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Mai 2007 |
Martin Jankowski
für satt.org |
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Schlaraffenland für Diktaturangestellte oder Wie hintertreibt man in aller Stille erfolgreich eine Revolution?Während die internationale Völkergemeinschaft sich fragt, was mit Eisbär Knut werden soll, wenn er erst richtige Zähne hat, fragt sich niemand, was es bedeutet, wenn die SED-Apparatschiks - die im Gegensatz zu den immer noch gern (und vor allem von feindbedürftigen Teenagercliquen und Massenmedien) ausgiebig bekämpften Nazis keineswegs ausgestorben sind - wenn also diese Hunderttausende zumeist im öffentlichen Dienst geparkter deutscher Diktaturfunktionäre und –angestellter im Windschatten patriotischer Papstshows und verfrühter Strandbar-Events einen fetten Teil ihrer gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten und Privilegien zurückerobern, die man ihnen einst in einer beispiellos friedlichen deutschen Feierabendrevolution sehr zu recht abgenommen hatte. Oder wenn sie sich gar ganz neue erschleichen, von denen im real existierenden Sozialismus deutscher Prägung (vor kaum 17 Jahren) noch gar nicht zu träumen war.
Zum Glück gibt es ein paar aufmerksame Geister, die selbst in apokalyptischer Frühlingshitze einen kühlen Kopf bewahren und regelmäßig einen Blick in die dunkleren Ecken unserer besorgniserregend blühenden Heimat wagen. Zu diesen unentbehrlichen geistigen Müllmännern, die sich tapfer mit diesen - uns allen zu recht unangenehmen - Dingen auseinandersetzen, gehört seit Jahren der 1959 in Unna gebürtige Historiker Hubertus Knabe. Sein Verdienst ist es, dass den Protagonisten des SED-Regimes, die wie gesagt im Großen und Ganzen alle noch unter uns sind, seit Jahren nicht nur in Hinblick auf ihre vergangene Rolle in der „ersten Diktatur des Proletariats auf deutschem Boden“, sondern auch in Bezug auf ihr gegenwärtiges Tun und Treiben systematisch auf die Finger geschaut wird. Dass dies bitter nötig ist, beweist Knabes neuestes Buch, in dem er einen Überblick über die ungute Entwicklung im Bereich der so genannten „Vergangenheitsaufarbeitung“ der zweiten deutschen Diktatur seit Mitte der Neunziger Jahre gibt. Manches, was Knabe berichtet, hatte man zum Teil schon mal gehört, aber wenn man es nun, ergänzt um einige höchst unangenehme Neuigkeiten, im Überblick und versehen mit den notwendigen Bewertungen und Schlussfolgerungen liest, muss man sich erschreckt die Augen reiben: Unbemerkt von der großen Öffentlichkeit, scheint den fleißigen Avantgardisten der Arbeiterklasse derzeit ein roll back nicht nur der politischen Ergebnisse des Herbstes 1989 zu gelingen, sondern auch ein Coup in Sachen Selbstversorgung - und eine weichspülende Revision der Geschichte des geteilten Deutschlands zwischen 1945 und 1989 obendrein. Offenbar hat das Tricksen und Täuschen im Dienste der Partei (egal, welchen Namen sie derzeit trägt, die Mitglieder sind überwiegend dieselben) noch lange kein Ende. Die Genossen haben ihr Handwerk der „Mittelbeschaffung“ und der „ideologischen Diversion“ (Desinformation) absolut nicht verlernt. Während wir in den letzten Jahren auch den letzten kleinen IM gnadenlos an den Pranger stellten, ließen sich deren Erpresser und Auftraggeber ihre einst „rechtmäßig zugewiesenen“ Häuser zur Altersresidenz am Scharmützelsee oder am Ostseestrand ausbauen. IM heißt ja: Inoffizieller Mitarbeiter. Das Problem: Diese kleinen Spitzel wurden von uns gejagt, während die Großen, die offiziellen Mitarbeiter und Mitglieder von SED und Stasi (dem ZK-hörigen „Schild und Schwert der Partei“) stumm lächelnd dabei zusahen, hin und wieder als exotische Zeitzeugen in Talkshows auftraten, und sich in mehreren Schüben kräftig die Renten erhöhten sowie steuerfinanzierte Ausgleichszahlungen in zweistelliger Milliardenhöhe kassierten. Ausgerechnet die nach wie vor erbitterten Feinde des westlichen Systems haben den Segen des demokratischen Rechtsstaats als Mittel zur Wiederherstellung ihrer verlorenen Privilegien für sich entdeckt! Jährlich bis zu 3 Milliarden Euro an Bundesmitteln gehen, nein, nicht etwa in den Aufbau Ost, sondern in die persönliche Versorgung der Drahtzieher und Angestellten der SED-Diktatur. Während der Mehrzahl der SED-Kritiker, die in der DDR bekanntlich nur selten einen Job, geschweige denn ein öffentliches Amt, ja oft nicht einmal eine Ausbildung bekamen, heute nachweislich am Existenzminimum leben. Offenbar hat, wenn wir heute Bilanz ziehen, die rechtsstaatliche Aufarbeitung der SED-Diktatur im Endergebnis nicht etwa zur effektiven Bestrafung der Verantwortlichen geführt, sondern vor allem zur Durchsetzung von deren Interessen. Knabe belegt, wie die alte DDR-Elite es nach der friedlichen Revolution geschafft hat, Milliarden von Staatsgeldern verschwinden zu lassen bzw. ihren Getreuen zuzuschanzen, die