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Dezember 2004 Lothar Glauch
für satt.org

Herbert Asmodi:
Das große Rendezvous

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2004

Herbert Asmodi: Das große Rendezvous

214 S., Geb., € 19,80
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Grimms Märchenmädchen


Marc-Anton Grimm macht seinem Namen alle Ehre. Nicht nur, dass der schwarzmärchenhafte Anstrich des Romans an die Volksmärchen-Sammler erinnert, der Name Grimm ist auch Programm. Herbert Asmodis alternder Antiheld befindet sich auf einem unerbittlichen Feldzug gegen seine letzten Lebensjahre. Dabei spart er weder mit Spott noch mit Selbstdenunziation: "Das große Rendezvous" erinnert immer wieder an die Lästerkultur von Thomas Bernhard.

Sechzig Jahre alt und kein bisschen weise, dafür aber reichlich zynisch und verbittert, so wird dieser Grimm geschildert – Asmodi nennt den Misantrophen fast durchgängig beim Nachnamen. Seine Vergänglichkeit erkennend, scheint Grimm nur noch den Moment herbeizusehnen, in dem Gevatter Tod ihn endlich heimholen kommt.

Das Wenige, das man über Grimms Vorleben erfährt, deutet auf ein sinnarmes Leben hin. Einzige Lichtblicke sind da seine Abenteuer mit hübschen Frauen oder Knaben. Weil dem notorischen Eigenbrötler emotionale Nähe jedoch unerträglich ist, begnügt er sich mit Jagdtrophäen.

Aber nicht nur die Hauptfigur trägt einen programmatischen Namen, auch in den anderen Figuren könnte man literaturgeschichtliche Chiffren ausmachen. Teresa, seine aktuelle Lebensgefährtin, erinnert an die berühmte Dulderin, die ihrem Lebenspartner Tomas alle sexuellen Eskapaden verzeiht (Milan Kundera, "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins"). Auch Asmodis Teresa wird durch Grimms Schürzenjägerei immer wieder provoziert, aber bleibt zwanghaft bemüht, den Geliebten zu halten, wobei ihre Duldsamkeit bereits als Selbsterniedrigung bezeichnet werden muss.

Die beiden Gegensätze ergänzen sich, fügen sich zu einer Einheit. Spannungserzeugende Gegenpole hingegen, mit denen die Konturen der Figuren noch deutlicher hervortreten könnten, vermisst man in Asmodis Buch. Hier gibt es keine lebenshungrige Malerin Sabina, auch keinen besonnenen Akademiker Franz. Ebenso vergeblich sucht man ein sinnstiftendes Prinzip. Nirgendwo ist eine politische oder soziale Grundhaltung auszumachen, die als Rettungsanker für eine sinnvolle Lebensführung dienen könnte.

So bleibt es beim Abfeiern eines fatalistischen Atheismus, der alle sozialen Werte nihilistisch verneint. Was stark an Dostojewski erinnert: Wenn Gott tot ist, dann ist doch alles erlaubt? Mit seinem Skeptizismus geht Asmodi bis an die Grenzen des Erträglichen, eine Steigerung dieser Hoffnungslosigkeit ist nur schwer vorstellbar.

In "Das große Rendezvous" herrscht ein unerbittlicher Thanatos über die Seelen der Menschen. Nur durch erotische Hoffnungen klärt sich manchmal der Himmel, dann gleißt für Sekunden ein verheißungsvolles Leuchten herab. Aber diese Momente sind bei dem alternden Grimm rar geworden. Der früher funkensprühende Eros hat sich abgenützt, nur will Grimm das noch nicht einsehen, weil er die aufklaffende Leere fürchtet. Also benimmt er sich daneben – ein Lustgreis, geeignet für eine Rolle in der comedia del'arte.

Erst die schöne Stina bringt mit ihrem Selbstmordversuch die Geschichte in Gang. Stina ist slawischer Herkunft, wie Kunderas Sabina, erneut gleichen sich die Namen. Grimm fischt die junge Frau nach einem surreal skizzierten Sommersturm aus dem Meer. Hierbei bleibt unklar, ob auch diese Rettungsszene die Fortsetzung einer Halluzination ist – das Spiel zwischen Wahrheit und Wahn beginnt.

Warum Stina den Selbstmordversuch unternahm, erfährt der Leser nicht. Auch sonst wird das Model nur vage gezeichnet, Stina ist kaum mehr als eine Chimäre:

"Er war betört, hätte indessen nicht zu erklären gewußt, wodurch genau. Er wollte es auch gar nicht wissen, und wäre er danach gefragt worden, er hätte sich nur belästigt gefühlt. Doch war das Netz der Bezauberung nicht so dicht, als daß er nicht durch goldene Maschen hindurch eine geheime Bedrohung, etwas Nichtgeheures, eine Erlenkönigversuchung gespürt hätte. Vielleicht hätte sie ihn beunruhigen sollen."

