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Gedichte mit Vater
Thomas Gsella schrieb ein Buch über schlaflose Nächte, die nichts mit Sex, Alkohol oder Drogen zu tun haben
„Gedichte sind leichter geschrieben als Romane, geben sich gedankenschwer, versprechen tieferen Sinn und höhere Reputation“, heißt es im Vorwort zu „Kille Kuckuck Dideldei“, dem neuen Lyrikband von Thomas Gsella. Davon ist natürlich nicht einmal die Hälfte wahr - in den meisten Fällen geben die poetischen Texte tatsächlich vor, etwas Wichtiges zu sagen zu haben, aber eigentlich erzählen sie nur von der schlechten Laune ihrer Verfasser. Und das mit der Reputation … Nun ja, Dichter sind unter den Schriftstellern die Witzfiguren, die man belächelt, weil sie meinen, Wörter müssten sich reimen oder weil sie einen belanglosen Prosatext an seltsamen Stellen trennen und diesen planlosen Zeilenbruch aus unbekannten Gründen für „lyrisch“ halten. Das so viele Autoren Gedichte verfassen, liegt darin begründet, daß sie schnell geschrieben sind, und daß man dem jeweiligen Rezipienten, wenn er sich von den Werken nicht angetan zeigt, unterstellen kann, er habe keinen Sinn für derart tiefgehende Literatur. In diesem Falle mache man ganz einfach die Gegenprobe und lege dem Leser wirklich ansprechende Gedichte vor - z.B. eben genau jenes oben erwähnte Büchlein.
Das Thema des Buches geht aus dem Untertitel hervor: „Gedichte mit Säugling“. Der Titanic-Redakteur ist also Vater geworden und meint, aus diesem Umstand, literarisches Kapital schlagen zu müssen. Das ist nur gerecht, wie ich finde, da diese kleinen Blagen dazu tendieren, die Nächte zu schlaflosen zu machen und die Tage zu verschlafenen, worunter das Werk eines Schriftstellers (ich rede hier nur von Männern, Frauen sind da anders, wie die Entstehungslegende der Harry Potter-Romane vermuten läßt) nicht selten zu leiden hat. Wenn also diese Quälgeister schon meinen, sie müßten ihre Väter davon abhalten, brav am Schreibtisch zu sitzen und zu arbeiten und stattdessen lieber gefüttert, gewickelt und liebkost werden möchten, dann können sie wenigstens als Muse herhalten. Im Falle Thomas bzw. Rosa Gsella ist dies in vorbildlicher Weise geglückt, und zwar nicht nur, weil der Autor profunde Kenntnisse des Vater-Daseins hat („So ist es!“ rief ich beim Lesen in regelmäßigen Abständen aus), sondern auch, weil er sich fundiert mit deutschsprachiger Lyrik auseinandergesetzt hat. So finden sich dadaistische Wortspielereien und konkrete Poesie neben klassischen Sonetten und noch klassischeren Oden. Auch Adaptionen bzw. Coverversionen mehr oder weniger bekannter Gedichte von Wilhelm Busch, Bertolt Brecht (ganz groß das Wickelgedicht: „3 von 5000“ f.k.a. „Der Radwechsel“), Johannes R. Becher, Gottfried Benn, Durs Grünbein und anderen finden sich hier. Aus Erich Kästners bekanntem Satz „Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es!“ wurde auf diese Weise ein überzeugendes „Es gibt nichts permanent Feuchtes, außer: man zeucht es“. Gsella beherrscht die Kunst, prollige Worte in erhabene Verse zu gießen bzw. zu rotzen. Seine Lyrik ist witzig, ironisch, zynisch, philosophisch und Ausdruck eines - es läßt sich nicht leugnen - sympathischen Machismo, in dem oft weniger das Kind als der Vater im Mittelpunkt der Betrachtungen steht. Dies ist verzeihlich, wie ich meine, auch wenn man bedenkt, daß der Literaturmarkt für Eltern ansonsten von Vertretern der Regenbogenpresse beherrscht wird, die ihr geistloses Geschreibsel gerne zwischen Buchdeckel pressen und für teures und verschwendetes Geld in Buchläden feilbieten. Bei Gsella dagegen macht es Spaß, ihn auf seiner Reise vom flotten Poppen über den Geburtsvorbereitungskurs bis zum großen Tag, der Ankunft seiner Tochter, von der ersten gemeinsamen Nacht mit der Neugeborenen bis zu den Krabbel- und Brabbelversuchen in späteren Monaten zu begleiten. Schön illustriert ist der Band übrigens auch, und zwar von Jutta Bauer, deren skurille Zeichnungen die nicht minder skurillen Situationen, mit denen werdende und seiende Eltern konfrontiert sind, kongenial karikieren. Die Zielgruppe des Werkes dürfte klar sein: All die Leute, die jungen Vätern oder Müttern etwas schenken möchten, denen es aber peinlich ist, kleine Söckchen, Mützchen oder Lätzchen zu erstehen, sind aufgerufen, dieses Büchlein zu erwerben, um es den Eltern als Trost für verpaßte heiße Nächte zukommen zu lassen. Danke für eure Solidarität.
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