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19. Juli 2023
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Barbie (Greta Gerwig)


Barbie
(Greta Gerwig)

Originaltitel: Barbie, USA 2023, Buch: Greta Gerwig, Noah Baumbach, Kamera: Rodrigo Prieto, Schnitt: Nick Houy, Musik: Mark Ronson, Andrew Wyatt, Kostüme: Jacqueline Durran, Production Design: Sarah Greenwood, Supervising Art Directors: Andrew Max Cahn, Dean Clegg, mit Margot Robbie (Stereotypical Barbie), Ryan Gosling (Ken), America Ferrera (Gloria), Ariana Greenblatt (Sasha), Kate McKinnon (Weird Barbie), Will Ferrell (Mattel CEO), Connor Swindells (Aaron Dinkins), Helen Mirren (Narrator), Rhea Perlman (Ruth), Michael Cera (Allan), Issa Rae (President Barbie), Hari Nef (Doctor Barbie), Dua Lipa (Mermaid Barbie), Ritu Arya (Pulitzer Barbie), Emma Mackey (Nobel Prize in Physics Barbie), Alexandra Shipp (Author Barbie), Ana Cruz Kayne (Supreme Court Justice Barbie), Sharon Rooney (Lawyer Barbie), Molly Peyton White (Fashion Designer Barbie), Kingsley Ben-Adir, Simu Liu, Scott Evans, Ncuti Gatwa, Chris Taylor (diverse Kens), John Cena (Aquatic Ken), Emerald Fennell (Midge), Géraldine Chevalley (Tourist Barbie), Nicola Coughlan, Daniela Marin (Additional Barbies), 115 Min., Kinostart: 20. Juli 2023

In meiner Kritik zu Little Women, der zweiten Regiearbeit von Greta Gerwig nach Lady Bird, benannte ich zur Kernkompetenz der als Schauspielerin bekannt gewordenen Gerwig, dass sie es geschafft hat, zwei auf den ersten Blick unvereinbar wirkende Gruppen von Zuschauenden gleichzeitig zufriedenzustellen. Jene, die auf das kitschig-nostalgische (und reichlich veraltete) Grundmaterial abfahren, und jene, die sich dafür interessieren, wie man das Material hinterfragen kann, und im Leben und Werk der Louisa May Alcott feministische Tendenzen erkennen kann.

Dieser Ansatz wird im Grunde weitergeführt, nur dass der Spagat für den Beckenbereich der Idealfrau aus Kunststoff noch halsbrecherischer ausfällt (wer hier anatomische Grundbegriffe verletzt sieht, soll meinethalben annehmen, dass ich rein sprachlich den Gebärmutterhals im Hinterkopf gehabt habe).

Barbie (Greta Gerwig)

© 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Mein großes Problem ist hierbei, dass ich mich weder für die Kultur- und Produktionsgeschichte der wohl bekanntesteten Mattel-Kreation über Gebühr interessiere, noch, dass ich ein feministisches Traktat (dem ich generell nicht abgeneigt bin) in der Form eines schillernd-bunten Spielfilms, dessen ProtagonistInnen aus fleischgewordenen Spielzeugen und überzogenen Klischees bestehen, erleben möchte.

Zwar ist es durchaus reizvoll, wie Gerwig Barbie-Sammlern und -Sammlerinnen eine Fantasiewelt vorführt, wie man sie aus Kinderzimmern von Achtjährigen und geschätzt zwei Dutzend früheren Barbie-CGI-Filmen kennt, während sie gleichzeitig heruntergebrochene Feminismus-Diskussionen vorführt (und dabei allen Ernstes anstrebt, beide Zielgruppen bei Laune zu halten). Oder wie sie einerseits das Kommerzdiktat einer Spielzeugfirma erfüllt, dem geneigten Publikum aber gleichzeitig einen subversiven tongue-in-cheek-Humor bietet...

Nur... why should I care?

Barbie (Greta Gerwig)

© 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Die Faszination für Margot Robbie als Schauspielerin konnte sich bei mir nie entwickeln. Sicher ist sie die ideale Verkörperung dieser ach so emanzipierten Anziehpuppe mit dem freundlichen Dauerlächeln, aber das ist irgendwie auch die Eigenschaft der Darstellerin, die mich am meisten abstößt. Ob Harley Quinn oder Tonya Harding, die allzu typischen Rollen für Margot Robbie sind immer die einer (Fachterminus aus dem besprochenen Film) Weird Barbie oder einer Stepford Wife auf Acid.

