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November 2004
Marc Degens
für satt.org


Schweizer Durch Schnitt

Ausstellung bis zum 22. Dezember 2004
Di-Fr 12-21 Uhr
Sa 15-20 Uhr

Ort:
Salon Beige
Auguststraße 83
10117 Berlin

Der Raum ist das Ereignis

Schweizer Durch Schnitt


Bild der Ausstellung

Die aus den japanischen Zeichentrickfilmen bekannte Almgöre Heidi kniet im Gras, hält eine riesige, Kastrationsängste schürende Schere in der Hand und kappt mit großen Augen und einem beseelten Lächeln ihre typische Locke … Dieses Motiv, weiß auf rot, von Omar Blangiardi ist das Emblem der Ausstellung „Schweizer Durch Schnitt", die noch bis zum 22. Dezember 2004 im Frisörsalon Beige in Berlin-Mitte zu sehen ist. Die kleine Schau präsentiert die Ergebnisse eines Workshops, den der Berliner Künstler Wolfgang Müller in diesem Frühjahr für Studierende der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel angeboten hat. „Schweizer Durch Schnitt“ ist bereits die dritte Themenausstellung von Studenten Wolfgang Müllers, die in den Räumen des Salon Beige gezeigt wird, und wurde am 5. November unter regem Publikumsandrang eröffnet. Der Abgesandte der Schweizer Botschaft hielt eine charmante und selbstironische Ansprache, danach versuchte sich Wolfgang Müller genial dilletantisch an einem Basler Karnevalslied, vor- und nachher gaben die anwesenden Kunststudenten bereitwillig Auskunft über die gezeigten Arbeiten.

Céline Schroeder, Nadja Solari und Julie Zimmer hatten an neun Orten des Salons jeweils drei gerahmte Frauenporträts aufgestellt. Auf den ersten Blick schienen die Fotoensembles immer drei gleiche Frauen zu zeigen, erst im direkten Vergleich bemerkte man die minimalen Unterschiede und erkannte, daß charakteristische Gesichtsmerkmale untereinander ausgetauscht wurden: Augen, Augenbrauen, Nasen, Münder … jedes Porträt war tatsächlich einzigartig. Diese Entdeckung verblüffte ebenso wie die Arbeit von Eva Theiler, die einer auf einen öffentlichen Platz aufgestellten Frauenstatue eine blonde Langhaarperücke aufgesetzt hatte. Dadurch erschien die von hinten und von der Seite aufgenommene Statue auf den drei ausgestellten Fotografien so quicklebendig und zugegen wie ein mit Bronzefarbe bemalter, eine Kunststatue imitierender Mensch. Eva Theilers Idee war einfach und effektvoll und spielte auf witzige Weise mit dem Ausstellungsort, der der heimliche Star der Schau ist.

Der Salon Beige ist ein in einer Wohnung untergebrachter Frisörbetrieb in der Auguststraße, Mittes Kunstmeile, mit regulären Öffnungszeiten. Nicht genug, gleichzeitig ist der Salon auch die erste offizielle Zweigstelle der Walther von Goethe Foundation, dem nicht anerkannten, von Wolfgang Müller gegründeten und nach Johann Wolfgang von Goethes Enkel benannten Ableger des großen deutschen Goethe Instituts. Das Durchgangszimmer der Wohnung wurde zum Warteraum umfunktioniert und erinnert an ein Schlagermusikmuseum, vor allem aber die beiden Frisörstuben begeistern das Auge. In dem einen Raum wurden die Teile einer klobigen, düsteren DDR-Schrankwand so extravagant an den Wänden angebracht, daß man meint, ein VEB-Erzeugnis des nächsten Jahrhunderts zu sehen. Der zweite Raum hingegen erscheint wesentlich heller und so klar wie das dort aufgestellte Tosca-Reklameschild von 4711. Überhaupt sind es die vielen Details, die viele Herzen höher schlagen lassen: Die „Eloise"-Single von Barry Ryan, ein Esther Ofarim-Plakat, die Münchner Illustrierten von 1955, eine Radiotruhe, antike Haarspraydosen mit Wirbelsprühköpfen, stilvolle Stehlampen und hippe Neonkronleuchter, die Mainzelmännchenfiguren neben dem Lack- und Lederstoffpuppenpaar. Nostalgie trifft Kitsch trifft Trash – bezeichnenderweise verdeckt die gut sichtbar aufgestellte letzte Maxi des Berliner Elektroduos Cobra Killer das Cover der Zarah-Leander-Songsammlung aus der LP-Reihe „Stars unter Sternen".

Für die elf Basler Kunststudenten bestand die Hauptschwierigkeit darin, mit diesen für sie zunächst unbekannten und bereits angefüllten Schatzkammern zu arbeiten. Diese keineswegs leichte Aufgabe haben alle durchweg gut gelöst – auch wenn einzelne Werke, wie die im Wartezimmer präsentierte Autogrammkartensammlung Schweizer Prominenter, weniger künstlerische, sondern vielmehr boulevardeske Interessen bediente. „Schweizer Durch Schnitt“ lohnt also in vielfacher Hinsicht den Besuch des Salons – und vielleicht läßt sich das Angenehme sogar noch mit einem neuen Haarschnitt verbinden.