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März 2008
Thomas Backs
für satt.org


Die
Olympischen Spiele
als Chance


China steht im Jahr 2008 ganz besonders im Fokus der Weltöffentlichkeit. Vom 8. bis 24. August finden in Peking die Olympischen Sommerspiele unter dem Motto „Eine Welt, ein Traum“ statt. Die weltweit größte Menschenrechtsorganisation amnesty international macht unter dem Motto „Gold für Menschenrechte“ auf die Menschenrechtssituation in China aufmerksam. Bereits vor einigen Wochen hat Thomas Backs einige Fragen für ein Email-Interview an Barbara Lochbihler, Generalsekretärin der deutschen Sektion von amnesty international, gesendet. Frau Lochbihler hat die Fragen an Dirk Pleiter, den China-Experten der deutschen Sektion von amnesty international, weitergeleitet. Trotz hoher beruflicher Belastung hat sich Dirk Pleiter Zeit für die Fragen und seine Antworten genommen. Das komplette und ungekürzte Interview ist hier zu lesen.


tba: Der Countdown für die Olympischen Spiele läuft. Was erwartet die Deutschen auf ihren Fernsehbildschirmen?

Dirk Pleiter: Die chinesische Regierung wird keine Mühe scheuen, um den Medien perfekt organisierte Spiele zu präsentieren. Wir appellieren daher an die deutschen Medien, in ihrer Berichterstattung auch die andere Seite der Medaille zu zeigen, nämlich ein China in dem weiterhin zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen stattfinden und Kritiker der Spiele verfolgt werden.

tba: Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in China? Hat sich die Regierung an ihr eigenes Versprechen gehalten, die Zahl der Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land zu vermindern?

Dirk Pleiter: Bei einigen Problemen können die chinesischen Behörden zwar auf Schritte in die richtige Richtung verweisen, allerdings wären viel weitergehende Schritte notwendig. Nehmen wir das Beispiel Todesstrafe: Seit Anfang 2007 müssen Todesurteile durch das Oberste Volksgericht überprüft werden. Es ist damit für chinesische Gerichte etwas schwieriger geworden, Todesurteile zu verhängen. Am Anwendungsbereich dieser Strafe hat sich nichts geändert und somit müssen wir befürchten, dass auch in Zukunft die Todesstrafe extensiv angewendet wird. Aus unserer Sicht hat die chinesische Regierung ihre Versprechen daher noch nicht erfüllt. Wenn das Internationale Olympische Komitee und der DOSB nun ausschließlich die positiven Entwicklungen hervorheben, dann machen sie es sich zu einfach. Die Frage sollte immer sein, wie substantiell und nachhaltig sind die Veränderungen? Auch dürfen diese Verbände nicht verschweigen, dass tagtäglich schwere Menschenrechtsverletzungen stattfinden.

tba: Was genau kritisiert amnesty international an der aktuellen Politik Chinas im In- und Ausland?

Dirk Pleiter: Amnesty international beschränkt sich in ihrer Arbeit auf einen kleinen Bereich der Menschenrechte. Hier müssen wir feststellen, dass wir heute weiterhin ganz ähnliche Dinge kritisieren wie vor dreißig Jahren. Dazu zählen die willkürliche Inhaftierung aus politischen Gründen, die weite Verbreitung von Folter und Misshandlung sowie die extensive Anwendung der Todesstrafe. Aktuell macht uns insbesondere Sorge, dass Menschen, die in China selbst für die Menschenrechte eintreten, im Vorfeld der Spiele verstärkt verfolgt werden. Mit dem wachsenden Einfluss Chinas auf internationaler Ebene wächst auch die Verantwortung des Landes für die Menschenrechtssituation in anderen Ländern. Mit dem Export von Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen für Sicherheitskräfte in Spannungsgebiete wie Myanmar, Nepal oder Dafur trägt die Volksrepublik China heute auch zu Menschenrechtsverletzungen außerhalb des eigenen Landes bei.

tba: Steven Spielberg hat sein Mitwirken an der Organisation der Olympischen Spiele beendet. Was sagen Sie zu seiner Entscheidung?

Dirk Pleiter: amnesty international ruft nicht zu einem Boykott der Olympischen Spiele auf. Wir glauben momentan nicht, dass ein solcher Aufruf bei der Arbeit für die Menschenrechte hilfreich wäre. Wir wollen schließlich auch die Menschen im Lande gewinnen. Diese sehen die Vergabe der Spiele an die Stadt Beijing zu recht als eine Anerkennung für den unglaublichen Reformprozess, den China in den letzten dreißig Jahren durchlebt hat.

tba: Die Webseiten von amnesty international sind in China nicht abrufbar. Wie können sich die Menschen in China über die Situation im eigenen Land informieren? Gibt es in China Pressefreiheit?

