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4. Juni 2025
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Wedding Banquet (Andrew Ahn)


The Wedding Banquet
(Andrew Ahn)

USA 2025, Buch: Andrew Ahn, James Schamus, Kamera: Ki Jin Kim, Schnitt: Giraud Brisson, Musik: Jay Wadley, Kostüme: Matthew Simonelli, Production Design: Charlotte Royer, Set Decoration: Josh Plaw, mit Bowen Yang (Chris), Lily Gladstone (Lee), Kelly Marie Tran (Angela Chen), Han Gi-Chan (Min), Joan Chen (May Chen), Youn Yuh-jung (Großmutter Ja-Young), Bobo Le (Kendall), Camille Atebe (Monica), Jeffrey Liang (Lady Shu Mai), Emma Yi (Lawyer Sun), Francoise Yip (Susan), Marlee Walchuk (Marge), Edith Simone Morales Sen (Shanti), 103 Min., Kinostart: 5. Juni 2025

Über Ang Lees The Wedding Banquet von 1993 (er gewann damit den Goldenen Bären in Berlin und begann (nach einem wenig bekannten Debütfilm) quasi seine Regiekarriere, die uns u.a. Sense and Sensibility (der, für den Emma Thompson den Drehbuchoscar gewann), Crouching Tiger, Hidden Dragon, The Ice Storm, Life of Pi, The Hulk oder Brokeback Mountain bescherte). kann ich gut 30 Jahre später exakt nichts mehr sagen. Ich habe so ein vages Gefühl, dass ich den im Bremer Steintor gesehen habe und will nicht ausschließen, dass ich mit Mitte 20 und einer noch eingeschränkten Perspektive auf queeres Kino und asiatische Migration in Amerika nicht alle Nuancen verstanden habe. (Mittlerweile ist das besser geworden, aber ich bin natürlich trotzdem noch ein Außenseiter, der zwar eine gute handvoll LGBT-Bekannte hat und eine Menge asiatische (aber vor allem japanische und koreanische Filme) gesehen hat - aber gerade in der Kombination ist das weder das prägnante Genre noch mein tägliches Umfeld.)

Auf einen konkreten Vergleich zum Originalfilm darf man also nicht hoffen.

Aktuell binde ich mir auch keine detaillierten Inhaltsangaben ans Bein, weil das weder für mich interessant ist noch Filminteressierten den Einstieg in einen Film in einer Art erleichtert, der dem Film nicht die Möglichkeit verwehrt, seine Geschichte so zu erzählen, wie die Macher es wünschen. Zu dem Thema weise ich immer auf die gräßlichen Filmtrailer hin, die bereits die klar als Überraschung inszenierten Szenen ausplaudern. Und auf die Medien, die bestimmte Themen bis ins Detail ausdiskutieren. Als ich damals Brokeback Mountain sah, hatte ich von der Berichterstattung aus Cannes (oder wo der lief) kaum etwas mitbekommen, wusste zwar, wer da mitspielt und Regie geführt hatte, aber in Deutschland gab es vermutlich nur wenige Kinogänger, die so wenig über die Handlung wussten wie ich. Und wenn man nicht die eigene Filmauswahl auf bestimmte Warnungen auslegt ("Warum hat mir denn keiner gesagt, dass Leo am Schluss stirbt?" --- "Herrjeh, die singen ja alle!"), ist das der beste Weg, einen Film zu sehen.

Selbst, wenn man ins Kino geht und nur weiß, der Regisseur heißt M. Night Shyamalan (vorausgesetzt, man kennt diesen Namen), schaut man den Film ja bereits mit ganz anderen Augen, weil es (in diesem Beispiel) dann quasi um einen Wettstreit darum geht, ob man den obligatorischen Twist frühzeitig erkennt... (Zur Beruhigung: in The Wedding Banquet gibt es keinen Twist dieser Art.)

