachsen ist und an die sich zu erinnern dem Leser dank der Geistesblitze des Autors zum Vergnügen wird. Vom Jahr 1988 aus unternimmt der Text Zeitreisen zu den ersten Flugversuchen Otto Lilienthals, zu den Raketentest von Peenemünde, zu Fritz Langs Babelsberger Filmarbeiten zur „Frau im Mond“ und sodann mit dem „Raumschiff Orion“ (und höchst interessanter Besatzung!) durch die ganze Palette deutscher Weltraumbegeisterung bis in unsere Gegenwart – und auf nostalgische Weise auch darüber hinaus. Eine vergnügliche Reise zugleich durch die Möglichkeiten, die ein literarischer Text in den Zeiten von Computerpop und Internet-Trash zu bieten hat. Auf den Saturnringen kreisen wir mit der Raumfähre DISCO VERY zu Atariklängen und Spielkonsolesounds, wir erfahren einiges über das musikalische Erbgut in der DNA Ziggy Stardusts, des Sandmännchens und Neuigkeiten über die Ängste von Kosmo- und Astronauten wie Siegmund und Ulf. Indem uns Albrecht an die abgelegten Weltraumhelden und –mythen unserer jüngsten Vergangenheit erinnert und sie in Zusammenhang bringt, weckt er das Kind in uns und beschwört, ganz im Sinne des Pop, mit kluger und ernsthafter Ironie starke, bunte und eindeutige Gefühle herauf, die uns die Abgeklärtheit differenzierterer Weltbetrachtung so gerne vorenthält.

Populär im Sinne von „leicht zu lesen“ ist dieses Buch sicher nicht, am ehesten erinnert es an Klaus Theweleits essayistische Spaziergänge durch unsere neuere Kulturgeschichte, wenngleich Albrecht eher ein ironisches Spiel mit seinem Material treibt, das – dem Thema angemessen – mit viel Phantasie und Enthusiasmus dem unterhaltsam Fiktiven näher steht, als nonkonformistischer Kulturreflektion. Thematisch originell ist der Ansatz, konsequent allein die populären deutschen Vorstellungen von Zukunft und Welltraum zu betrachten; regelrecht neuartig jedoch ist die Art und Weise mit der Jörg Albrecht seinen assoziativen Text zu einem vergnüglichen und erhellenden Ganzen verwebt. Die Leichtigkeit, mit der hier neue Mittel gefunden und verwendet werden, lohnt allein schon die Lektüre. Und wenn sich am Ende die Fußnotensternchen der systematisch ironischen Anmerkungen gar in wahre Sternbilder auflösen, ist der Himmel der deutschen Popliteratur erreicht, auch wenn schon keiner mehr damit gerechnet hatte... Jörg Albrecht hat ein funkelndes, formvollendetes Kabinettstückchen deutscher Popliteratur geschrieben.



Jörg Albrecht: Sternstaub, Goldfunk, Silberstreif.
Roman. Wallstein 2008. Geb., 232 S., 19,90 Euro.
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