Stina entpuppt sich im Laufe des Romans als gefallener Engel, der sich von älteren, vermögenden Herren für kleine Gefälligkeiten aushalten lässt. Ansonsten bleibt Stina blutleer wie alle anderen Figuren: Ein bloßer, ein bloßgelegter Archetypus.

Dank Stina erhält die Geschichte allerdings immer neue Wendungen. Sie schafft es, Grimm zu letzten emotionalen Höchstleistungen zu bringen. Aber das, was Grimm schon von Anfang an weiß, muss auch der Leser bald einsehen: Dass dieses neuerliche Liebesunterfangen nicht die Eroberung der ersehnten Trophäe sein wird, sondern nur ein letztes, vergebliches Aufbäumen. Grimm ist kein passionierter Bergsteiger mehr, der den Gipfel fest im Blick hat, sondern einer, der wie ein Boxer unter den Schlägen seines Gegners taumelt und nur noch auf den Knock-out wartet.

Das Buch bezieht seinen Reiz vorwiegend aus der sarkastischen Sprache. Der Held der Geschichte denunziert sich selbst, weidet sich an seinem Selbstmitleid. Was larmoyant wirken könnte, aber die poetische Sprachakrobatik sorgt für andere Akzente: Wo das Schauderhafte dermaßen ästhetisiert wird, ist die Satire bereits in Sichtweite.

Die zweite, wenngleich nicht überzeugende Methodik ist die Verwirrung des Lesers durch Grimms verzerrte Wahrnehmungen. Ist das alles nur ein Traum? Oder gar Wahnsinn? Viele Szenen sind überdeutlich konstruiert und erinnern an voltairesche oder e.t.a-hoffmannsche Fantastereien. Seinen unehelichen Sohn etwa trifft Grimm nach vielen Jahren zufällig in einem Wiener Café. Er erkennt ihn nicht und vergafft sich in ihn. Als dieser dann seine Lektüre am Tisch zurücklässt und auf der Toilette verschwindet, nimmt er dessen Buch in die Hand: Lawrence Durrells "Justine". Er staunt nicht nur darüber, dass er es selbst schon gelesen hat, sondern dass eine Textstelle auf der aufgeschlagenen Seite direkt mit ihm zu kommunizieren scheint. Soviel Fügung gibt es nur in den Mythen, oder den Träumen:

"Als er das Buch umdrehte, um nachzuschauen, bis wohin der junge Mann bei seiner Lektüre gelangt war, blieb er an einer Textstelle haften: 'Gemüter, die durch den Sexus zerfallen sind, finden nicht eher Frieden, bis das Alter und die schwindenden Kräfte sie davon überzeugen, daß Schweigen und Stille nicht ihre Feinde sind.' Das war eine Stelle, die er damals im Mena House bestimmt überlesen hatte …"

Trotz der günstigen Gelegenheit schreckt er vor der zielführenden Anmache zurück. Als der junge Mann das Café verlässt, erkundigt er sich bei dem Kellner nach dessen Namen. Weshalb es bei einer flüchtigen Begegnung von Vater und Sohn bleibt – und die Umkehrung des Ödipusmotivs ereignet sich nur in der Fantasie des Lesers.

Und doch wird an dieser Szene ein gestalterisches Prinzip Asmodis sehr deutlich: Derlei Zufallsfügungen stehen exemplarisch für die Verkürzung des Erzählten, untermalen die Traumhaftigkeit dieser Erzähltechnik. Um das Ganze aber tatsächlich ein Märchen nennen zu können, fehlt die moralische Dimension. Eher ließe sich von dem Versuch eines modernen Mythos sprechen.

"Das große Rendezvous" ist ein Buch über das Alter. Ein Buch über das Aufbegehren und das Sicheinfügen in das Unabwendbare. Ein Buch, das keine Hoffnung erlaubt, das jedwede religiöse Interpretationen unterbindet. Abmilderungen sucht man also vergeblich, es sei denn, man erkennt im Tod die gnadenvolle Erlösung vom schweren Diesseitssein. Und dennoch entfaltet das Buch gerade am Ende einen starken Sog, eine traumtänzerische, schwebende Jenseitigkeit. Und obgleich es nur ein Zufall sein wird: Die letzten Seiten des Buches gleichen einmal mehr Milan Kunderas bekanntestem Buch.

Getrübt wird das furiose Finale nur durch die fehlerreiche äußere Form. Insbesondere zum Ende finden sich viele Tipp- oder Scanfehler, die Interpunktion und das Schriftbild werden unstet. Eine erstaunliche Fehlerhäufung, da der traditionsreiche Matthes&Seitz-Verlag ansonsten ein vorbildliches Lektorat pflegt. So dass man fast vermuten möchte, der Autor verfolge hiermit die Absicht, den Leser zum Abschied ein allerletztes Mal zu verspotten: Weil sich bei einem Ende, das definitiv sein will, auch die Sprache selbst auflösen muss …