Offenbar gibt es dafür ein Publikum, das vermutlich auch im Barbie-Film auf seine Kosten kommt, mir persönlich geht das komplett am Arsch vorbei. Selbst eine Marilyn Monroe, die in ihrer Karriere größtenteils ein blondes Dummchen darstellte (und das mit auf lange Sicht noch größerem Erfolg), hat für mich noch in ihrer blödesten Rolle mehr Menschlichkeit als Margot Robbie selbst in ihren rein handwerklich besten Schauspielmomenten. Es existiert offenbar eine große Fangemeinde für Figuren, die so verrückt sind wie die sprichwörtliche Scheißhausfliege, aber ich persönlich bin nicht versessen auf dieses groteske Schauspiel. Ich kann auch gern auf die 31. Erklärung verzichten, warum der Joker so wurde, wie er ist, oder worin die schweren Kindheiten von Hannibal Lecter oder Cruella De Vil bestanden.

Barbie (Greta Gerwig)

© 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Und auch Ryan Gosling, der einerseits nicht müde wird, im Film sein perfektes Sixpack zu präsentieren, andererseits aber das schwere Schicksal eines zum Accessoire verkommenen Spielzeugs lamentiert, ist trotz etwas lieblos hingeworfener Hamlet-Parodie und ausgefeilten Choreographien für mich keineswegs abendfüllend.

Ich anerkenne die zwei, drei kleinen Geniestreiche, die zwischendurch den Film bereichern. Ein bis zwei Aspekte eines Frauenlebens hängen durchaus mit dem Schicksal einer Barbiepuppe zusammen, die am besten im Zustand »near mint« im Karton bleiben sollte, durch deren Plastikfront man sie hinreichend betrachten und vorführen kann. Und Kens Situation im Barbieland ist eine verdrehte, ungewollt zynische Variation des Jochs des Patriarchats:

»Barbie has a great day everyday. But Ken only has a great day when Barbie looks at him.«

Derlei Erleuchtungen sind aber einfach nicht genug, um mein Gesamturteil dauerhaft zu erhellen, denn man darf das Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren. Ich habe Toy Story und The Lego Movie gesehen, und zu deren Prämissen kann Barbie nicht wirklich etwas hinzufügen. Im Gegenzug sind diese beiden Filme (und ihre vier bis fünf Sequels) aber deutlich unterhaltsamer als dieses auf seltsame Art durchaus ambitionierte pinke Pinke-Pinke-Experiment, und die unverzichtbaren filmischen Schritte auf dem Weg zum Barbie-Film liefern auch jeweils eine Handlung, die man bei Barbie allenfalls auf dem fantasievollen Level einer Acht- bis 14jährigen mit zu großer Barbie-Sammlung erleben kann. Ich erkenne auch die Unterstützung dabei durch umfassende Unterfütterung in den Filmtheorien von u.a. Richard Dyer (Entertainment and Utopia) oder Laura Mulvey (Visual Pleasure and Narrative Cinema), aber ich gehe im allgemeinen eben nicht mit dem Primärziel ins Kino, mich für eine Proseminararbeit inspirieren zu lassen (und zu meinen aktiven Studienzeiten war das nicht anders).

Barbie (Greta Gerwig)

Wer sich an Robbie und Gosling schier nicht sattsehen kann, gerne ein Wochenende über Feminismus diskutiert oder intimes Wissen über die absurdesten Produkte aus der Mattel-Geschichte zu den persönlichen Stärken zählt, der wird womöglich viel Spaß mit dem Film haben. Das will ich auch nicht in Abrede stellen.

Wer wie ich nur den Fehler gemacht hat, eine Kubrick-Parodie in einem frühen Trailer abzufeiern (die sich erstaunlicherweise 1:1 im Film wiederfindet), wird einzelne Momente ganz gelungen finden, während beispielsweise der Umstand, dass ein »Krieg der Kens« Szenen aus Saving Private Ryan, 300, Spartacus und dem Video zu Gangnam Style auf scheißhausfliegen-verrücktem Level mit ca. fünf beliebigen Western und drei Boygroup-Choreographien kombiniert, im Nachhinein nicht wirklich lang auf dem Arbeitsspeicher verbleiben wird. Das passt aber auch dazu, dass Barbie im Endeffekt als Figur den vielleicht umfassendsten Fortschritt darin erlebt, dass sie lernt, ein Getränk oral aufzunehmen, das nicht nur in der Fantasie existiert.

Sowas wie ein Fazit: Sind dies alles Fragen und Ansätze, die mich langfristig beschäftigen werden? Das muss ich leider vehement verneinen.

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Ken-Tweet

Typisch Kartoffelkopf von Kritiker:
Rummäkeln, aber für'n Vierteljahr 'nen Ken-Tweet angehoften haben.