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Dezember 2001
Enno Stahl
für satt.org

Undine Gruenter:
Das Versteck des Minotaurus
Roman

edition akzente/Hanser, München 2001

192 Seiten, Tb.
DM 35,00
EUR 17,90

Undine Gruenter: Das Versteck des Minotaurus.

Weitere Buchveröffentlichungen:
  • Ein Bild der Unruhe, Roman, München: Hanser Verlag 1986
  • Nachtblind, Erzählungen, München: Hanser Verlag 1989
  • Das gläsene Café, Erzählung, München: Hanser Verlag 1991
  • Vertreibung aus dem Labyrinth, Roman, München: Hanser Verlag 1992
  • Epiphanien, abgeblendet, Kurzprosa, Frankfurt: edition suhrkamp 1993
  • Der Autor als Souffleur, Journal, Frankfurt: edition suhrkamp 1995

Undine Gruenter

Ein Porträt der Schriftstellerin von Enno Stahl


Für einen geborenen Kölner kann es eigentlich gar keinen Grund geben, aus der Stadt wegzuziehen. Im Falle der Autorin Undine Gruenter ist das etwas anderes, sie wurde zwar hier geboren, aber die Erinnerungen an Köln sind nicht allzu günstig, verbrachte sie doch ihre ersten anderthalb Jahre in einem Waisenhaus, bis sie nach Düsseldorf zu ihrer Mutter zog, Astrid Gehlhoff-Claes, ebenfalls Autorin. Nach Studien in Heidelberg, Bonn und Wuppertal übersiedelte sie nach Paris, wo sie noch heute lebt. Mitte der 90erJahre starteten sie und ihr Lebensgefährte Karl-Heinz Bohrer, Surrealismus-Experte und Herausgeber der Theorie-Zeitschrift “Merkur”, auch er gebürtiger Kölner, noch einmal einen Versuch, im Rheinland Fuß zu fassen. Aber nach wiederum kaum mehr als anderthalb Jahren am botanischen Garten in Köln, zog es beide zurück nach Paris, in eine kleine, idyllisch abgeschlossene Cité am Fuß des Montmartre, unweit der farbenreichen Rue Lepic. Wie eine Oase aus einer anderen Zeit erscheint dieses abgesteckte Terrain mit drei Ausgängen, das sechs Haupthäuser, mehrere Pavillons, Ateliers und Höfe auf verschiedenen Höhenniveaus beherbergt, dazwischen verwinkelte Treppen und etwas Grün, ein Ort der Stille inmitten des tobenden, touristisch aufgemotzten Chaos rund um Pigalle. Den Vorwurf von Freunden, diese Lebensszenerie, überhaupt Paris als Wahlheimat, das käme mindestens 30 Jahre zu spät, mag Undine Gruenter nicht teilen. Für sie bietet Paris alles zugleich, die große künstlerische Vergangenheit ebenso wie die modernistisch ausgerichtete Gegenwart und Zukunft. Wie sehr diese verschiedenen Zeiten und die damit verbundenen ästhetischen Entwürfe verschwimmen können, demonstriert ihr jüngstes Buch, “Das Versteck des Minotaurus”, das in diesem Herbst erschien. Ort des Geschehens ist eben jener Gebäudekomplex, wo sie lebt. Die Bewohner desselben werden durch verstörende Pastiches aufgebracht, die von einem anonymen Dichter im Kasten für offizielle Mitteilungen hinterlassen werden. Die Nachforschungen der Bewohnerschaft, die zu großem Teil aus Künstlern und Literaten besteht, bleiben zunächst erfolglos, auch der hinzugezogene Detektiv vermag den Urheber nicht zu ermitteln. Doch verdichtet sich der Verdacht, dass eine Gruppe von jungen Künstlern, die gegen die Riege der älteren, saturierten zu Felde ziehen, für die poetischen Attacken verantwortlicht ist. Sie scheinen in den weitverzweigten Kellern der “Cité” zu hausen, eine ins praktische transportierte Metapher des künstlerischen Untergrunds also. In diese Rahmenerzählung sind die vielzähligen Miniaturen eingeschaltet, mittels derer die “Kellerkünstler” ihrem Protest Ausdruck verleihen. Es handelt sich dabei um hermetisch-chiffrierte, mythisch angehauchte Tiergeschichten mit einem Hang zu Fabulösen, Parabelhaften, der allerdings zumeist durch zeitgenössische Bezüge gebrochen wird. Dieser “Roman” Undine Gruenters versucht als Sprachkunstwerk paradigmatisch literarische Epochenkonflikte zu dokumentieren. Da sie selbst ihre Schreibanfänge in die Tradition surrealistischer “écriture”, Aragons “Paysan de Paris” oder Bretons “Nadja”, rückt, gilt ihr das aktionistische Aufbegehren der jeweils jungen Künstler gegen die jeweils alten als notwendiges Bestandteil der kulturellen Entwicklungsgeschichte, als periodisch wiederkehrender Verjüngungsprozess.

Das alles klingt abstrakt und ist es auch. Stil, hier überaus ziseliert und hochwertig, ist für Undine Gruenter ein Moment analytischer Durchdringung, weniger der Menschen und ihrer Beziehungen als ihrer ästhetischen Werte. In ihrem 1995 erschienenen umfangreichen ‘Journal' “Der Autor als Souffleur” hat sie traumatische Kindheits- und Jugenderlebnisse angesprochen. Nur zu oft werden solche Erfahrungen von Autoren schreibend bewältigt. Gruenter jedoch hat schon an dieser Stelle betont, dass sie niemals autobiografisch schreiben könnte, schließt sich allerdings Autoren wie Semprun und Gombrowicz an, die sagten, dass man in der Fiction unendlich viel besser über sich selbst schreiben könne als in der autobiografischen Prosa. So wird man davon ausgehen können, dass vieles in ihre früheren Bücher mit eingeflossen ist, etwa ihren Erstling “Bild der Unruhe”, der eine alptraumhafte Gegenwarts-perspektive des Protagonisten schildert und ihn auf die Reise durch ein wüstes, seelenleeres Europa schickt, mit Endpunkt Paris. Oder den komplexen Beziehungstaumel in “Vertreibung aus dem Labyrinth”, der den Schriftsteller Boris in Beziehung zu drei Frauen setzt, die zugleich Varianten voneinander zu sein scheinen.

Die Welt der Undine Gruenter scheint abwegig und aussichtslos zu sein, doch sie ist es nicht. Immer wird ein Hintertürchen frei gehalten, wie sie nachdrücklich unterstreicht. Das glaubt man ihr um so mehr, wenn man sie erlebt, eine Frau, die seit einigen Jahren an den Rollstuhl gefesselt ist und trotzdem Heiterkeit und intellektuelle Ruhe ausstrahlt wie wenige Menschen. Liegt das an ihrer rheinischen Herkunft? Wer weiß. Mit schweren Krankheiten und Schicksalsschlägen geht jeder Mensch auf seine Art um, gleich woher er stammt.

Nach knapp 15 Jahren ist ihr Verhältnis zum Rheinland und zu Köln ohnedies eher literarisch begründet, Rolf Dieter Brinkmann gilt ihr als wichtiger Bezugspunkt. Und dann erinnert sie sich, dass sie sich einst in den 70er Jahren ein Haus in der Kölner Südstadt ausgesucht hatte, wo sie gerne gewohnt hätte. Beinahe wäre sie also wieder Rheinländerin geworden, wenn sie es nicht sowieso immer geblieben ist. Ihr Humor und ihre Erzählfreude jedenfalls sind einem nur zu vertraut.