The Wedding Banquet

Foto: Luka Cyprian © Bleeker Street

In diesem Remake, das laut Aussage des Regisseurs übrigens keines ist (weil gewisse Dinge sich seit 1993 sehr verändert haben und man auch unterschiedliche Themen bearbeitet), hatte ich also nur eine vage Erinnerung an die Themen des alten Films und nutzte die erste halbe Stunde vor allem, die Protagonisten und ihre Besonderheiten kennenzulernen.

Das zunächst gemächliche Erzähltempo ist super, am spannendsten fand ich dabei die reaction shots von Angela Chen (Kelly Marie Tran, der auffälligste Beitrag zu Diversität in der letzten Star Wars-Trilogie), wann immer ihre Mutter (Joan Chen, für mich immer noch die Exotin aus Twin Peaks) auftaucht. Man weiß nicht genau, was zwischen diesen beiden schief gelaufen ist, ob es eine Opfer-Täter-Dichotomie ist oder nur um ein Missverständis handelt, aber man ist neugierig, was da läuft.

The Wedding Banquet

Foto: Luka Cyprian © Bleeker Street

In dieser Art entwickelt sich der Film dann auch. Die Beziehungen zwischen den vier, fünf (später sechs und sieben) wichtigsten Figuren kristallisieren sich langsam heraus, mir hat wie gesagt sehr gefallen, wie das Erzähltempo den Film und seine Entfaltung unterstützt, auch, weil man zunächst ein warmes "Familiengefühl" entwickeln kann, ehe sich alles in einer sehr quirlige Komödie entwickelt, in der aber das Thema "Familie" dann doch wieder in den allmählichen Fokus rutschen kann. Das war hier sehr schön gemacht.

An dieser Stelle des Textes habe ich zwischendurch die Kritik eines netten Kollegen gelesen, der zufällig im Kino neben mir saß. Ich muss zugeben, dass ich mich mit seinen Texten nicht so gut auskenne, aber bei der Kritik zu diesem Film war vor allem auffällig, wer sein Auftraggeber war. Für diese Firma hatte ich auch ein paar Jahre lang Kritiken geschrieben, und offensichtlich weiß er besser als ich die Vorgaben einzuhalten. Zwar erkannte ich noch seine persönliche Note, aber diese ganze detailierte Inhaltsangabe und die Spoileranfälligkeit im "Dienste" der zu informierenden Leserschaft (Filmkritik als Verbraucherservice) versaute mir etwas die Laune.

(Sogar so sehr, dass ich jetzt auch die anderswo übliche Parade des tollen Schauspielensembles (nebst peinlich akkurater ethnischer Verortung) einfach weglasse. Und das trotz Lily Gladstone (oscarnominiert für Killers of the Flower Moon) und der kolossalen Youn Yuh-jung (Oscar-Gewinnerin für Minari))

Kurzes Luftholen.

Okay, es gibt in diesem Film eine Szene, an der sich das Publikum spalten wird. Aus dem Gespräch nach dem Film mit ein paar Kollegen (war tatsächlich keine In dabei, also schreibe ich es auch nicht so) weiß ich z.B., dass die Glaubwürdigkeit der Figuren durch diese Szene gelitten hat. Weiter ins Detail will ich da nicht gehen...

The Wedding Banquet

Foto: Luka Cyprian © Bleeker Street

In diesem Fall sehe ich das Problem der Szene, verstehe aber, inwiefern sie für die gesamte Geschichte wichtig ist. Natürlich ist es möglich, den Film auch ohne diese Szene zu gestalten, aber es wäre ein anderer Film. Und im Gegensatz zu ein paar meiner Kritikerkollegen finde ich nicht, dass der Verzicht auf die Szene automatisch zu einem besseren Film führen würde. Denn für das Komödien-Genre in seiner besonderen Ausprägung sagt die Szene und der ganze Rattenschwanz, der damit zusammenhängt, auch viel darüber aus, wie viel Zeit zwischen dem Originalfilm und dem Remake vergangen ist...

