
Planet Slam. Das Universum Poetry Slam Herausgegeben von Ko Bylanzky und Rayl Patzak. yedermann Verlag, Riemerling 2002
 172 Seiten, 10,00 EUR » amazon
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Slammerfilet à la bavaroise
Ko Bylanzky und Rayl Patzak, die seit 1996 den Poetry Slam in München organisieren, haben ihre dritte Slam-Anthologie herausgegeben. Das Buch versammelt Texte von 44 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Vereinigten Staaten, die - oft mit den im Buch abgedruckten Texten - auf dem Münchner Slam aufgetreten sind, der dort einmal im Monat im Substanz in der Ruppertstraße stattfindet. In dem Buch findet sich auch das Gedicht Locating Crickets von Joel Chmara, in dem es heißt: „Now that I am in love with YOU / it is necessary for me to create a word that means more than love / so I can accurately express myself. / I have come up with SPLEET. Wenn man das Buch insgesamt betrachtet, werden folgende positive Aspekte deutlich:
- Wirklich gute Bühnentexte funktionieren zumeist auch in gedruckter Form.
- Autorenfotos in einer Anthologie können doch ihre Berechtigung haben - die Bühnenschnappschüsse in diesem Band tragen dazu bei, etwas von der Atmosphäre des Livevortrags zu vermitteln, um den es ja beim Slam geht.
- Die Zeitbegrenzung bei Slams kommt den erzählenden Texten auch in gedruckter Form zu Gute. Innerlichkeitsgetue oder nervige Pop-Alltagsbeschreibung kann wenigstens nicht endlos breit getreten werden, pointierte Beiträge sind sowieso gut. Schön ist, dass es nicht nur humoristische Beiträge gibt (die auf Slams ja doch mehrheitlich vertreten sind), sondern auch lakonische Beobachtungen wie Dani Rysers Vom Nationalfeiertag.
- Überrascht hat mich der Band vor allem durch die Lyrik. Texte wie Mikrofone von Sebastian Krämer oder Schwarzweiss von Etrit Hasler reflektieren auf virtuose Art ihre eigene technische Virtuosität, also die Art, wie die eigenen Texte funktionieren - etwas, was der zeitgenössischen gedruckten deutschsprachigen Lyrik leider meistens abgeht. Sie erbringen den Beweis, dass es für Lyrik hier und jetzt eine vertretbare Position zwischen Populismus und Hermetik gibt, die durchaus auch kritisches Potenzial hat.
- Dies ist die einzige mir bekannte Slam-Anthologie, die die Regeln erläutert, nach denen Poetry Slams ablaufen (Zeitbegrenzung, Auslosung oder Setzung der Teilnehmer, keine Requisiten usw.). Damit wenden sich die Herausgeber dankenswerterweise nicht nur an eine In-Group, sondern potenziell an alle, die sich für gute Texte interessieren, aber vielleicht Berührungsängste gegenüber der Slam-Szene haben. Dass der Sieger eines Slams tatsächlich durch die Lautstärke des jeweiligen Applauses ermittelt wird, hätten sie aber auf Seite 9 ruhig noch etwas deutlicher sagen können.
- Das Buch liefert eine Geschichte des Poetry Slams mit - von den Anfängen im legendären Nuyorican Poets Café bis zu den aktuellen Veranstaltungen in Deutschland. Der „Slampapi“ und Begründer des wegweisenden Chicagoer „Uptown Poetry Slam“, Marc Kelly Smith, ist übrigens auch im Buch vertreten. Dass im Verlauf des historischen Abrisses die beiden Herausgeber selbst immer mehr zu den Hauptakteuren werden, sieht zunächst unangenehm nach Selbstglorifizierung aus - aber es ist nun mal nicht zu leugnen, dass Bylanzky und Patzak mittlerweile sehr gefragte Programmmacher und Moderatoren von Literaturprogrammen geworden sind.
- Und das ist auch vollkommen in Ordnung so. Denn ein guter MC auf der Bühne - eine Funktion, die es vor dem Aufkommen der Slams ja bei Lesungen praktisch nicht gab - verhindert im Idealfall die gröbsten Peinlichkeiten in der Selbstdarstellung der Autoren. Und mir als Publikum ist es allemal lieber, wenn Organisatoren, die sich nach wie vor als Fans verstehen, mit den Autoren auf der Bühne stehen, als wenn sich Kritiker auf Kosten der Autoren im Rampenlicht präsentieren und dann so etwas wie der Bachmannpreis dabei herauskommt.
- Wenn sich Ko Bylanzky in dem programmatischen Nachwort Poetry Slam - zwischen Underground und Establishment massiv gegen den Vorwurf des Ausverkaufs wehrt, der durch den Kontakt zwischen Slam-Poetry und „hochkulturellen“ Institutionen wie Literaturhäusern, Rundfunkanstalten usw. stattgefunden habe, dann verteidigt er natürlich auch die Art, wie er sein Geld verdient, aber so what? Die Ergebnisse geben ihm recht: „Richtig interessant wird es doch erst, wenn sich die Vorurteile auflösen und die scheinbaren Gegensätze aufeinander treffen. Wenn der Dichter Bert Papenfuß cooler ist als jeder Slammer, der jemals die Bühne des Substanz betreten hat, wenn man Bachmann-Preisträger Michael Lentz einfach als besten Performance Poeten Deutschlands bezeichnen muss“ und wenn Roger Bonair-Agard, der Autor des meines Erachtens besten und sicherlich politisch brisantesten Beitrags in diesem Buch (how do we spell freedom - the weusi alphabeti method) auf Einladung des Bayerischen Rundfunks nach München kommt, dann sieht man, dass die wahren Probleme jenseits solcher Authentizitätsdebatten liegen, „that a corporate job does not spell freedom [ …] a democratic vote is not a revolutionary act / and as long as there’s a sweatshop in Jakarta / there is no difference / between Patrick Ewing and O.J. Simpson“.
I hate lists, but I spleet this book. Buy it.
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