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14. August 2014
Jörg Auberg
für satt.org
  Resister: A Story of Protest and Prison during the Vietnam War
Bruce Dancis. Resister: A Story of Protest and Prison during the Vietnam War. Ithaca: Cornell University Press, 2014. 371 Seiten, 11 Abbildungen, 29,95 US-Dollar.
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Keep Your Eyes on the Prize

Bruce Dancis gehörte bereits im Teenager-Alter zu den Gegnern des Vietnamkrieges. Als Student an der Cornell-Universität im Staat New York zeriss er öffentlichkeitswirksam seine Einberufungskarte und inspirierte so den landesweiten Widerstand gegen die Wehrpflicht in den folgenden Jahren.



The only thing we did was right
Was the day we started to fight
Keep your eyes on the prize, hold on

Pete Seeger    

Obwohl die Literatur zum Vietnamkrieg mittlerweile Bibliotheken füllt, ist das Thema des Widerstands gegen die Wehrpflicht in den USA jener Jahre kaum historisch aufgearbeitet. Von 27 Millionen Wehrpflichtigen in Zeiten des Krieges wurde nur ein Bruchteil zum Kriegsdienst eingezogen, konstatierte die Organisation War Resisters League. Etwa 570.000 Wehrpflichtige widersetzten sich der Einberufung, wobei letztlich lediglich 206.775 Wehrdienstverweigerer juristisch verfolgt wurden. Aus dieser Gruppe sahen sich 25.000 Männer mit einer Anklage konfrontiert. Von 9000 verurteilten Kriegsdienstverweigerern wurden schließlich 3250 inhaftiert. In seinem Buch Confronting the War Machine: Draft Resistance During the Vietnam War (2003) unterscheidet der Historiker Michael S. Foley zwischen draft dodgers und draft resisters: Die Ersteren entzogen sich dem Kriegsdienst, wie die späteren US-Präsidenten Bill Clinton oder George W. Bush, indem sie sich als Studenten zurückstellen ließen oder in der Nationalgarde eine Art Ersatzdienst absolvierten, während die Letzteren als militante Pazifisten sich gegen die staatliche Kriegsmaschinerie wandten und auch bereit waren, ihr Engagement mit Gefängnisstrafen zu bezahlen.

Zur letzteren Kategorie zählt Bruce Dancis, der 1966 im Alter von achtzehn Jahren als Student der Cornell-Universität in New York aus Protest gegen den Vietnamkrieg öffentlich seine Einberufungskarte zerriss und die Papierschnipsel an die Einberufungsbehörde zurückschickte. Später wurde er für diesen Akt des »zivilen Ungehorsams« zu einer Haftstrafe von maximal sechs Jahren verurteilt, die er 1969 antrat und in einer Haftanstalt in Kentucky verbrachte, ehe er nach neunzehn Monaten auf Bewährung entlassen wurde. In seiner Autobiografie Resister lässt er diese turbulenten Jahre Revue passieren, wobei er seine persönlichen Erinnerungen mit den politisch-historischen Ereignissen jener Zeit verknüpft.

Dancis wuchs im New Yorker Stadtteil Bronx als Sohn jüdischer Eltern auf, die in den 1930er Jahren mit dem Sozialismus sympathisierten, zugleich aber einen dezidierten Antikommunismus vertraten. Während des zweiten Weltkrieges verweigerte Dancis‘ Vater den Kriegsdienst, bewegte sich jedoch in den 1950er Jahren zunehmend zur Mitte der Gesellschaft. Auch wenn sich seine Eltern mit den US-amerikanischen Verhältnissen im »Zeitalter der Konformität« (wie der Kritiker Irving Howe diese Zeit einmal beschrieb) arrangierten, verbrachte der heranwachsende Bruce seine Ferien in sozialistischen Sommercamps, was sich auf seine spätere politische Entwicklung auswirkte. Bereits als 17-jähriger entschied er sich, den Kriegsdienst zu verweigern, und an dieser Einstellung änderte sich auch nichts, je älter er wurde und je näher der Einberufungsbefehl kam. Früh war ihm klar, dass diese Haltung ihn ins Gefängnis führen wurde, da er nicht die Absicht hatte, sich nach Kanada oder Europa abzusetzen.