ihr damit erheblichen wirtschaftlichen Einfluss im wiedervereinigten Deutschland sicherten, wie sie ihre Verbündeten in öffentlichen Gremien von der kleinen Kommune bis zum Bundestag oder auch massenhaft als freie Anwälte positionierten. Das Buch belegt an konkreten Beispielen, wie die SED sich und die Stützen und Nutznießer ihrer einstigen Herrschaft in den letzten 17 Jahren reorganisiert und über ein vielgestaltiges Netzwerk von „Arbeitsgruppen“ und „gemeinnützigen“ Vereine – wie etwa ISOR (Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und Zollverwaltung der DDR e.V.) oder die GHR (Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e.V. – vorrangig für verurteilte SED-Funktionäre und Mauerschützen nämlich) – nahezu ungestört neue Strukturen inmitten unserer Gesellschaft schaffen konnte, um damit Einflussgebiete in der Gesellschaft zurückzuerobern und zu sichern bzw. auch neue zu erschließen. Wie erfolgreich das in den letzten Jahren gelang, beweisen die Medienerfolge dieses Netzwerkes, etwa mit verstärkten geschichtsrevisionistischen Buchpublikationen alter DDR-Kader, oder im Hinblick auf den intensiven Einfluss auf die neue SED/PDS/WASG/Linke und die Rosa-Luxemburg-Stiftung bzw. deren steuerfinanzierte Medien und Finanzressourcen. Mutig muss man hier den Historiker Knabe schon deshalb nennen, weil er, wo immer möglich, Ross und Reiter klar benennt (auch wenn ihm das bei der Klagefreudigkeit der alten Genossen und ihrer juristischen Helfer die Arbeit auch künftig nicht leichter machen wird). Wenn Knabe belegt, mit welcher Unwissenheit heutige Deutsche und besonders die jüngeren Generationen über die DDR und die Folgen der SED-Herrschaft urteilen, beginnt man bestürzt zu ahnen, dass die Vertuschungstaktik der Ex-SED-Kader längst wirkt: Die DDR scheint den meisten Deutschen heute ferner und fremder als etwa das Dritte Reich. So halten zwei Drittel der Berliner Schüler die DDR für einen demokratisch legitimierten Staat, dessen Alltag keineswegs von Unterdrückung geprägt war; den Begriff Diktatur halten sie gar für unangemessen. (Das dürfte selbst die alten SED-Kader betrüben, da die DDR sich selbst als „Diktatur des Proletariats“ definierte!) Derlei Ahnungslosigkeit lässt sich noch steigern: 7,5 % der deutschen Jugendlichen halten Wolf Biermann gar für einen ehemaligen Generalsekretär der SED. Und ebenso viele glauben, Erich Honecker sei ein ehemaliger Bundeskanzler und Urheber des Wirtschaftswunders … Der Buchtitel „Die Täter sind unter uns“ bezieht sich auf einen Defa-Film zur Problematik von Nazi-Altkadern im Nachkriegsdeutschland der Fünfziger Jahre („Die Mörder sind unter uns“) und erscheint nach der Lektüre als keineswegs überzogen: Wenn Knabe recht hat – und kaum jemand hat die DDR-Elite so aufmerksam beobachtet wie der Historiker und Leiter der Gedenkstätte des ehemaligen Stasi-Gefängnisses Berlin Hohenschönhausen – dann haben die heutigen Aktivitäten der Verantwortlichen für die SED-Diktatur bedenkliche Ausmaße angenommen: Sie haben die politischen Ergebnisse der friedlichen Revolution von 1989 bereits zu einem guten Teil rückgängig gemacht oder annulliert. Besonders erschreckend sind ihre Erfolge auf dem Gebiet der Geschichtsklitterung: Die Verklärung der DDR zu einer skurrilen, aber harmlos-gemütlichen Episode der deutschen Geschichte dürfte vor allem deren Opfer, von denen viele bis heute existenziell an den Folgen der „entschlossenen Parteilichkeit“ leiden, erneut den Angstschweiß auf die Stirne treiben. Während jeder Gammelfleischlieferant zu Recht hinter Gittern landet, geht der Großteil der DDR-Täter mit dem Hinweise darauf, dass die Nazis ja viel schlimmer waren, komplett strafffrei aus und wird zudem mit einer Luxusrente in harten Euro für seine Staatstreue von einst belohnt. Knabes gut lesbares Buch sollte Pflichtlektüre nicht nur für Politiker, Lehrer, Journalisten und Gymnasiasten werden – jeder, der über unsere politische Realität nachdenkt, sollte die geschilderten Probleme dringend zur Kenntnis nehmen. Denn die alten und neuen Klassenkämpfer hoffen nur zu sehr darauf, dass wir, der Betrachtung unangenehmer oller Kamellen wie der grauen DDR überdrüssig, weiterhin den Blick von ihnen abwenden und ins apokalyptische Bunte der deutschen Eventkultur richten …Und Knut? Auch der kleine Eisbär - ein spätes Opfer der SED-Diktatur! Seine Mutter durfte für viele Jahre in einer weltweit einmaligen Eisbärendressur des DDR-Staatszirkus’ als Reisekader den Klassenfeind mit sozialistischer Dressurkunst verwirren, auch auf Tourneen durch die USA und Westdeutschland. Als die Eisbärin später ihren Alterswohnsitz im Berliner Zoo nahm, erwies sie sich – wen überrascht’s? – für die Mutterrolle als ungeeignet. So wurde er ein Waisenkind der Herzen, von uns allen adoptiert. Aber: Was ist mit den anderen? |
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