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März 2005 Timo Berger
für satt.org

Der kubanische Schriftsteller
Guillermo Cabrera Infante
starb Ende Februar im
selbstgewählten Londoner Exil
an einer Blutvergiftung

Nach Bekanntwerden des Todes von Guillermo Cabrera Infante rückten die deutschen Nachrichtenagenturen vor allem den politischen Aspekt seines literarischen und journalistischen Schaffens in den Vordergrund. Dass Cabrera Infante ein "Symbol des kubanischen Widerstands" gewesen sei, fand sich auch in den Nachrufen von Spiegel bis Zeit. Zulange, könnte man vermuten, lag das Erscheinungsdatum seines Hauptwerk "Tres tristes tigres" (1967, dt. 1987 "Drei traurige Tiger") zurück, mit dem der Autor auch in Deutschland eine gewissen Berühmtheit erlangt hatte.

Cabrera Infantes von den Kritikern vielgepriesenes intellektuelles Engagement beschränkte sich aber vor allem auf den spanischsprachigen Raum, zuletzt auf seine regelmäßigen Kolumnen in der Madrider Tageszeitung El País. Hierzulande fiel er vor kurzem durch einige abfällige Bemerkungen über das heutige Kuba auf: "Unter der (1959 von Castro gestürzten) Batista-Diktatur, so hieß es immer, war Kuba ein Bordell für die Amerikaner. Heute ist es zu einem Puff für europäische Touristen geworden", erklärte der Schriftsteller mit seinem notorischen Hang zu Wortspielen Anfang diesen Jahres dem Spiegel.

Im Gegensatz zu anderen Boom-Autoren wie Gabriel García Márquez, Carlos Fuentes und Mario Vargas Llosa gehörte Cabrera Infante zu Recht oder zu Unrecht zu den Autoren, deren Ruhm auf nur ein Buch gründete. Zwar war er nach "Drei traurige Tiger" weiterhin schriftstellerisch tätig, doch seine Werke fanden weder bei den Kritikern noch bei der Leserschaft einen vergleichbaren Widerhall. Dazu mag auch der Autor selbst beigetragen haben, in dem er Vorarbeiten und Teile seines Erfolgsbuches im Nachhinein als eigenständige Erzählungen veröffentlichte – so als würde er selbst wenig Vertrauen in seine späteren Werke setzen. Überraschend kam dann auch die Verleihung des Cervantes-Preises 1997, der bedeutendsten Auszeichnung für spanischsprachige Literatur. Eine Art späte Genugtuung für den Autor gegenüber die anderen Schriftstellern der Boom-Generation – während ihre Veröffentlichungen bis heute als literarische Großereignisse gefeiert werden, war der Exilant zunehmend ins Hintertreffen geraten.

Guillermo Cabrera Infante wurde am 22. April 1929 in Gibara auf Kuba geboren. Als er zwölf Jahre alt war, zog er mit seinen Eltern nach Havanna um. Das Jahr 1947 markierte einen ersten Wendepunkt in seinem Leben: er gab das Medizinstudium auf und fing an zu schreiben. 1950 begann er ein kurzes Studium an der Journalistenschule – der Journalismus sollte, neben dem Kino, zu einer seiner großen Leidenschaften werden. 1952 geriet Cabrera Infante zum ersten Mal mit der strengen Zensurbehörde des Batista-Regimes in Konflikt. Aufgrund der Veröffentlichung einer Kurzgeschichte, die, so der Vorwurf, "english profanities" (d.h. Anzüglichkeiten) enthalten hätte, wurde er festgenommen und musste schließlich eine Geldbuße bezahlen. Aus dieser Zeit rührte seine erbitterte Gegnerschaft zum Batista-Regime, die ihn später noch ins Gefängnis bringen sollte. Auch seine Eltern waren als Mitgründer der kommunistischen Partei Kubas Oppositionelle.

