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30. Mai 2008
Robert Mießner
für satt.org

Jahrgang 1973

Vom Pech und Segen, von der Revolution
permanent nur gehört zu haben

Als autoritätsfixiert und karriereversessen, so hat Anja Röhl die Funktionäre der Linkspartei in den sogenannten Neuen Bundesländern erlebt und darüber in der jungen Welt geschrieben. Verblüfft bin ich nicht, ich sehe die Kader vor mir. Besser, ich meine, mich gut erinnern zu können. Die DDR war, das wird nicht allen gefallen, eine oft sehr bürgerliche, wenn nicht konservative Veranstaltung. Die Kommentare, die 1988 auch in der jungen Welt standen, als den Kulturoffiziellen in Berlin und Suhl klar wurde, dass beispielsweise Punk kein importiertes Gift aus dem Westen, sondern Gegengift aus eigenem Anbau war und AMIGA die ersten »anderen Bands« entdeckte, sind bei mir und denen, die sich damals angesprochen fühlen mussten, heute noch Garant für Wutanfälle. Noch weniger wird allen gefallen, dass dieser Konservatismus sowohl in offiziellen wie in dissidenten Kreisen anzutreffen war. Und wahr ist, wer im Osten Karriere machen wollte, konnte, musste das eventuell (ich habe von Karriere keine Ahnung) so tun, wie er oder sie das auch heute tun wird, mit leidenschaftlicher Anbiederung und trainiertem Ellenbogen. Den Schock, der Anja Röhl befallen haben muss, als sie ausgerechnet auf diese Spezies Funktionsträger treffen musste, ich kann ihn irgendwo nachvollziehen. Ich bleibe auch bis dato dabei, jeder Partei die Mühen eines Ausschlussverfahrens, spätestens ein halbes Jahr nach meinem Beitritt, ersparen zu wollen.

   Heiner Müller: Die Hamletmaschine.
Aufgenommen im Januar und Februar 1990, Funkhaus Nalepastraße. Ausgestrahlt am 27. September 1990, Rundfunk der DDR. Sollte man noch mal hören.

Vielleicht aber hat sie einfach auch nur die falschen Ostler getroffen. Ich weiß, ich bin privilegiert, nicht in der Provinz, sondern in Ostberlin aufgewachsen. 100 Meter Luftlinie gegenüber vom Springerhochhaus, 15 Minuten vom SO36 entfernt. Ich glaube, das haut so ungefähr hin, obwohl ich, als die Mauer dann offen war, den Weg sicher nicht mit der Stoppuhr in der Hand gemessen habe. Der Grund, mich daran zu erinnern, ist Anja Röhls Beobachtung über die Generation der damals knapp Zwanzigjährigen, denen die Wende den Weg in Richtung Futtertrog, in welcher Farbe auch immer, jäh abgeschnitten hat, bevor sie dann doch irgendwie durften. Bei der CDU, der FDP, in Aufsichtsräten oder eben der PDS. Fünf Jahre Altersunterschied sollen ja eine wichtige Rolle in der Jugend spielen, trotzdem: Es gab Leute, so circa Jahrgang 1973, die ans Ankommen nicht einmal mehr im Traum gedacht hätten, aufgewachsen mit den Bildern von Che Guevara, Fidel Castro und Ho Chi Minh in einem der beiden staatlichen Fernsehkanäle, die 1977 genauso über Mogadischu und Stammheim berichteten. Die Schulbücher voll von Aufständen, Rebellion und Revolutionen. Draußen dann keine Spur davon. Das schaffte einen Riss im Weltgefühl, von dem (es kommt mir vor, als sei man damals sehr rasch erwachsen geworden) nicht wenige zwischen 1989 und 1990 glaubten, er ließe sich jetzt schließen. Natürlich hätte ich das so nicht gesagt.

Vorher noch eine Sozialisation, die vielleicht die einer Minderheit, einer zahlenmäßig aber gar nicht so kleinen, gewesen ist: Eine sichtlich erschütterte Klassenlehrerin, die von einer abendlichen Begegnung mit Punks erzählte. In der besten Absicht, ihre Schüler vor dem Weg nach unten zu bewahren und mit dem Ergebnis, dass das Interesse erst recht da war. Auf Klassenfahrt dann der erste Anblick der Schreckensgestalten. Die sahen lustig aus. Später Bücher, die von Großeltern und Eltern kamen, nicht selten mit einer gesprochenen Warnung versehen: Georg Heym, Georg Trakl, die ganze »Menschheitsdämmerung«. Ich habe das mehrmals gelesen, irgendwann entdeckt, dass Brecht nicht nur das »Lob des Kommunismus« geschrieben hat, dabei DT64 und Radio 100 gehört. Als dann der Herbst 1989 kam, war er ein Spiel, so ungefähr bis zum überbewerteten 04. November. Mit 15, 16 einen Staat untergehen zu sehen, machte früh misstrauisch, führte dazu, keiner Zeitung, keinem Nachrichtensprecher mehr zu glauben (wenn das nicht schon vorher geschehen war), die Seitenwege den Hauptstraßen vorzuziehen und generell Skeptiker zu bleiben. Diese Leute gab es. Sie mögen älter geworden sein, aber es gibt sie immer noch.



Als Leserbrief gekürzt in:
junge Welt, 05. Mai 2008

Anja Röhl, Krawatte gebunden?
Nicht von der Revolution sprechen:
Wie man sich als Antiautoritäre aus dem
Westen in der ostdeutschen Provinz fühlt, in:
junge Welt, 30. April 2008