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August 2007
Achim Wagner
für satt.org

Ptolemäus von der Konsumgaststätte

Maik Lippert:
im rauchglas des himmels
überm gewerbegebiet

Gedichte 1990-2005
Edition Thaleia,
St. Ingbert 2007

Maik Lippert: im rauchglas des himmels überm gewerbegebiet

145 S., 13,00 Euro
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Nach seinem kleinen, 2003 in der Kölner parasitenpresse veröffentlichten Debütband „fahrten ins sediment“ erschien mit „im rauchglas des himmels überm gewerbegebiet“ 2007 in der edition thaleia erstmals und überfällig eine umfangreiche Gedichtsammlung von Maik Lippert. Lyrische Arbeiten aus 15 Jahren (von 1990 bis 2005) in chronologischer Abfolge, auf 145 Seiten, was in dieser Mengenerscheinung an den hier nur kurz erwähnten, aber ebenfalls sehr empfehlenswerten Band „hard cover“ (Bücher der Nyland-Stiftung, Neue Westfälische Literatur, 2006) von Nicolai Kobus erinnert. Lippert – wie Kobus – Förderpreisträger beim Literarischen März filtert Existenzielles aus alltäglichen Beobachtungen, alltäglichen Begebenheiten, auf Bahnsteigen, in Supermärkten und unter der Dusche.

Die Arbeiten fußen durchwegs im Realen, ohne bloßes Abbild zu sein. Es sind kleine eigenwillige Verschiebungen, mit denen Lippert arbeitet, manchmal durch Versatzstücke aus der Chemie erzeugt: „wissen die kinder in dindigul / die zu den häuten ins gerbfass kriechen / unsere adresse / geliebte / ich kenne sie nicht / nur namen / aus bollywoodfilmen / kann ich dir schreiben / die schöne formel / zerstörerischer kristalle / C6CI5OH“ (aus: „geliebte du bleibst“).

Zwar zieht sich eine melancholische Grundhaltung durch dieses Kompendium, doch finden sich immer wieder verschmitzte, fast humoristische Einsprengsel, die diese Haltung aufbrechen und eine weitere Ebene einführen.

Lippert arbeitet mit dem freien Vers, er ist dabei stilsicher, das handwerkliche Niveau ist gleich bleibend hoch, wobei in den frühen Arbeiten das Gerüst für die späteren Stücke erkennbar ist, das Aufbrechen der Syntax, die Gegenläufigkeit der Zeilen, die auch in dieser freien Form geglückten Ableitungen ins Liedhafte.

Kindheits- und Jugenderinnerungen blitzen auf, verschwimmen in der Landschaft, die hinter der mit dem Ärmel frei gewischten Scheibe in einem Zugabteil fragmentarisch sichtbar wird, aus der Landschaft schält sich das Gesicht der Geliebten, deren Nähe immer wieder gesucht wird, in kritischer Affirmation: „wie tief / deine mundwinkel hängen / das traurige maul / einer lachsin / wie nach dem ablaichen / denke ich / kann es noch zärteln / an meinen brustwarzen / einreden ist alles / wenn ich du sage / sind das nur selbstgespräche / eines müden milchers / denn bestimmung gibt es ja / für dich und für mich / nicht / zum glück fehlt uns der kompass / im hirn / der die lachse landeinwärts treibt / zur quelle zurück“ („verlieben ist einrede“) oder „küss mich … / auch wenn die zahnreihen schief sind“ (aus: „spür die verwerfungen“).