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21-März 2005 Frank Fischer
für satt.org

Leipziger
Buchmesse
2005


Leipziger Buchmesse 2005


Leipziger Buchmesse 2005


(Fotos: Frank Fischer)


Leipziger Buchmesse 2005


Leipziger Buchmesse 2005


Leipziger Buchmesse 2005


Leipziger Buchmesse 2005


Leipziger Buchmesse 2005


Leipziger Buchmesse 2005

Leipziger Buchmesse 2004
Leipziger Buchmesse 2002

Leipziger Buchmesse 2005

»Wir dienen dem Autor …«

Ernst und heiter, hitzig und freudig: Eine kleine Nachbereitung der Frühjahrsbuchmesse

»Mein Vater war eine Sturzgeburt.« So lautete der wahrscheinlich häufigste Satz auf der diesjährigen Buchmesse. Es ist der erste Satz in Eva Menasses Romanerstling »Vienna«, mit dem die Autorin von Donnerstag bis Sonntag durch die Messehallen und die Leipziger Innenstadt tingeltangelte und damit an die Ubiquität von Jamba-Klingelton-Werbung erinnerte.

Frau Menasse war allüberall und las aus und redete über ihren Roman, über die Austriazismen und Satzinversionen darin und über deutsche Leser, die diese nicht verstanden und sich darüber in entsprechenden Leserbriefen ausließen. Dabei hat das Buch ein Glossar, und überhaupt: »Die Döötschen müssten das äägentlich kennen, Hitler hat ja auch so gesprochen.«

Der Autorin ist die deutsche Kritik aber lieber als die österreichische, denn letztere lese »Vienna« als Schlüsselroman und rätsele, welche Romanfigur nun welcher realen Person entspräche. In Deutschland werde das Buch hingegen als fiktionalisierte Familiengeschichte wahrgenommen, und so wurde Menasses Roman im 3sat-Gespräch mit Gabriele Madeja auch gleich in eine Reihe mit den Werken von Thomas Mann, Péter Esterházy und Amos Oz gestellt, um die Vorstellungskraft des Publikums zu strapazieren.


Blaues Sofa

Neben dem Abgreifen von 3sat-Umhängetüten und arte-Stoffbeuteln war der Besuch des Blauen Sofas wie immer obligatorisch und unausweichlich. Vom Drehkreuz am Haupteingang wurde man direkt dorthin geschleudert, wo sich zum Beispiel die Jungautorin Silke Scheuermann gegen die Pseudovorwürfe der »Bild«-Zeitung verteidigte, sie dichte »am liebsten über hemmungslosen Sex«. Sehr sachlich stellte sie fest: »Sex gehört zum Alltag«.

Zum selben Thema lieferte überraschend der Napoleon-Biograf Johannes Willms eine Adnote. Angesichts Napoleons frühen Erfahrungen mit einer Prostituierten appellierte er ans Publikum: »Meine Herren, meiden Sie das, es ist immer enttäuschend.« Gehört dieser Satz auch zur Rechercheleistung für das Buch? »Du weißt, was du grad gesagt hast?«, fragte dann auch Willms’ Gesprächspartner Volker Panzer.

Am selben Ort wägte Wolfgang Herles vorsichtig eine Revision der Nürnberger Prozesse ab: »Hätte Albert Speer nicht auch an den Galgen gehört? Ist er nicht zu glimpflich davongekommen?« Was immer der Hitler- und Speer-Biograf Joachim Fest antwortete, er wiederholte aufs Komma genau die Formulierungen aus dem Interview, das er am Vortag der »Welt« gegeben hatte. Und feierte dann noch mal seinen »Hitler war links, nicht rechts«-Artikel in der Feindes-»taz«.


