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26. Juni 2025
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Mädchen Mädchen! (Martina Plura)

Mädchen Mädchen!
(Martina Plura)

Deutschland / Österreich 2025, Buch: Katharina Kiesl, Kamera: Martina Plura, Schnitt: Christoph Strothjohann, Musik: Freya Arde, Kostüme: Anisha Stöckinger, Production Design: Anette Ingerl, mit Kya-Celina Barucki (Inken), Nhung Hong (Lena), Julia Novohradsky (Vicky), Henning Baum (Gero), Anna König (Kristin), Zoë Pastelle Holthuizen (Cheyenne), Yoran Leicher (Flin), Jamie Lee Williams (Nick), Jason Klare (Tim), Victor Kadam ("Schädel"), Annette Frier (Ärztin), Felix Oitzinger (Hunde-Marek), Rania Ben Fattoum (Vanessa), Edith Simone Morales Sen (Shanti), 93 Min., Kinostart: 3. Juli 2025

Ein Remake kann ökonomische Ziele haben, meist soll es also vorrangig einfach Geld einspielen (isso!). Für mich persönlich zählen leider vor allem die künstlerischen Aspekte.

"There must be an Angel" von den No Angels (jaja, bei Musik spricht man von Cover-Versionen, aber es ist ja exakt die selbe Kiste) mag hinreichend Umsatz gemacht haben, aber es ist nicht mal im Ansatz eine Ergänzung zur Musikgeschichte.

Entsprechend kann man bei Mädchen Mädchen! konstatieren, dass ein alter Stoff hier ein neues Publikum finden wird, aber es fällt mir schwer, dem Ganzen positive Aspekte abzuringen.

Der alte Film vom Beginn dieses Jahrtausends war jetzt auch keine große Filmkunst, aber zumindest ein Spiegel der kulturellen Entwicklung seiner Zeit (Girl Power und so). Und er hatte Karoline Herfurth in ihrer ersten großen Kinorolle!

Mädchen Mädchen! (Martina Plura)

© Constantin Film-Verleih / Petro Domenigg

Bei der Neuverfilmung gibt es drei große Veränderungen: man ist jetzt dezidiert divers, inklusiv - und Smartphones spielen eine Rolle. Aber reicht das jetzt schon in Sachen Alleinstellungsmerkmale und als Existenzberechtigung? Über unterschiedliche Auslegungen, was politisch korrekt ist, war oder sein wird, mag ich mich nicht abmühen, der Film liefert aber einen gewissen Spagat, wenn es darum geht, wie unglaublich naiv man 17jährige Mädchen darstellen kann, ehe sie dann (mithilfe des Internets) in kürzester Zeit zu quasi-feministischen Sprachrohren mit einem sexuell erfüllten Beziehungsleben heranreifen.

Die ErklärbärInnen-Aspekte des Films kann man meinetwegen abfeiern (Nicht die Feministin ist verklemmt, sondern die Gesellschaft in der sie lebt 4.0), aber der bloße Umstand, dass diesmal eine Frau Regie führt, ändert jetzt nicht SOO viel an der Kernaussage des Films.

Aus heutiger Sicht ist der Original-Film suboptimal gealtert (ich lehne mich mal weit aus dem Fenster: besonders für Leute, die damals noch nicht geboren waren), aber die Naivität im Kern ist halt nur etwas aktualisiert worden. (Mir ist übrigens erst jetzt aufgefallen, dass beim Original ein Ausrufungszeichen zum Titel gehört - das ich habe ich gut zwei Jahrzehnte komplett ignoriert... und beim aktuell besprochenen Film war der Text schon zwei Wochen fertig, als ich bemerkte "Da ist ja auch ein Ausrufungszeichen! Warum nehme ich die Dinger verdammt nochmal nicht wahr?" - und habe dann die Dinger überall ergänzt)

Mädchen Mädchen! (Martina Plura)

© Constantin Film-Verleih / Petro Domenigg

Ich habe schon einige Generationen von Komödien, die sich um erste sexuelle Erfahrungen etc. drehen, miterlebt (Little Darlings, Porky's, American Pie und Sommersturm sind nur einige, die stärker im Gedächtnis blieben), aber die tatsächlichen kulturellen Umwälzungen spiegelt der zum Teil in dieser Hinsicht ambitionierte neue Film auch nur im Ansatz.

Bei vielen Aspekten der Sexualität weiß ein 11jähriger (oder auch eine 11jährige) heute deutlich mehr als einE 14jährigeR zu meiner Zeit (ich wurde im Oktober 1981 14).