1953 heiratete er zum ersten Mal. Ein Jahr später begann er unter dem Pseudonym "G. Cain" in der Wochenzeitung "Carteles" Filmkritiken zu schreiben. 1957 wurde er sogar Redaktionschef des Blattes. Zusätzlich zu seiner journalistischen Tätigkeit, verfolgte er seine schriftstellerischen Ambitionen und gewann in den folgenden Jahren mit seinen Kurzgeschichten Preise und Auszeichnungen. Er nahm sehr aktiv am intellektuellen Leben Kubas teil, gründete die Cinemateca de Cuba, der er von 1951 bis 1956 als Leiter vorsaß. Nach der Revolution 1959 wurde er zum Direktor des Nationalen Kulturrats und des Filminstituts ernannt. Gleichzeitig dirigierte er die Literaturbeilage "Lunes de Revolución" von der Gründung bis zu dessen Schließung im Jahr 1961. Doch erst 1960 erschien seine erste bedeutende Erzählung "Como en la paz en la guerra" (dt. "Wie im Krieg so im Frieden"). Ende 1961 heiratet er schließlich zum zweiten Mal die Schauspielerin Miriam.

War Cabrera Infante anfangs als Teil des Batista-Widerstands ein Anhänger der kubanischen Revolution, begann bald nach den ersten Säuberungen und Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit seine Entfremdung von der Regierung Fidel Castros. Anfang der sechziger Jahre protestierte er öffentlich gegen die Zensur literarischer Bücher und ging daraufhin in den diplomatischen Dienst nach Europa. Er selbst interpretiert seine Berufung zum Kulturattaché der kubanischen Vertretung in Belgien als "Abschiebung". Dieser Aufenthalt im Ausland beschäftigte Cabrera Infante auch noch nach dreißig Jahren im Exil. Er schrieb, dass er ihm in Bezug auf die kubanische Revolution "die Augen geöffnet" habe. Danach habe er sich in einen Gegner Castros verwandelt.

1964 gewinnt er seinen ersten internationalen Preis mit "Vista del amanecer en el trópico" (dt. "die Ansicht der Tropen im Morgengrauen") den Preis "Biblioteca Breve" des katalanischen Verlagshauses Seix Barral. 1965 kehrt er das letzte Mal nach Kuba zurück, um dem Begräbnis seiner Mutter beizuwohnen. Danach quittiert er den diplomatischen Dienst und geht freiwillig ins europäische Exil: zuerst für eine kurze Zeit nach Madrid, danach nach London. 1979 erhielt er die britische Staatsbürgerschaft.

Mit der Veröffentlichung von "Tres tristes tigres" (1967) wird er international berühmt. "Drei traurige Tiger" ist ein Sittengemälde des nächtlichen vorrevolutionären Havannas. Während einer endlosen Autofahrt erzählen sich drei Freunde, die "Tiger", ihre Geschichten von Liebe, Sex, Musik, Drogen und Gewalt. Immer wieder wird diese Fahrt unterbrochen durch eingeschobene Erzählungen, Kino-Plots und Nebenhandlungen, in denen Cabrera Infante seine Vorliebe für Sprachspiele und Experimente weiter verfolgt. Unvergessener Höhepunkt seines experimentellen Delirums ist eine Folge von Erzählungen, die, den Stil verschiedener kubanische Autoren imitierend, den Tod von Leon Trotzki schildern.

Andere Hauptwerke von Cabrera Infante sind "Rauchzeichen" ("Holy Smoke", 1963), eine Kulturgeschichte des Tabaks, und der Essay "Kino oder Sardine?" ("Cinema or Sardine", 1997). Zudem verfasste er Drehbücher wie etwa für John Houstons Adaptation von Malcom Lowrys "Unter dem Vulkan". Auf Deutsch erschien von ihm außerdem eine Sammlung von Film-Essays mit dem Titel "Nichts als Kino" (alle deutschen Titel im Suhrkamp Verlag). Die letzten Jahre seines Lebens lebte er in London und widmete sich weiterhin der Literatur und dem Journalismus. 1991 rechnete er in einer Sammlung politischer Schriften, "Mea Cuba", mit Castro ab. Nach Kuba wollte er erst wieder nach dem Ende der Regierung Castro zurückkehren, erklärte er 1997.

Im Alter von fünfundsiebzig Jahren erlag Cabrera Infante am 21. Februar 2005 in einem Londoner Krankenhaus einer Blutvergiftung, die er sich als Folge mehrerer schwerer Erkrankungen zugezogen hatte. Nach Angaben seiner Familie hatte er sich kürzlich bei einem Sturz eine Hüfte gebrochen. Außerdem litt er an Diabetes und einer Lungenentzündung.