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Januar 2005
Dominik Rigoll
für satt.org

Spitzel. Eine kleine Sozialgeschichte
hg. v. Markus Mohr u. Klaus Viehmann
Assoziation A, Berlin/Hamburg 2004
256 Seiten, 18 €
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Spitzel
Eine kleine Sozialgeschichte


In den Wochen nach dem Mord an dem niederländischen Filmemacher, von dem es hieß, er beschimpfe Moslems ab und an als "Ziegenficker", machte in Deutschland eine andere, ähnlich fiese – wie soll man es nennen? Verallgemeinerung? – die Runde. Irgendwo in Kreuzberg, vielleicht auch in Neukölln, hatte sich ein Imam erdreistet, vor versammelter Gemeinde darauf hinzuweisen, dass Ungläubigkeit und Dekadenz nur zwei der insgesamt drei Dinge seien, die die deutschen Christen vom Durchschnittsmoslem unterscheiden. Bekanntermaßen war seiner Meinung nach das dritte Distinktionsmerkmal der Gestank, der davon kommt, wenn man sich zu selten unter den Achseln wäscht. Das ist natürlich an sich schon ziemlich lustig. Amüsant ist es auch, wenn man sich vergegenwärtigt, wie das Landesamt für Verfassungsschutz, das die Information über den verallgemeinernden Prediger an den Senator für Inneres weiterleitete, vermutlich indem es irgend so ein Wichtigtuer dem Körting beim Mittagessen in der Kantine brühwarm erzählte, von der Sache Wind bekam. Ganz genau. Ein Spitzel. Womöglich mit angeklebtem Schnurrbart, wie Ben Stiller in Starsky & Hutch.

In dem von Markus Mohr und Klaus Viehmann herausgegebenen Sammelband sind die Undercover-Leute mit angeklebtem Schnurrbart nur eine Spitzelsorte unter vielen. Adolf Hitler zum Beispiel hatte schon einen, als er als abgehalfterter Landser damit anfing, für den bayerischen Staatsschutz das rechtsextreme Milieu des Freistaats zu observieren, der zu diesem Zeitpunkt übrigens sozialdemokratisch regiert wurde. Dafür nahm er auf Kosten der Steuerzahler Kurse in Rhetorik, um nicht nur überwachen, sondern auch agitieren zu können, wenn sich die Gelegenheit bot. Hitler war Spitzel und agent provocateur zugleich, wie man das heute auch von rechtsextremen V-Leuten kennt. Oder von S-Bahn-Peter, der seinerzeit vor dem Springer-Hochhaus die Mollies verteilt hat, ja, sogar als erster geworfen haben soll, und so das ganze Achtundsechziger-Ding überhaupt erst ins Rollen brachte.

Die meisten anderen Spitzelgeschichten sind weniger spektakulär. Überhaupt färbt die Tatsache, dass ein Spitzel, wie es in der Einleitung heißt, "aus der Perspektive aller Beteiligten einfach das allerletzte ist", auf das Lesevergnügen ab. Es macht ehrlich gesagt wenig Spaß, nachzulesen, wie Spitzel zu preußischen Geheimräten aufsteigen, sich ihre NPD-Parteiarbeit bezahlen lassen, Antirassismusgruppen unterwandern oder im AStA Hannover gegen die Expo 2000 mobilisieren. So ziemlich das mieseste in dieser Hinsicht ist die Geschichte eines Dresdner Stasi-IMs, der eine Karriere vom dicken, auf Partys schon von weitem gut erkennbaren FDJ-Ordner zur "zentralen und unangefochtenen Ansprechfigur" der Dresdner Alternativszene hinlegte. Ein Foto zeigt "Kiste", wie er wegen seines Leibesumfanges genannt wurde, im Einsatz. Jede Menge Bier auf dem Tisch, viele junge, langhaarige Leute drum herum, alle lächeln, gucken IM "Raffelt" an (man fragt sich, warum sie ihn nicht gleich IM "Kiste" genannt haben), als erzähle er gerade etwas Amüsantes aus seinem Leben. Es sieht wirklich aus, als hätten alle Spaß, könnten sich gut leiden usw.

Die Abscheu, die sich so bei der Lektüre einstellt, lässt sich zum Glück kompensieren. So ist es interessanterweise ein Genuss, die hier und da eingestreuten Textfetzen zu lesen, wo sozusagen über "den Spitzel an sich" theoretisiert wird. Abstrakt gesehen ist die Sache um einiges erträglicher. Zum Beispiel wenn Lenin darüber doziert, weshalb man "den Arbeitern einschärfen" müsse, "dass die Tötung von Spitzeln, Provokateuren und Verrätern zwar manchmal eine unbedingte Notwendigkeit sein kann, dass es jedoch äußerst unerwünscht und falsch wäre, daraus ein System zu machen." Ha! Gleichfalls Ablenkung von den "Lumpen und Schurken in Haufen" (Bebel) bieten die Beiträge mit "historiographisch-sozialwissenschaftlichem Zugriff" (Einleitung). Während Christine Daiminger in ihrem Beitrag "Zur Psychopathologie des Spitzels" letztlich mehr Fragen aufwerfen muss, als sie mangels aussagekräftigerer Quellen zu beantworten vermag, geht es in Brigitte Lenels Portrait des "Urspitzels" Judas Ischariot dank Bibelexegese und Lucas Cranach d. Ä. fast schon zu wie in der Neuen Zürcher Zeitung. Wem das immer noch nicht reicht, kann auf S. 151ff. nachlesen, was im Mai 1981 dem Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz widerfuhr, dessen Himmelfahrtskommando darin bestand, den Werkzeugmacher Peter Jaszczyk, seines Zeichens Bezirksvorstandsmitglied der DKP, als V-Mann anzuwerben. Der Text heißt "Wie Regierungsamtmann Siegfried Köntgen im tiefsten Bottrop die Hose runterlassen musste" und bietet neben viel nackter Haut auch jede Menge Action.