Als er 1966 sein Studium an der Cornell-Universität aufnahm, schloss er sich der lokalen Gruppe der Students for a Democratic Society (SDS) an, die sich für die Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung engagierte. Dancis, der zum SDS-Vorsitzenden an der Cornell-Universität avancierte, organisierte Demonstrationen und Proteste, arbeitete mit den radikalen Pazifisten Dave Dellinger, Daniel und Philip Berrigan zusammen, nahm an einer Aktion der Yippies teil, als sie unter Federführung von Jerry Rubin und Abbie Hoffman Geldscheine an der New Yorker Börse verbrannten. Doch auch wenn sich Dancis der Gegenkultur zurechnete, eine »Pilzkopf«-Frisur hatte, Musik von Bob Dylan, den Beatles und den Rolling Stones hörte und Drogen konsumierte, hatte er mit den clownesken Aktionen der »Prominenzen des Protestes« nicht viel gemein. Er betrachtete sich als ernst- und standhafter Aktivist, der sich mit seiner öffentlichen Aktion gegen die Einberufung als Gegner des kriegsführenden Staates positionierte und mit seinem Beispiel voranging, ganz im Sinne des populären Songs der Bürgerrechtsbewegung: »Keep your eyes on the prize, hold on«. Auch wenn der Preis für den Widerstand für das einzelne Individuum hoch war, galt es, mit vollem Einsatz sich der Maschinerie zu widersetzen, ins Gefängnis zu gehen und durchzuhalten. »Die Theorie war, dass jede Aktion mehr und mehr Männer im Einberufungsalter inspirierte, einen entscheidenden Bruch mit dem Wehrpflichtsystem herzustellen«, schreibt Dancis.

So war der Sommer 1967 nicht allein ein Sommer der Liebe, sondern auch ein Sommer des Ungehorsams, der zu zahlreichen Konfrontationen mit den staatlichen und universitären Autoritäten führte. Zugleich aber war es der Beginn einer Entwicklung zu autoritären Organisationsformen innerhalb der Neuen Linken, die sich zunehmend dem Projekt des »demokratischen Zentralismus« (wie das Codewort für den Neo-Leninismus lautete) verschrieb. Diese Hinwendung zu verschiedenen Ausprägungen eines marxistisch-leninistischen Avantgardismus verfolgte Dancis kritisch, doch als SDS sich 1969 in Fraktionskämpfen schließlich selbst zerstörte, saß er bereits im Gefängnis von Ashland in Kentucky. Als er nach neunzehn Monaten im Dezember 1970 auf Bewährung entlassen wurde, waren die »Swinging Sixties« vorüber, auch wenn der Krieg in Vietnam noch immer kein Ende gefunden hatte. Der Antikriegsbewegung war es nicht gelungen, die Kriegsmaschine zum Halten zu bringen, doch letztlich bestand der Erfolg in der Abschaffung der Wehrpflicht. Nach seiner Haftstrafe ging Dancis nach Kalifornien, wo er bis zu seiner Pensionierung als Kulturredakteur arbeitete. Im Gegensatz zu vielen einstigen Mitstreitern, die schon in den 1980ern die Seiten gewechselt hatten, blieb Dancis seinem Ideal eines »demokratischen Sozialismus« treu. »Ich mag ein Träumer sein«, schließt er seine Autobiografie, »aber wie John Lennon einmal sagte: Ich bin nicht der Einzige.«

In seiner autobiografischen Erzählung verknüpft Dancis die subjektive Reflexion mit den aktuellen Erkenntnissen aus der historisch-wissenschaftlichen Aufarbeitung der Vergangenheit der Sixties, wobei das kritische Moment (auch gegenüber dem damals handelnden und agierenden Ich) überwiegt. In die große Erzählung, die einen Panoramablick von der »kleinen radikalen Minderheit« auf das »umfassende politische Ganze« wirft, flicht er immer wieder »Spotlights« ein, in denen er eine exemplarische Situation (wie etwa eine Gebäudebesetzung auf dem Campus oder die Auseinandersetzung zwischen den radikalen Studenten und der liberalen Universitätsverwaltung) detailliert ausleuchtet, wobei die Beschreibungen zuweilen etwas langatmig wirken. Auch wenn er in bestimmten Momenten von dem zunehmend hysterischen und bizarren Spektakel-Charakter der Aktionen in den ausgehenden Sechzigern abgestoßen ist, verliert die Erzählung doch nie ihren nüchternen, kontemplativen Ton, als könnte der Erzähler durch nichts aus der Fassung gebracht werden. Selbst als ihm seine Freundin im Gefängnis erklärt, sie werde ihn wegen eines anderen Mannes verlassen, scheint er dies stoisch zu ertragen. Nichtsdestotrotz bietet diese bemerkenswerte Autobiografie eine hinter- und tiefgründige Schilderung eines Lebens in mutiger Opposition gegen eine schier übermächtige Gewalt. Auch wenn das große Ziel, die gewalttätige Kriegsmaschinerie zum Erliegen zu bringen, trotz allen Einsatzes nicht realisiert werden konnte, setzten »Widerständler« wie Bruce Dancis ein leuchtendes Zeichen.