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Dezember 2002
Frank Willmann
für satt.org




29.11.2002, SEZ Berlin

Kampf um die Deutsche Meisterschaft der Berufsboxer im Supermittelgewicht zwischen Andy "The Sound" Liebig aus Berlin und Jürgen "The Rock" Hartenstein aus München.

Fotos von
Roger Bach

Hey Mizzy, du musst ihm voll in die Fresse hauen!


Das ist die Art Gewalt, die wir sehen wollen. Jenny drückt sich an mich. Wir zwei sitzen gebannt in der zweiten Reihe einer zur Boxkampfarena umgebauten Sporthalle.
Gepflegtes Profi-Boxen ist heute Abend im Sport- und Erlebniszentrum Berlin angesagt. Das Viking Winner Boxteam Winfried Spierings hat geladen, uns mit Faustkampf die Berliner Nacht zu versüßen. In einer Reihe von Kämpfen, deren Höhepunkt der Kampf um die Deutsche Meisterschaft im Supermittelgewicht zwischen Andy "The Sound" Liebing und Jürgen "The Rock" Hartenstein ist, ringen zähe Vertreter des männlichen Geschlechts um den Siegerkranz. Eine Menge Berlinvolk hat sich eingefunden, immerhin tausend Menschen wollen den Boxern dabei zuzuschauen, wie die sich auf die Köpfe hauen.
 Boxer im Wind
Das Nummerngirl
Propper gegen Propper

Im Publikum überwiegt der Typus des mannhaften, polierten Glatzenträgers, die Damenwelt zeigt sich in der Mehrheit als falsche Blondine, die keine Gelegenheit auslässt, ihre ranken Glieder auf einer Sonnenbank zu rösten.
Der als Co-Moderator und Pausenclown angekündigte Schauspieler Klaus Löwitsch, welcher in seiner Freizeit auch gern mal zulangte, sagte wegen Unpässlichkeit ab, für ihn sprang ein dickliches Sat1-Sternchen mit der Lizenz zum Brüllen ein. Dieser mimischen Hilfskraft oblag es fortan, gemeinsam mit dem professionell auftretenden Ringsprecher Andre Reiser, uns durch den Abend zu geleiten.

Die Spannung wuchs, als die Glocke den ersten Kampf einläutete. Neugier, Voyeurismus, die pure Lust, Männern bei einer Schlägerei zuzusehen, vereinte uns fortan mit der Masse des Publikums. Bis zum Hauptkampf durften wir einige Kämpfe in diversen Gewichtsklassen erleben, die vorwiegend der boxerischen Volksschule entsprachen. Als erste traten zwei mickrig scheinende Krieger Neuköllns in den Ring, die dennoch von Anbeginn hart zur Sache gingen und ordentlich austeilten.
Und es währte nicht lang, bis sich die ersten Zwischenrufer durch fachgerechte Kommentare zu Wort meldeten: "Hey Mizzy, du musst ihm voll in die Fresse hauen!". Es sei jedoch gesagt, das Auditorium war mit Fachkräften der Boxszene angereichert. Hinter uns saß eine Riege alter TSC-Grössen, die durch pointierte Bemerkungen die Kämpfe tatsächlich erfrischend kommentierten. Assistiert wurden Sie von etlichen türkischen und albanischen Truppenteilen, die desgleichen das eine oder andere den gesamten Box-Abend über lautstark mitzuteilen hatten.

Im dritten Kampf, der anfangs wie ein Ringkampf wirkte, sahen wir einen aggressiven Stettiner Moppel, der schon in der 2. Runde sachgemäß von seinem Gegenüber ins Land der Träume geschickt wurde. Im vierten Kampf nörgelten die Türken hinter uns: "Isch reiss dich Kopp ab" wegen des miesen Boxstils der beiden schwergewichtigen und stark tätowierten Kombattanten im Ring, die mehr durch "böse gucken" als boxerische Klasse beeindruckten. Doch da einer der beiden Kämpen zur Klasse der Goldkettchenträgerzunft mit starkem Hang zum Nachtleben gehören schien, umwogte ihn eine heftiges Maß an Applaus, als er mit einem Unentschieden nach Hause geschickt wurde.
Im fünften Kampf schrie ein tschechischer Tänzer schon in der zweiten Runde "Aua", hielt sich ein Körperglied und trabte von dannen. Im sechsten Kampf gab es endlich etwas boxerisches Können zu sehen, als ein athletischer Boxer aus Greifswald ohne Getue und im sehr ökonomischen Stil der alten DDR-Schule einem tschechischen Boxfreund in der zweiten Runde Gelegenheit bot, die Stabilität des Ringbodens zu prüfen.