Kleinverlage

Am Rande der Messe gab es wieder zwei ausgesuchte Feuilletonrunden, gleich am ersten Messetag ein von den »bücher.machern« organisiertes Podium zur »Gründerzeit« für unabhängige Kleinverlage. Die Diskussion lebte von der Präsenz des Doyen Klaus Wagenbach, dessen Sprüche sofort dutzendfach in den Buchmesseberichten der großen Zeitungen kolportiert wurden. Er schrie sogar mal kurz »Heil Hitler«, während er angewidert von der »Marktführerschaft« sprach, die all die großen Konzerne anstrebten, rein profitorientiert und ohne inhaltliche Konzepte. »Weltbild«-Filialen nannte er »Idiotenbuchhandlungen« und zitierte freudig Enzensberger: »Bertelsmann ist ein großer Verlag, aber mir fällt gerade kein Autor ein.«

Als Intermezzo arbeitete Thierry Chervel vom Perlentaucher weiter am Mythos seiner kleinen Firma. Dass sie eigentlich »Trüffelschwein« heißen sollte, erwähnte er nur nebenbei, doch prompt wurde eine dpa-Meldung daraus.

Trotz Ablenkungen wie dieser schien am Ende der Diskussion ein Konsens auf: Ziel der Kleinverlage muss sein, einen Qualitätsbegriff nach außen zu tragen, bezüglich der künstlerischen Gestaltung und Verarbeitung, des Lektorats sowie einer etwaigen Übersetzung. A propos: »Übersetzernamen aufs Cover, Lektorennamen ins Impressum!«, forderte Denis Scheck.


Lektorat

Diese Stichworte wurden am Messesamstag dankend aufgenommen. In seinem einführenden Referat zum Podiumsgespräch »Über das Verschwinden des Lektorats« zählte Gunther Nickel in der germanistischen Tradition des Aufstellens von Errata-Listen Stilblüten aus neuen Arbeiten zum Jubilar Schiller auf, etwa die Feststellungen »Schillers Ansatz war interessant« und »Schiller ist mit einem Löwenherz geboren worden«. Dann lieferte er innovativerweise einen geschichtlichen Abriss zum Lektorenberuf, der als qualitätssichernde Maßnahme erst Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Professionalisierung der Branche geschaffen wurde. Als oberstes Lektorenproblem sieht er »nicht schlechte Bücher, sondern gute Bücher, die nicht gut genug sind«.

In der anschließenden Diskussion lieferte Denis Scheck eine weitere Blüte, diesmal aus der Autobiografie von Oliver Kahn: »Die Trennung von meiner Frau hatte nichts mit ihrer Person zu tun.« Nach dem Gelächter begann Joachim Unseld irgendwann, manisch die Dienerfunktion des Lektors zu betonen, und tat dies so lange, bis es Denis Scheck auf die Nerven ging:

UNSELD: »Wir dienen dem Autor …«
SCHECK: » … und der Autor dient der Sprache … und die Sprache dient Gott.«
(Peinliches Schweigen. Sich rötende Gesichter.)
UNSELD (hitzig & empört): »Das letzte kommentier’ ich jetzt nicht. Das finde ich … blöd.«

Katharina Raabe, Lektorin bei Suhrkamp, ließ endlich etwas Dampf aus dem Kessel und beförderte den Lektor vom Diener zum Partner des Autors. Sie fand auch zum eigentlichen Thema zurück und konstatierte, dass es eben nicht weniger Lektoren gebe, dass aber deren Einfluss zugunsten der Werbeabteilungen schwinde.


Ernst

Ein gutes Beispiel dafür gab Andreas Maier, der gerade seinen dritten Roman veröffentlicht hat. Worum sich Autor und Lektor bemühten, um gute Literatur, war den Suhrkamp-Werbeleuten nicht genug. Maier erzählte auf dem Blauen Sofa, wie es zur Website zu seinem neuen Roman »Kirillow« kam: Das als Waschzettel ausgesuchte Zitat enthält die fiktive Domain www.kirillow.de, und weil diese Adresse nun so prominent auf dem Buchumschlag platziert werden sollte, ließ die PR-Abteilung die Fiktion wahr werden und richtete eine entsprechende Internetseite ein.