Und wie man trotz der gelungenen Bearbeitung für eine andere Zeit, eine gewandelte LGBT-Community usw. trotzdem auch daran erinnert, was einst alles schief lief in Komödien à la Charlies Tante, bei den ungeschriebenen Story-Gesetzen von schwulen Figuren im heteronormativen Mainstream usw.

Wenn man mit dem ganzen Mist aufgewachsen ist und erst nach und nach begriffen hat, wie falsch das war (dies betrifft diverse Dinge, die in den 1970ern noch ganz "normal" waren, heutzutage aber "no go"), dann kann man auch eine gewisse altersmilde Nostalgie entwickeln.

The Wedding Banquet

Foto: Luka Cyprian © Bleeker Street

Meines Erachtens begeht The Wedding Banquet nicht den Fehler, alte Fehler zu wiederholen. Ganz im Gegenteil: ich nehme das so wahr, dass der Einfluss des alten Co-Autoren James Schamus womöglich dazu führt, dass man eben nicht alles vergisst, was einst gesellschaftlich kein wirkliches Thema war und stattdessen eine "schöne neue Welt" propagiert, die eben noch nicht so etabliert ist, wie es dargestellt wird.

Ich muss da ein bisschen ausholen und entferne mich vom Film, aber ich muss halt keinem Auftraggeber "zuarbeiten" und genieße das auch mal. Wenn man heutzutage eine standardmäßige Fernsehwerbung für so was wie z.B. Amazon sieht, denn erkennt man die ganze hübsche adrette Diversität. Wo in den 1970ern die blonde Hausfrau, ihr gutsituierter Gatte und zwei gut erzogene Kinder beim Otto-Versand bestellt hätten, hat man jetzt eine Patchwork-Familie mit bspw. einem jungen aktiven Rollstuhlfahrer, einer vage angedeuteten lesbischen Tante und vielleicht einem wunderschönen Adoptivkind mit karamelfarbigem Hautton. Ich weiß nicht, wie Millennials das wahrnehmen, die damit aufgewachsen sind, und höchstens mal zum Abschrecken auf Youtube eine Zigarettenreklame aus den 1950ern anschauen. Aber mir ist bei einer solchen hübsch diversen "Auswahl" für die Medien immer sehr klar, das Rassismus, Homophobie und die anderen längst nicht getilgten menschlichen Nicklichkeiten dennoch sehr existent bleiben und sogar im Marketing eine klare Rolle spielen. Denn so politisch korrekt viele Marken auftreten, natürlich will niemand die RassistInnen etc. als Käuferschicht verlieren.

The Wedding Banquet

Foto: Luka Cyprian © Bleeker Street

Und an solche Dinge muss ich auch bei so einer explizit diversen und zeitgemäßen Komödie denken, die sich den Luxus leistet, nicht alles glattzubügeln, sondern es lieber riskiert, ausgerechnet beim Zielpublikum unangenehm aufzufallen.

Und deshalb schließe ich diesen irgendwie sehr konfusen Text mit ein paar Filmzitaten, die diesen von mir vermuteten Geist durchblicken lassen:

"Queer theory takes the fun out of being gay."
"We really have to talk about it, you can't cute your way out of this."
"Li is not anti-wedding, she is anti-institution, but pro-celebration."

Und beim Durchforsten meiner Notizen fällt mir dann noch etwas ein, was ich loswerden will: Es gibt im Film eine späte Erkenntnis, die kompliziert ausformuliert werden muss. Was hat die Kunst von Min mit seiner Ersatzfamilie zu tun usw.? Es mag vermessen wirken, aber für mich wirkte das so, als hätte man in der frühen Drehbuchphase das Thema "Patchwork" ganz klar in den Fokus gestellt, sich dann aber entschieden, das Wort selbst nie zu benutzen. Das hat auch irgendwas damit zu tun, welche Schwächen und Stärken ich im Film ausgemacht hat, aber ich habe keine Lust mehr, da jetzt noch zwanzig Minuten länger zu quatschen. Das darf man dann meinetwegen nach dem Film diskutieren :-)