Architektur in Berlin
1933 - 1945
Die Gegenwart der deutschen Vergangenheit ist wohl nirgends so präsent geblieben wie im Stadtbild von Berlin, dessen Topographie heute immer noch geprägt ist von der raschen Abfolge politischer Systemwechsel im Laufe des 20. Jahrhunderts. Mit dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin im Jahre 1999 stellte sich daher die Frage des Umgangs der demokratischen Bundesrepublik mit dem architektonischen Erbe des NS-Regimes in neuer Dringlichkeit. Der Kunst- und Bauhistoriker Matthias Donath unternimmt in seinem in Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt Berlin erschienenen Buch eine Tiefenbohrung in die nationalsozialistische Schicht der ehemaligen Reichshauptstadt.[1] Nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Darstellung gilt dabei den oft thematisierten Planungen Albert Speers für eine „Reichshauptstadt Germania“ voll monumentaler Partei- und Staatsbauten[2] sowie der Repräsentationsarchitektur von Reichsluftfahrtministerium, „Reichssportfeld“ oder „Neuer Reichskanzlei“. Darüber hinaus widmet sich der Band meist weniger beachteten Architekturgattungen außerhalb des Stadt- und Regierungszentrums wie Wohnhäusern, Industrie- und Infrastrukturbauten sowie Kirchen, aber auch Bunkern, HJ-Heimen oder Kasernen.
Gleich zu Beginn betont Donath die „Vielfalt der vermeintlich uniformen NS-Architektur“ (15), die entgegen lange auch von der Architekturgeschichte gehegter Vorstellungen mehr als nur ein monumentaler Neoklassizismus gewesen sei. Er konstatiert eine für das NS-Regime typische Tendenz zur eklektizistischen Übernahme und aktualisierenden Umformung älterer Traditionen, die sich für den Bereich der Architektur unter „stilübergreifende Kriterien“ (28) wie Versachlichung, Sakralisierung, Symmetrie und Hierarchie fassen lasse. Die in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft entstandenen Bauten ordneten sich so „weitgehend bruchlos in die vorher bestehenden Architekturströmungen des 20. Jahrhunderts“ (28) ein, wobei selbst einzelne Stilelemente des offiziell verfemten Bauhauses weiter Verwendung fanden. Dabei variierte die Architektur je nach Funktion des zu errichtenden Gebäudes und teilweise sogar innerhalb desselben Gebäudes zwischen den Polen von „anti-modern“ und „modern“: Von traditionell-heimattümelnden Siedlungsbauten über monumental-repräsentative Regierungsbauten bis hin zu funktionalistisch-fortschrittsgläubigen Industriebauten. Spezifisch nationalsozialistisch war damit Donath zufolge statt eines einheitlichen Baustils vielmehr die straffe staatliche Kontrolle der Bautätigkeit sowie die sich auf Hitler berufende ideologische Überhöhung der Architektur zum „Wort aus Stein“.
Im Hauptteil des Buches werden dann in Form eines „Stadtführers“ über achtzig Gebäudekomplexe und Einzelbauten aus fast allen Berliner Bezirken ausführlich vorgestellt. Die einzelnen Einträge beinhalten neben einem präzisen Abriss der jeweiligen Bau- und Nutzungsgeschichte historische und aktuelle Abbildungen der Gebäude sowie Angaben weiterführender zeitgenössischer und moderner Literatur. Aus der Fülle der Einzelbeispiele seien hier nur einige wenige herausgegriffen: Die ab 1938 errichtete Zehlendorfer „SS-Kameradschaftssiedlung“ (die heutige „Waldsiedlung Krumme Lanke“) orientierte sich mit ihren unregelmäßig in eine randstädtische Waldlandschaft gestreuten Wohngebäuden am lebensreformerischen Ideal der „Gartenstadt“. Die Ansiedlung der SS-Angehörigen erfolgte abgestuft nach Dienstgraden in Einzel-, Doppel- oder Reihenhäusern, durch den Einsatz von Traditionszitaten wie Gauben, Satteldächern, Sprossenfenstern und Klappläden sollte trotz der industriell normierten Bauweise der Eindruck von handwerklicher Heimatverbundenheit erweckt werden.