Ausgesprochen uneinverstanden referierte Maier dann den Inhalt seines Buches: »Das ist ja grade das Miese an Menschen, es ist eine Katastrophe, sich jeden Morgen ein Spiegelei zu braten. Sie drehen den Strom an, und Sie wissen genau, was dahinter steckt.« Allerdings: »Wenn Reflexivität da ist, kann ich so gut wie alles ertragen«. Vulgo: Wenn ich schon Scheiße baue, muss mir das wenigstens bewusst sein. Maier hat keinen Gegenentwurf, keine Utopie: »Ich will nur sehen und begreifen, was ist.«

Das Pikante an Live-Lesungen ist die Wissbegierigkeit des Publikums danach. Ein an Borges’ metafiktionaler Prosa geschulter Autor wie Alban Nikolai Herbst musste sich mit völlig unterkomplexen Fragen herumschlagen (»Wo kommen Ihre Geschichten denn her?«) und wirkte dann leicht versnobt, wenn er sie abweisend ironisch beantwortete. Gerrit Bartels berichtete in der »taz«, dass sich im Schumann-Haus »ganze elf zahlende Gäste« einfanden, als Herbst zwei Erzählungen aus seinem hervorragenden Band »Die Niedertracht der Musik« las. Dabei gibt es nun eigentliche keine Ausrede mehr dafür, A. N. H. nicht zu lesen. Nach seinen Tausend-Seiten-Brocken und einem gerichtlich verbotenen Buch vereinigt der Erzählband 13 dichte Geschichten auf nur 192 Seiten.


Heiter

Lesungen und Autorengespräche werden publikumswirksamer, wenn man sie kurzerhand zum Frauenmagazin ummünzt. Am letzten Tag der Messe wollte Miriam Böttger noch schnell von Claudius Seidl – »Grüß Gott!« – wissen, wie sie selber jung bleibt, aber Seidl hat mit seinem neuen Buch »Schöne junge Welt« natürlich keinen Ratgeber, sondern einen Essay geschrieben und schildert das gefühlte Nicht-mehr-älter-werden (»everybody’s 35«) eher als Horror.

Erwartbar unterhaltsam waren die Veranstaltungen mit Juan Moreno, der im letzten Jahr nicht nur seine gesammelten »von mir aus«-Kolumnen als Buch herausgegeben, sondern inzwischen auch den Roman »Cindy liebt mich nicht« geschrieben hat, zusammen mit seinem DJS-Mitabsolventen Jochen-Martin Gutsch. Seine im Interview mit dem Deutschlandfunk aufgestellte Behauptung, er könne auf jeden Satz des Buches den Folgesatz auswendig hersagen, konnte er nur fast beweisen. Aber auch Thomas Gottschalk hätte Juan Moreno seine leichte Erinnerungsschwäche verziehen und die Wette für gewonnen erklärt, jedenfalls kommt im Buch nach dem Ruf »Hey, ihr beiden.« der Satz »Rainer hatte den Verstärker unter den Arm geklemmt.«

Rappelvoll wurde es bei Bastian Sick, der als »Zwiebelfisch«-Kolumnist bei »Spiegel Online« innerhalb kürzester Zeit eine riesige Popularität erreicht hat, indem er Linguistik und Alltagsbeobachtungen in unterhaltsamen Erzählungen verquirlt, zum Beispiel als Geschichte vom »Imperfekt der Höflichkeit«.

Das schon von Benjamin von Stuckrad-Barre thematisierte regionsspezifische Ranschmeißen ans Publikum probte die ganz aus der Nähe stammende Autorin Else Buschheuer, indem sie ins Publikum winkte: »Ach, da ist ja mein Onkel Herbert!« Vielleicht war dann doch dieser Satz der häufigste der Messe, denn darum geht es ja immer wieder in Leipzig, das Treffen der Kulturfamilie, das Wiedersehen, die Live-Bebilderung des Feuilletons.

Es stimmt, dass die Messe in diesem Jahr nur »so mittel« war (»FAS«), mit »viel Grau in Grau«, »eine unspektakuläre, nicht wirklich zwingende Ausgabe« (»taz«), die »etwas melancholisch-unkonzentriert wirkte« (»Spiegel Online«). Aber: »Nächstes Jahr wird’s wieder groß.« (»FAS«)