Aber um das Handlungsgerüst des alten Films nicht komplett über den Haufen zu schmeißen, ignoriert man das größtenteils. Das kann man gut mit der Mobberin Cheyenne erklären, die der Erzählerin Inken erst ewig (gefühlt und nacherzählt) das Leben zur Hölle macht, ehe sie dann zur "Erleuchtung" gelangt und plötzlich ein besserer Mensch wird. Man betrachtet diese Wandlung nur von außen, wo ihr Coming-Out in mindestens zweierlei Hinsicht wirklich spannend sein könnte - aber die Filmemacherinnen haben sich dann irgendwie entschieden, dass diese komplette Fokus-Verlagerung nicht mehr der Film ist, den sie erzählen wollen (oder der das ansatzweise Potential für einen Sommer-Kassenschlager hat).

Das wäre, das muss ich zugeben, dann auch kein Remake mehr, aber ich finde es dennoch schade.

Mädchen Mädchen! (Martina Plura)

© Constantin Film-Verleih / Petro Domenigg

Die zunächst so perfekte (aber bösartige) Cheyenne kann pünktlich zum Abspann sogar über Rotz im eigenen Gesicht einigermaßen entspannt lachen (da musste ich tatsächlich kurz an die Farrelly-Brüder denken, die einstigen Großmeister der politisch inkorrekten Sex-Komödie), aber man erfährt kaum etwas über Cheyennes umfassende Veränderung, sie bleibt eine Außenstehende im Mädchen-Trio, ganz wie die Vorbild-Hetero-Freunde Nick und Flin. Alle drei love interests sind nur leicht ausgeschmückte Kulisse, und je genauer man drauf schaut, umso deutlicher sieht man, dass auch die Darstellung der drei Hauptfiguren sehr an der Oberfläche bleibt.

Und diesen (im Filmbusiness sehr verbreiteten) Trend kann man überall im Film wiedererkennen: an Henning Baums blondierten Haaren, an Lenas Mutter, und wie sie die Veränderung ihrer Tochter miterlebt, selbst an Annette Friers Tipps zum ehehygienisch korrekten Umgang mit Hunden aller Art. Man hat an den Gags gefeilt statt an den Figuren. (Nur Mutterersatz in spe Kristin war in jeder Hinsicht super!)

Mädchen Mädchen! (Martina Plura)

© Constantin Film-Verleih / Petro Domenigg

Zum ersten Film gab es ja sogar ein Sequel, und falls es zu einem Sequel des neuen Films kommen sollte (eher selten in der Filmgeschichte, dass Original und Remake beide ein Sequel erfahren, aber selbst The Pink Panther hat's gepackt), wäre eine Option, die den Film tatsächlich in neue Gefilde bringen könnte, folgendes: Die gleichgewichtig zum Heldinnen-Trio beantwortete Frage, wie eigentlich Cheyennes BFFs, die ungefähr nach 20 Minuten sang- und klanglos aus dem Film verschwinden, mit der Veränderung ihrer Queen Bee umgehen. Was sagen Shanti und Vanessa dazu, dass Cheyenne sich nicht nur als Lesbe outet, sondern auch plötzlich zum besseren Menschen wird*, sich für ihre früheren Vergehen entschuldigt usw.? Nutzen die beiden die Chance, daran ebenfalls zu wachsen? Wenn man das nuanciert behandelt, könnte das der Film werden, der mich viel mehr interessiert... Selbst ein Spinoff wie Rosenkrantz and Guildenstern are dead wäre eine passable Option...

*Implizit gibt es da einen kausalen Zusammenhang nach dem Motto "Queers sind die besseren Menschen", was aber wissenschaftlich IMHO nicht belegt ist.
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Apropos of nothing: die auffälligsten inszenatorischen Merkmale des Films waren für mich die Großaufnahmen zwischendurch (die Regisseurin führte auch Kamera): erstmals beim Kondom im Gras, ansatzweise am interessantesten bei den zwei 20-Euro-Scheinen, die auch etwas mehr erzählen wollten, es aber wohl nicht durch über die dritte Schnittfassung hinaus geschafft haben.

Wo mich das Set Design komplett rausgehauen hat: die beiden grenzwertigen Neon-Schriftzüge, die wie wall tattoos mit Rechtschreibfehlern* so richtig zum Fremdschämen waren... da darf mir gern jemand erklären, was das über die Figur Vicky aussagen soll (bei der Party-Beischlaf-Location habe ich eh nicht mitbekommen, wessen Bett das eigentlich sein soll).

*Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Rechtschreibfehler hatte ich nur erwähnt, um beim Vergleich den Grad der Cringität zu verdeutlichen. Auffällige Neon-Rechtschreibfehler gab es nicht, nur die Sprüche waren schon sehr daneben, und es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, wer da einige Scheine hat springen lassen, um mit solch einer Leuchtbotschaft sein Umfeld zu "verzieren". Verglichen damit hatten selbst die Motto-Shirts von "Schädel" fast noch (fragwürdigen) Charme. Nur Gelb-Schwarz als Farbkombi ertrage ich allerhöchstens bei Klebstoff und nützlichen Insekten... Schudder!