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März 2002
Philipp Mehne
für satt.org

Selim Özdogan:
Ein Spiel, das die Götter sich leisten.
Aufbau Verlag, Berlin 2002

Özdogan: Ein Spiel, das die Götter sich leisten.

219 Seiten, Hc
EUR 16,50
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»Essen, schlafen, Sex,
mehr braucht es nicht«

Selim Özdogans Roman

Ein Spiel, das die Götter sich leisten


Selim Özdogan erzählte neulich bei einer Lesung - einer sehr witzigen und unterhaltsamen Lesung übrigens - in der Berliner Kulturbrauerei Folgendes: Einmal angenommen, man könnte sich entweder einen Film ansehen über Menschen, die ins Unglück stürzen, oder aber einen, in dem 90 Minuten lang nur glückliche Menschen vorkämen, dann würde man ihn, Özdogan, ganz sicherlich im zweiten Film finden. Offenbar fände die Allgemeinheit glückliche Menschen langweilig, weshalb es so gut wie keine Filme über sie gebe, er halte aber trotzdem an der Hoffnung fest, dass es sie eines Tages geben könnte. Bis es soweit ist, schreibt Özdogan schon einmal ein paar Romane, wie unlängst Ein Spiel, das die Götter sich leisten.

Wer Özdogan von seinem Erstling kennt, der den schönen Titel trug, Es ist so einsam im Sattel seit das Pferd tot ist, der wird vom neuen Buch vermutlich viel erhoffen, wird neugierig sein, ob der Autor älter geworden ist, andere Themen gefunden, oder vielleicht den Ton geändert hat. Und er wird dann erst einmal enttäuscht sein. In Ein Spiel, das die Götter sich leisten trifft man schon auf der ersten Seite einen Ich-Erzähler, der aus dem schon erwähnten Erstling entstiegen sein könnte, Mesut mit Namen. Auch die Stimmung ist bekannt. Ein Mann, eben dieser Mesut, und eine Frau, Oriana, sind sich auf einem Flughafen begegnet, er hat sie angesprochen, man hat Telefonnummern ausgetauscht, kurz darauf hat eine Affäre begonnen, nun fahren sie zusammen in Urlaub, und es ist beiden noch nicht so richtig klar, was weiter daraus werden wird. Da stehen sie nach der Ankunft erst einmal etwas ratlos vor der verschlossenen Touristeninformation, Oriana ist skeptisch, aber Mesut vertraut einfach seinem Instinkt, und siehe da, es findet sich Rat: "Ich strahlte Oriana an, siehst Du, kein Problem, wir können ganz gelassen bleiben, es findet sich immer etwas. Ich hatte gute Laune, es war heiß, und das Glück war uns hold." Das Problem mit diesem Anfang ist nun aber weniger der leichte und flüssige Stil, den man an Es ist so einsam im Sattel schon liebgewonnen hatte, noch die Stimmung, die einem bekannt vorkommen mag, das Problem ist, dass der Roman hier schon ein bisschen zu Ende ist. "Wir können ganz gelassen bleiben, es findet sich immer etwas" - der Satz begegnet in unterschiedlichen Varianten immer wieder, und der philosophische Gehalt des Romans ist damit eigentlich auch schon zusammengefasst.

In den Tagen, die sie in der Stadt, später auch am Meer verbringen, lernen sich Mesut und Oriana allmählich kennen, erzählen sich von Kinheitserinnerungen und Zukunftsplänen, vom berühmten "ersten Mal" und ihren sexuellen Phantasien (und wollen damit auch schier nicht wieder aufhören). Mehr noch als die Suche nach seinem lange verschollenen Cousin Oktay, dessen Spur die beiden Urlauber zufällig kreuzen, beschäftigt Mesut die sexuelle Anziehungskraft Orianas. Özdogans Art, über Sex zu schreiben, ist sehr direkt, er lässt seinen Erzähler Mesut kein Blatt vor den Mund nehmen. Das mag man für offen halten und gut finden, wie die Moderatorin der oben erwähnten Lesung. Im besten Fall gelingt es ihm, erotische Spannung aufzubauen. Oft gerät er mit seiner Beschreibung aber an die Grenze zum Pornographischen, dann wird es langweilig. Und da es viel Sex gibt in diesem Buch, wird es leider oft langweilig. Mann muss Geduld haben mit diesem Buch, muss über vieles allzu Platte vielleicht einfach hinweg lesen, um dann doch noch schöne, schlichte, und vor allem witzige Szenen zu finden. Wer sich freilich auf die etwas hanfseeligen Bibelzitate und die Märchen-Moral einlassen kann, die der Erzähler bei vielen Gelegenheiten zum Besten gibt, der findet in diesem Roman vielleicht doch eine schöne Geschichte und gute Unterhaltung. Eine letzte Kostprobe noch: "Oriana, wir sind verkatert aufgewacht, wir waren bei Myrie, und danach war es wunderschön. Und jetzt entspann dich, vertrau mir, okay? Lass uns ins Bett gehen und friedlich einschlafen. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Sieh die Vögel, sie sähen nicht, sie ernten auch nicht, ( …) und der Herr ernährt sie doch". Was braucht man mehr als essen, Schlafen und Sex? Ein bisschen Nachdenken schadet auch glücklichen Menschen nicht.