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4. August 2009 |
Johannes Zechner
für satt.org |
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Vieldeutige Natur„Wie man in die Natur hinein ruft, so schallt es heraus“: Diese leicht abgewandelte Redewendung fasst umgangssprachlich, aber prägnant die Arbeitshypothese der Forschungen zur Kulturgeschichte der Natur zusammen. Für die letzten Jahre lässt sich dabei eine erhebliche Ausdifferenzierung hinsichtlich Methoden und Themen feststellen, die im Zusammenhang mit dem Aufkommen der interdisziplinären Umweltgeschichte steht. [1] Fächerübergreifende Veröffentlichungen thematisierten die kulturellen und politischen Denkmuster, die jede Wahrnehmung von und Auseinandersetzung mit Natur notwendigerweise prägen. [2] Kulturelle Bemühungen um den Schutz der natürlichen Umwelt wurden zum Thema von Arbeiten, die sich insbesondere am deutschen Beispiel den vielschichtigen Beziehungen zwischen Naturschutz und Politik widmeten. [3] Darüber hinaus erschienen zahlreiche Studien, die spezifische Landschaften als Projektionsfläche für kulturelle Imaginationen und Konstruktionen kritisch in den Blick nahmen. [4] In diesem Forschungszusammenhang formuliert der zu besprechende Sammelband das Ziel, die Hintergründe der „babylonischen Sprachverwirrung“ in der Rede über Natur zu erhellen. Damit soll nach dem Willen der Herausgeber nicht zuletzt ein Beitrag zur Reflexion der oft unreflektiert bleibenden Arbeitsgrundlagen von Landschaftspflege und Naturschutz geleistet werden. Ob etwa die Alpen als idyllische Weidelandschaft, erhabene Wildniskulisse oder bedrohtes Ökosystem wahrgenommen und geschützt würden, hänge in erster Linie von vorgängigen Naturvorstellungen ab und weniger von der naturwissenschaftlichen Empirie. Die insgesamt 19 Beiträge rekonstruieren daher zahlreiche der kulturellen Annahmen, die den viel verwendeten Begriffen „Landschaft“, „Wildnis“ und „Ökosystem“ zu Grunde liegen. Die Bandbreite der an diesem notwendigerweise interdisziplinären Projekt beteiligten Disziplinen umfasst Architektur, Geographie, Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte, Kulturwissenschaft, Landschaftsökologie, Landschaftsplanung und Philosophie. Die Einleitung der Herausgeber benennt zu Beginn die theoretischen Grundlagen, an denen sich die folgenden Beiträge auch mehr oder weniger konsequent orientieren: einerseits Max Webers Modell der die Realität übersteigernden „Idealtypen“, anderseits die der philosophischen Tradition folgende kategoriale Unterscheidung zwischen „schön“ (ästhetische Landschaft), „gut“ (moralische Wildnis) und „wahr“ (naturwissenschaftliches Ökosystem). Die einzelnen Aufsätze gehen anschließend überwiegend quellennah mannigfachen Naturverständnissen nach, deren Spektrum örtlich von Europa über China bis in die USA sowie zeitlich von 1500 bis zur unmittelbaren Gegenwart reicht. Als Untersuchungsgrundlage dienen unter anderem Architekturkonzepte, Gemälde, Landschaftsgärten, naturwissenschaftliche Veröffentlichungen und philosophische Texte. Da eine Besprechung aller Beiträge den Rahmen dieser Rezension überschreiten würde, sollen im Folgenden drei besonders anregende Ansätze herausgegriffen werden. Mit bemerkenswerter Sprachkompetenz untersucht die Landschaftsplanerin Dóra Drexler die Landschaft als „komplexes kulturelles Symbol“ in vier europäischen Sprachräumen. Während im deutschen Begriff „Landschaft“ und im ungarischen „táj“ geographische und ästhetische Aspekte zusammenfielen, fänden sich im Englischen und Französischen seit dem 16. Jahrhundert verschiedene Worte für diese Bedeutungsnuancen: „land“ und „landscape“ bzw. „pays“ und „paysage“. Grund für diese begriffliche Ausdifferenzierung waren Drexler zufolge politische Entwicklungen, in deren Verlauf sich in England und Frankreich neue Gesellschaftsvorstellungen gegenüber den älteren ständischen durchsetzten. Hingegen sei in Deutschland und Ungarn der vorher geographische Landschaftsbegriff ästhetisch aufgeladen worden, was nach 1800 die Bedeutungserweiterung um eine organische Vorstellung von Landschaft als Heimat ermöglicht habe. In seinem methodisch inspirierenden Aufsatz zeichnet der Geograph Klaus-Dieter Hupke die Etappen einer „Erfindung des tropischen Regenwaldes“ nach. Solche Konstruktionen verrieten stets mehr über die kulturellen Vorstellungen der Interpreten selbst als über das interpretierte Naturobjekt. So stehe die Vorstellung einer „darwinistischen“ Regenwaldwildnis und des unerbittlichen Kampfes der Lebewesen gegeneinander im Zusammenhang mit der Evolutionslehre, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend Verbreitung fand. Für die Zeit um 1900 beobachtet Hupke eine sexuell konnotierte „Feminisierung“ des Tropenwaldes, der als „schöne“ und „jungfräuliche“ Natur zum Unterwerfungsobjekt männlicher Tropenforscher erklärt wurde. Die vorläufig letzte Imaginationsstufe sei der „virtuelle“ Regenwald der Gegenwart in Literatur, Spielfilmen und Spaßbädern, welcher allerdings kaum noch einen Bezug zur tropischen Realnatur aufweise. Die Landschaftsökologen Sylvia Haider und Thomas Kirchhoff widmen sich dem aktuell vieldiskutierten Phänomen biologischer Invasionen, also der zunehmenden Ausbreitung gebietsfremder Organismen. Hinter deren negativer oder positiver Bewertung stünden nicht konträre naturwissenschaftliche Erkenntnisse, sondern die „kulturelle Ambivalenz von Biodiversität“ sowie die ihrem Verständnis zugrunde liegenden Gesellschaftsvorstellungen. Derlei Vorannahmen der Naturwissenschaftler prägten - so Haider/Kirchhoff - unvermeidlich bereits die Fragestellungen, was sich ebenso auf die Ergebnisse der vermeintlich wertfreien empirischen Forschungen auswirke. Während „invasive species“ für Anhänger eines „organizistischen“ Welt- und Naturbildes eine Bedrohung des stabil gedachten Ökosystems darstellten, sähen Vertreter einer „elementaristischen“ Welt- und Natursicht sie als Bereicherung eines dynamisch verstandenen Artengefüges. Mit seinen vielfältigen Ansätzen und Themen ist der Band eine wahre Fundgrube: Eindrucksvoll wird in der interdisziplinären Herangehensweise die prinzipielle Vieldeutigkeit der Natur und der diesbezüglichen kulturellen Konstruktionsmechanismen deutlich. In vielen der untersuchten Beispiele diente die „Natur an sich“ nur mehr als metaphorischer Ausgangspunkt für bereits weitgehend von der Realität losgelöste Naturimaginationen. Am überzeugendsten wirken die diachron angelegten Beiträge, die Wandel und Weiterentwicklung von Naturvorstellungen anhand eines längeren Untersuchungszeitraumes verfolgen. Für zukünftige Forschungen viel versprechend erscheint eine Ausweitung der geographischen Perspektive über Europa hinaus, für die der Band in den Aufsätzen zu China und den USA aufschlussreiche Beispiele liefert. Gegenüber dem positiven Gesamteindruck fallen die Kritikpunkte weniger ins Gewicht: In einigen Fällen wäre es wünschenswert gewesen, dass die Autoren stärker die Relevanz der von ihnen behandelten Themen und die Repräsentativität der angeführten Quellen dargelegt hätten. Die Rückgriffe auf die philosophische Tradition zum Verständnis gegenwärtiger Denkmuster wirken bisweilen etwas bemüht und werden über etwaige Strukturanalogien hinaus nicht immer hinreichend begründet. Schließlich befremdet der in manchen Aufsätzen durchscheinende Schreibstil wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten, der gerade für diese an ein breites Publikum gerichtete Veröffentlichung zum Rezeptionshemmnis werden könnte. Dessen ungeachtet kann die Lektüre des Bandes kulturell aufgeschlossenen Naturwissenschaftlern wie Geisteswissenschaftlern mit Interesse an der Kulturgeschichte der Natur gleichermaßen empfohlen werden.
[1] Vgl. dazu Wolfgang Siemann (Hrsg.): Umweltgeschichte. Themen und Perspektiven, München 2003 ; sowie Martin Knoll / Verena Winiwarter: Umweltgeschichte, Köln 2007.
[2] Vgl. etwa Helga Breuninger / Rolf, Sieferle (Hrsg.): Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte, Frankfurt am Main 1999; sowie Ludwig Fischer (Hrsg.): Projektionsfläche Natur. Zum Zusammenhang von Naturbildern und gesellschaftlichen Verhältnissen, Hamburg 2004. [3] Vgl. etwa Joachim Radkau / Frank Uekötter (Hrsg.): Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2003 (= Geschichte des Natur- und Umweltschutzes, Bd. 1); Friedemann Schmoll: Erinnerung an die Natur. Die Geschichte des Naturschutzes im deutschen Kaiserreich, Frankfurt am Main 2004 (= Geschichte des Natur- und Umweltschutzes, Bd. 2) ; Jens Ivo Engels: Naturpolitik in der Bundesrepublik. Ideenwelt und politische Verhaltensstile in Naturschutz und Umweltbewegung 1950-1980, Paderborn 2006; sowie Hans W. Frohn / Friedemann Schmoll (Hrsg.): Natur und Staat. Staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906-2006, Münster 2006 (= Naturschutz und Biologische Vielfalt, Bd. 35). [4] Vgl. als Klassiker Simon Schama: Landscape and Memory, New York 1995; vgl. darüber hinaus Roland Siekmann: Eigenartige Senne. Zur Kulturgeschichte der Wahrnehmung einer peripheren Landschaft, Lemgo 2004 (= Lippische Studien, Bd. 20); Johannes Zechner: ‚Ewiger Wald und ewiges Volk’. Die Ideologisierung des deutschen Waldes im Nationalsozialismus, Freising 2006 (= Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, Bd. 15); sowie Norbert Fischer / Susan Müller-Wusterwitz / Brigitta Schmidt-Lauber (Hrsg.): Inszenierungen der Küste, Berlin 2007 (= Schriftenreihe der Isa Lohmann-Siems Stiftung, Bd. 1). |
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