Hupfdohlen im Ring


Der siebte Kampf ging. Nach ihm gab’s eine Pause mit Tanzeinlagen, am Pausenende eilten einige leichtgekleidete Frauenzimmer zum Ring, deren Obliegenheit in erster Linie darin bestand, Fleisch zu zeigen und auf eine Table-Dance-Bar hinzuweisen. Wenigstens brüllte uns solche Botschaft fortan permanent das Sat-1-Sternchen, meist angereichert mit einem Alt-Herren Spaß, um die Ohrmuscheln.

Erwartungsfroh sehnten wir jetzt den Hauptkampf des Abends herbei, versprach er doch ein deftiges Schauspiel aus Blut, Schweiß & Tränen, welches uns die harte Schule des Lebens in Erinnerung rufen sollte.
Doch vorm Hauptkampf verkloppte noch ein polnischer Schutzmann - im Nebenberuf der Schwergewichtsboxer "Wolle" - einen unglückseligen rumänischen Mitmenschen. Als der wie eine spröde Eiche fiel, tobte das Volk und schrie nach Wiederholung des Akts.

Hauptkampf
Der Sieger
Die Last des Sieges

Diese blieb aus, denn der Hauptattraktion kündigte sich an. Die DDR-Nationalhymne dröhnte aus den Boxen und kündete vom Ruhm des Deutschen Titelverteidigers, des Berufsboxers Andy "The Sound" Liebig. Kein geringerer als Jürgen "The Rock" Hartenstein hatte es auf die Krone des Champs abgesehen, trotzig trabte Jürgen in die rote Ecke und zeigte Gebiss. Andy, im Hauptberuf Schornsteinfeger, posierte astral in der blauen Ecke.
Nach einigem Salbader, dem Abspielen der augenblicklichen deutschen Nationalhymne und der Approbation der Nummerngirls, moussierte dann endlich die Glocke zum ersten Gang des auf 10 Runden angesetzten Kampfes.

Mit gepflegtem Tänzeln und viel Beinarbeit machte sich Andy sogleich ans Werk. Jürgen schien zu Kampfbeginn etwas verkrampft, hielt keinen Trab und steckte anfangs einige herbe Schläge aufs Epizentrum ein. Die ersten vier Runden gingen eindeutig an Andy, der die Obliegenheit cool anging, seinen Rivalen schwindlig tanzte, bis dieser es mit einer Ringereinlage versuchte. Die bescherte Jürgen wenig Vorteil, der Ringrichter mahnte sanft und die Zuschauer waren nach kurzer Zeit ganz auf Andys Seite. Er bot das bessere Boxen. Neben uns saß der direkte Nachfahr des vampirischen Grafen Dracula. Ein wirklicher Prinz und Schlossbesitzer aus Transsilvanien, der noch durch keine Regung gezeigt hatte, dass Leben in ihm steckte. Selbst er zupfte billigend seinen Bart, als Andy seine Schlagkaskaden auf den Schädel des Herausforderers trommelte. Kurzum, Jürgen hatte nach der Hälfte des Kampfes nicht den Hauch einer Chance. Auch wir kamen in der 6. Runde voll auf unsere Kosten, da endlich Lebenssaft floss.

Die beiden Recken gerieten unglücklich mit den Scheiteln aneinander. Andys Kopf wies eine ordentlich quellende Wunde auf. Der Kampf wurde abgebrochen, Andy gerechterweise zum Sieger nach Punkten erklärt. Jürgen trabte eingeschnappt und unbeachtet in seine Kabine. Andy zeigte Statur, Jubel brandete auf. Andy bekam Lorbeer und Siegergürtel, ward zufrieden und meinte abschließend: "Watt soll ick dazu sagen?"