„Zu den besonderen Eigenschaften von Beamten gehört ja die Vermehrung,
wo gestern noch zwei saßen, sind morgen schon drei und in einem halben
Jahr vielleicht sogar schon vier anzutreffen. Bei der Staatsanwaltschaft
bei dem Landgericht Berlin gab es zu meiner Zeit zwölf Abteilungsleiter,
die Zahl hat sich seither mindestens vervierfacht.“
Das ist nur einer der höchst unterhaltsamen kritischen Gedankensplitter
des Moabiter Ex-Amtsrichters Rüdiger Warnstädt. Was passt besser
zu einem Berliner (oder Provinzler mit Berlin-Faible) als ein vergnüglich
zu lesendes Buch, in dem es um Berliner Politiker, Beamte und Schwerenöter
geht? Die Berliner Schwerenöter, also die sogenannten Gesetzesbrecher,
kommen in diesem Buch wesentlich besser davon als Politiker und Beamte. Denn
Rüdiger Warnstädt, der während seiner Amtszeit als „Deutschlands
originellster Richter“ schon kaum einer Autorität Respekt zollte,
zieht nun richtig vom Leder.
Unlängst erschien im Verlag Neues Leben eine köstliche Sammlung
von achtzig Original-Strafurteilen dieses Herrn Warnstädt, der seinen
verdienten Ruhestand unter anderem mit dem Verfassen von Büchern verbringt.
Aus dem zweiten, vorliegenden Buch, „Herr Richter, was spricht er?“ erfährt
der Leser weit mehr über die Person, die hinter den Urteilen steckt:
unseren Herrn Warnstädt selbst. Wo er geboren, in Berlin natürlich,
wo er aufgewachsen, herumgekommen und wie er sich durchgeschlagen und gemogelt
(ja, auch das, zum Beispiel mit einem simulierten Herzfehler, aber dem Herzen
auf dem rechten Fleck!) und sich den Aufstieg versaut hat. Denn eines zeichnet
den Menschen Warnstädt vor allem aus: Aufrichtigkeit. Anderen gegenüber,
aber vor allem sich selbst. Und das ist arg selten. Gerade als Träger
einer schwarzen Robe wirkt er so seltsam unverdorben. Wie hat dieser Mann
es geschafft, all die Jahre seinen Humor und seine Dreistigkeit im Sinne
der Angeklagten nicht zu verlieren? Vor allem wahrscheinlich durch ein überdeutlich
ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, unabhängig von Instanzen
und Rängen.
Und durch das Fehlen von Eitelkeit. Wie nebenbei lässt der opernsüchtige
Ruheständler durchblicken, dass Orden für ihn nicht mehr als ein
Haufen Blech seien, dass Autofahren in einer Metropole an Schwachsinn grenzt,
dass tennisspielenden Beamten ein Strich durch die Rechnung gemacht werden
muss, dass alle Politiker außer Frau Weiss (derzeit Kulturstaatsekretärin)
ausschließlich an sich selbst denken, dass immer wieder böse Buben
aus dem Gewahrsam entschlüpfen werden … und so weiter.
Dieses Buch, man könnte es eine „wahrhaftige Anekdotensammlung“ nennen,
vereint neben den biografischen und amthistorischen Ausflügen Warnstädts
natürlich auch Fallbeispiele aus den Jahrzehnten seiner Amtszeit. Da
wird von einem folgenreichen Tomatendiebstahl erzählt, einem Studenten,
der zweimal dieselbe Prostituierte mit einem gefälschten Fuffziger zu
entlohnen gedachte … es ist alles dabei, traurige und lustige, immer bewegende
Geschichten, deren Ausgang zunächst ungewiss ist.
Und Warnstädt? Er führt niemanden vor, er hat Verständnis.
So lehrt er uns das Verstehen und das Wohlwollen für Berlin und seine
Menschen, nebst Oper und Hoftheater!