Hingegen war der zwischen 1934 und 1940 entstandene Reichsbank-Erweiterungsbau im Bezirk Mitte (heute vom Auswärtigen Amt genutzt) der erste in der NS-Zeit begonnene repräsentative Großbau, dessen Planungsphase aber - wie in vielen anderen dokumentierten Fällen - noch auf die Jahre der Weimarer Republik zurückging. Hinter einer klassisch-monumental anmutenden Fassade aus Sandstein verbarg sich jedoch auf funktionalistischem Grundriss eine moderne Stahlskelett-Konstruktion und eine von Glas und Metall dominierte sachliche Innengestaltung. Im Rahmen des Ausbaus der S-Bahnverbindungen auf der Nord-Süd-Trasse entstand 1935 der heute noch bestehende S-Bahnhof Bornholmer Straße zwischen den Bezirken Prenzlauer Berg und Wedding. Die überwiegend aus Stahl und Glas errichtete moderne Konstruktion belegt, dass vor allem Infrastruktur- und Industriebauten während der nationalsozialistischen Herrschaft weiterhin funktional ausgeführt werden konnten und wurden.
An der Martin-Luther-Gedächtnis-Kirche in Mariendorf schließlich zeigt Donath, dass einerseits entgegen verbreiteter Vorstellungen der Kirchenbau nach 1933 nicht zur Einstellung kam. Anderseits weist er darauf hin, dass die in vielen Kirchengremien dominierenden „Deutschen Christen“ ihre Ideologie nur selten so wie hier auch in der Kirchenarchitektur umzusetzen vermochten. Das Bildprogramm dieses 1935 geweihten Gotteshauses zeigte im Sinne des propagierten „arischen Christentums“ neben den christlichen Symbolen von Christusmonogramm und Dornenkrone auch die Insignien des NS-Staates wie das Hakenkreuz oder das Symbol der NS-Volkswohlfahrt.
Negativ ins Auge fallen an dem durch ein knappes Literaturverzeichnis abgeschlossenen Band eigentlich nur Kleinigkeiten, die einem nachlässigen Lektorat geschuldet zu sein scheinen: So sind NS-Propagandabegriffe wie „Machtergreifung“ oder „Drittes Reich“ nicht durchgehend in Anführungszeichen oder zumindest Kursivierung wiedergegeben, mehrzeilige Zitate aus der zeitgenössischen Bauliteratur finden im Text bisweilen unkommentiert und unreflektiert Verwendung. Leider ist darüber hinaus das zur zeitlichen Einordnung wichtige Entstehungsdatum der Photographien nicht durchgängig ausgewiesen und viele zeitgenössische Bilder und Grundrisse werden statt der ursprünglichen Quelle nur pauschal dem „Archiv“ des Autors zugeschrieben. Generell hätte die verstärkte Abbildung von Plänen und Grundrissen zu mehr Anschaulichkeit geführt, insbesondere bezüglich größerer Bauvorhaben wie der Reichskanzlei oder des Verwaltungszentrums am Fehrbelliner Platz. Zuletzt ist die vom Ortsteil Mitte spiralförmig ausgehende Anordnung der Beispiele nicht ohne weiteres nachvollziehbar, zumal der Ostteil der Stadt erkennbar unterbelichtet bleibt.
Gerade durch die vielen Abbildungen und die anschauliche Sprache weckt Donaths Buch nichtsdestotrotz Interesse an diesem wichtigen Thema der Berliner Stadtgeschichte und lädt ein zu architekturhistorischen Exkursionen durch die verschiedenen Bezirke, auf die sich der Leser anhand der beigefügten praktischen Informationen zur gegenwärtigen Nutzung der Gebäude, zur kartographischen Lage und zur Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch sehr gut vorbereiten kann. Das Buch selbst sollte man allerdings angesichts seines unhandlichen Formats und nicht unbeträchtlichen Gewichts beim Ausflug dann doch besser zu Hause lassen.[3]
[1] Vgl. zu den Bauten in der „Hauptstadt der Bewegung“ München z.B. Winfried Nerdinger (Hg.): Bauen im Nationalsozialismus. Bayern 1933 – 1945, München 1993, sowie http://www.denkmaeler-muenchen.de/ns/index.php
[2] Vgl. dazu ausführlich etwa Hans J. Reichhardt/Wolfgang Schäche: Von Berlin nach Germania. Über die Zerstörungen der „Reichshauptstadt“ durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen, Berlin 1998.
[3] Für unterwegs eignet sich besser die Kurzfassung des Buches, die im selben Verlag erschienen ist: Bunker, Banken, Reichskanzlei - Architekturführer Berlin 1933-1945, Berlin 2005. Vgl. auch den deutlich handlicheren, aber weniger substanziellen Stadtführer von Maik Kopleck: Berlin 1933 - 1945. Past-Finder: Stadtführer zu den Spuren der Vergangenheit, Berlin 2004.