Dirk Pleiter: Es gibt in China weiterhin keine Pressefreiheit. Die Medien sind alle staatlich kontrolliert. Das Beispiel Internet zeigt jedoch, wie widersprüchlich manche Entwicklungen in China sind. Es ist richtig, dass zahlreiche Webseiten, darunter auch solche von amnesty international, in China nicht zugänglich sind und Menschen verfolgt werden, weil sie das Internet auf legitimer Weise genutzt haben, um aus Sicht der chinesischen Behörden missliebige Informationen herunterzuladen oder zu verbreiten. Auf der anderen Seite haben wir heute mehr als hundertsechzig Millionen Internetnutzer in China, von denen jeder Einzelne Zugang zu viel mehr Informationen hat als vor zehn Jahren.

tba: Zum Thema Todesstrafe: Wie viele Todesurteile gab es in China seit dem Jahr 2000? Wofür können Menschen in China zum Tode verurteilt werden?

Dirk Pleiter: amnesty international geht allein für das Jahr 2006 von mehr als 2790 Todesurteilen und über 1010 Hinrichtungen aus. Diese Zahlen basieren auf uns zugängliche Informationen, so dass wir hier vermutlich nur die Spitze des Eisberges sehen. Tatsächlich gehen Beobachter im Lande von 7500 bis 8000 Exekutionen pro Jahr aus. Wenn die chinesischen Behörden immer wieder darauf verweisen, dass die Todesstrafe nur für die „schlimmsten Verbrechen" verhängt würde, dann muss man deutlich widersprechen. In China kann die Todesstrafe auch für Delikte verhängt werden, die keine Anwendung von Gewalt voraussetzen. Dazu zählen beispielsweise Steuerdelikte. Es ist dringend an der Zeit, dass China den Anwendungsbereich der Todesstrafe deutlich einschränkt.

tba: Was raten Sie persönlich Spitzensportlern aus Deutschland, die im Sommer an den Olympischen Spielen teilnehmen möchten?

Dirk Pleiter: Auch wenn sich die Sportler, die mit dem Anspruch nach Beijing reisen, dort Medaillen zu gewinnen, primär dem Sport widmen werden, so würden wir uns doch wünschen, dass sie von den eigenen Verbänden deutliches Engagement für die Menschenrechte einfordern. Wir begrüßen es daher, dass der niederländische Schwimmer van den Hoogenband vom Internationalen Olympischen Komitee gefordert hat, dass dieses sich im Namen aller Athleten öffentlich für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation einsetzt.

tba: China betreibt Handel mit dem Sudan und liefert unter anderem Waffen an dieses Land. In welchen wirtschaftlichen Beziehungen stehen die Bundesrepublik Deutschland und China?

Dirk Pleiter: Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und China wächst weiterhin. Dies wirft natürlich neue Fragen im Bereich der Menschenrechte auf. Unter welchen Bedingungen werden beispielsweise die Güter hergestellt, die nach Deutschland exportiert werden? China verändert sich im Zuge des anhaltenden Wirtschaftswachstums und der damit verbundenen Öffnung des Landes weiterhin enorm. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sich die Menschenrechtssituation verbessert. Wenn die Wirtschaft in der Frage der Menschenrechte allein auf Wandel durch Handel setzt, dann wird sie ihrer Verantwortung für die Menschenrechte nicht gerecht.

tba: Wo sehen Sie China in zwanzig Jahren?

Dirk Pleiter: Eine Vorhersage, wie sich das Land in den nächsten zwanzig Jahren entwickeln wird, ist unmöglich. Es sind aktuell sowohl große Chancen als auch Risiken erkennbar, wo nicht klar ist, ob die chinesische Regierung diese in den Griff bekommt. Es ist vielleicht hilfreich, zwanzig Jahre zurück zu gehen: Damals hätte niemand geglaubt, dass die Regierung schon kurze Zeit später mit militärischer Gewalt gegen die eigene Bevölkerung vorgehen würde. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es für die zukünftige Entwicklung des Landes ist, auf einen effektiven Schutz der Menschenrechte in der Volksrepublik China zu drängen. Die Olympischen Spiele bieten die Chance, einen solchen Einfluss auszuüben. Es kommt nun in den kommenden Monaten darauf an, diese Chance auch zu nutzen.



» www.goldfuermenschenrechte.de
» www.amnesty.de