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Mai 2003
Kathrin Kurz
für satt.org

Anna Gavalda:
Ich wünsche mir, daß irgendwo jemand auf mich wartet

Hanser Verlag, 2002

Anna Gavalda: Ich wünsche mir, daß irgendwo jemand auf mich wartet

167 S., 14,90 EUR
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Anna Gavalda:
Ich habe sie geliebt

Hanser Verlag, 2002

Anna Gavalda: Ich habe sie geliebt

168 S., 16,90 EUR
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Anna Gavalda:
Ich wünsche mir,
daß irgendwo jemand
auf mich wartet

und Ich habe sie geliebt



Schade. Während der junge Soldat auf Heimaturlaub aus einer von Anna Gavaldas glanzvollen Erzählungen sich wünscht, daß irgendwo irgend jemand auf ihn wartet, hätte ich mir gewünscht, daß Gavaldas zweites Werk, der Roman Ich habe sie geliebt, qualitativ in die Fußstapfen des ersten tritt, hat man doch die junge Französin zu Recht als Kultautorin und bahnbrechendes Erzähltalent gefeiert und ihr für ihr künftiges Schreiben allerhand Gutes zugetraut. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: kein Funkeln, kein Glanz mehr weit und breit.

Nun – der schmale Erzählungsband Ich wünsche mir, daß irgendwo irgendjemand auf mich wartet ist genial. Er beschenkt den mittlerweile popkurzprosagesättigten Leser mit knappen, aber ausgeklügelten, dichten und komplexen, dabei höchst unterhaltsamen, vergnüglichen und tieftraurigen und stilistisch völlig unterschiedlichen Geschichten, die den Blick verlangsamen und sich ins Gedächtnis graben. In jeder offenbaren sich einem andere Sphären, man folgt den intelligent erdachten Protagonisten in ihre originellen und einem oft wenig vertrauten Welten – sei es in die eines verbrauchten Popstars in verfrühter Alterskrise, der aus dem Nähkästchen seines frustrierenden Liebes- und Drogenlebens plaudert ("Ich bin achtunddreißig und weiß genau, daß mein Leben im Arsch ist"), bis er sich endlich erstmals wirklich verliebt; oder die einer abgebrühten Tierärztin, die aufs Land versetzt wird, wo sie auf die sexuellen Übergriffe seitens der normannischen Bauern auf ihre ganz persönliche Art reagiert; oder die einer Hobbyautorin, die der Ablehnung ihres Manuskripts durch den arroganten Verleger mit physischer Totallähmung begegnet und aus dem Büro getragen werden muß – das gerade in einem Buch, mit dem die echte‘ Autorin Gavalda debütierte; ein origineller Einfall, der selbst hartgesottene Anti-Biographisten kurzfristig stutzig macht: Nimmt Gavalda, unwissend, ob ihr Band je verlegt wird, darin frech einen potentiellen Ausgang ihrer eigenen Geschichte vorweg? Lassen sich so vielleicht Verleger ködern?
In jedem Fall hat man sich köstlich amüsiert mit diesem Buch und war mitgenommen und mitgerissen von dieser erzählerischen Mannigfaltigkeit, diesem Sprudeln von Einfällen, Liebenswürdigkeit, Witz und Formulierungslust.

Im Roman Ich habe sie geliebt hingegen ist sowohl Gavaldas Klugheit als auch jeglicher Charme wie weggeblasen. Schon die Handlung ist blaß: Chloé, frustriert und todtraurig, weil mit zwei Kindern von ihrem Mann überstürzt sitzengelassen, flieht gemeinsam mit ihrem Schwiegervater Pierre in dessen Landhaus. Er, bisher unnahbar und gefühlsarm scheinend, trocknet in rührenden Anflügen von väterlicher Zärtlichkeit ihre Tränen, indem er sie nicht nur kulinarisch umhegt, sondern seinerseits sein wider Erwarten doch vorhandenes Gefühlsleben auspackt: In einer langen Nacht am Feuer erzählt er, der seit Ewigkeiten verheiratet ist, von der geheimen Liebe seines Lebens, die tragisch zuende ging, weil er sich nicht zu ihr bekennen wollte.
Es wirkt konstruiert und wenig überzeugend, daß der sonst schweigsame Pierre sein Innerstes plötzlich mit allen intimen Details nur Chloé zuliebe nach außen kehrt; Szenen und Dialoge scheinen aus der Luft gegriffen, haben wenig Fundament, wenig Substanz und – bei aller Stimmungshascherei mit Feuerglut und Wein – herrscht überhaupt keine Atmosphäre. Breit ausgewalzte Berührungspunkte zwischen beiden, dem Alten und der Jungen, dem Verlassenden und der Verlassenen, sind Tragik und Schmerz als zwangsläufige Begleiterscheinungen der Liebe, die allerdings so gar nicht an das Gemüt des Lesers rühren wollen, so wenig kapiert man den Sinn des Ganzen, so wenig ist man beeindruckt. Darüber hinaus wimmelt es vor Klischees (welche sicher nicht aufs Konto der Übersetzerin gehen, die bei beiden Büchern die gleiche ist): Wie oft die schwiegertöchterlich liebevoll gemeinte Bezeichnung "alter Kotzbrocken" für den rauhen, aber gutmütigen Pierre fällt, will ich lieber nicht zusammenzählen, zu offensichtlich ist auch so schon die Nähe zur Vorabendsoap für Erwachsene.
Während man bei den Erzählungen noch lange berauscht mit den Gedanken beim gerade Gelesenen verharrt, klappt man den Roman gelangweilt zu, die enttäuschte Frage auf den Lippen: War das unbedingt nötig? Böse wage ich zu behaupten, daß die Antwort in den biographischen Infos auf den Schutzumschlägen der beiden Bücher liegt: Bei Erscheinen des ersten Buchs lebt Gavalda "mit ihrer Familie bei Paris", der Klappentext des zweiten gibt preis: "Sie lebt mit ihren zwei Kindern bei Paris". Na – da haben wir’s.