Ron läuft schief
(Sarah Smith & Jean-Philippe Vine)
Originaltitel: Ron's gone wrong, USA 2021, Co-Regie: Octavio E. Rodriguez, Buch: Peter Baynham, Sarah Smith, Kamera: David Peers, Hailey White, Schnitt: David Burrows, Musik: Henry Jackman, Production Design: Nathan Crowley, Aurélien Predal, Art Direction: Karen deJong, Till Nowak, mit den Originalstimmen von Jack Dylan Grazer (Barney Pudowski), Zach Galifianakis (Ron), Kylie Cantrall (Savannah), Ricardo Hurtado (Rich), Ed Helms (Graham Pudowski), Olivia Colman (Donka), Rob Delaney (Andrew Morris), Justice Smith (Marc), Cullen McCarthy (Noah), Ava Morse (Ava), Marcus Scribner (Alex), Thomas Barbusca (Jayden), Sarah Miller (Bree), Bentley Kalu (Cop), Krupa Pattani (Sita), Megan Maczko (Miss Thomas), Ruby Wax (Ms Hartley), David Menkin (Shayne the Biker & Mr Cleaver), Iara Nemirovsky (Ellie), Sarah Smith, Jean-Philippe Vine, Octavio E. Rodriguez, David Burrows, Phil LaMarr u.v.a., 106 Min., Kinostart: 28. Oktober 2021
»Your best friend out of a box.«
So wird der B*Bot umworben, eine Art futuristische Mischung aus Furby und iPhone, der über seine globale Vernetzung aktiv dabei mitwirkt, seinem Besitzerkind (aus unerfindlichen Gründen sieht man im Film keine Erwachsenen, die mit solch einem Begleiter unterwegs sind) neue Freunde zu organisieren. Natürlich über ähnliche Interessengebiete, die wie bei herkömmlichen sozialen Medien über die Verknüpfung von Algorithmen schnell gefunden sind.
Barney Pudowski ist so ziemlich das einzige Kind weit und breit, das auf diesen »friend out of a box« noch wartet - und weil der Siebtklässler gerade Geburtstag hat, wagt er seine Hoffnungen hochzuschrauben. Über einige Umwege gelingt es seinem Vater, im Verlauf dieses Tages, seine Prinzipien zu überkommen und einen auf Wochen ausverkauften B*Bot zu besorgen - allerdings handelt es sich um »damaged goods«, bei einem Verkehrsunfall, in den Barney sogar unwissend verwickelt war, fiel der Karton sprichwörtlich vom Laster und hat fortan u.a. Probleme, sich mit dem Netz zu verbinden, wodurch die ganze Social-Media-Chose nicht funktioniert und nicht einmal die Standard-Sicherheitseinstellungen heruntergefahren werden können.
© 2021 Disney. All rights reserved.
Ron, wie Barney seinen wohlmeinenden, aber nicht nach Programm laufenden Begleiter tauft, ist zunächst eine Enttäuschung, derer Barney sich schämt. Auf dem Schulhof kann er sich mit dieser Peinlichkeit nicht sehen lassen. Doch nach und nach muss Barney erkennen, dass dieser »elektronische Rain Man« vielleicht eher einem echten Freund entspricht als all die aufgemotzten Tamagotchis, mit denen seine Klassenkameraden sich noch stärker von der Realität entfernen als herkömmliche Kinder, wie wir sie kennen.
So ist Ron zwar der Grund, warum die obligatorischen bullies sich besonders »hingebungsvoll« um Barney kümmern - er verteidigt ihn aber auch dagegen. Und zwar ziemlich eindrucksvoll, wie ein kleiner Yul Brynner, nur ohne die schwarzen Klamotten und nicht ganz so mörderisch.
Im Film geht es nicht nur um die üblichen Familienwerte und Freundesbotschaften, die jeder kindertaugliche Animationsfilm propagiert, hier werden auch die für Kinder und Heranwachsenden nicht so einfach zu verstehenden Kernprämissen der sozialen Medien verhandelt, wo steigende (virtuelle) Freundeszahlen oder Likes nicht immer ein Segen sein müssen. Im Kern durchaus ähnlich wie in Dave Eggers' Roman The Circle (in der Verfilmung ging einiges verloren), nur nicht so verstohlen satirisch, sondern mit einem Witz, den auch Kinder verstehen (etwa, wenn Ron ganz »Möchtegern-old school« Freundschaftsanfragen und Likes per Post-it verteilt).
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Die Parallelen zu The Circle werden noch augenfälliger, wenn man sich in der zweiten Hälfte des Film genauer mit den Verantwortlichen der Firma hinter den B*Bots beschäftigt, die auf den so harmlosen Namen »Bubble« hört und deren wirtschaftlicher Verantwortlicher Andrew Morris in nicht geringem Maße an einen Steve Jobs mit tropfenförmigen Bauchansatz erinnert. Es ist wenig überraschend, dass Andrew nicht wie sein Programmierer Mark vor allem davon träumt, jedem Kind einen tollen Freund und eine verbesserte Kindheit zu ermöglichen, sondern er weitaus mehr mit harten Dollars anfangen kann als mit dem notwendigen Zielpublikum und seinen Sorgen, Nöten und Wünschen.
(Natürlich kann man im Abspann des Films nachlesen, dass alle Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen rein zufällig sind. Auch wenn Bubble schon irgendwie a bisserl wie Apple klingt...)
Da mich die Figur des Andrew irgendwie interessierte, ist mir auch aufgefallen, dass seine Physiognomie erstaunlich stark der von Barneys Vater Graham ähnelt. Das mag einfach daran liegen, dass im Film gar nicht so viele männliche Erwachsene auftauchen (immerhin haben die Figuren unterschiedliche Sprecher), aber mich erinnerte das an die Doppelrolle von Lucius-Malfoy-Darsteller Jason Isaacs in der meines Erachtens besten Realfilm-Version von Peter Pan, wo dieser sowohl Captain Hook spielte als auch Peters Vater - und das hatte durchaus einen naheliegenden psychologischen Hintergrund.
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Ron's gone wrong dreht sich deutlich stärker um die Kinderfiguren als um die Erwachsenen, und im letzten Drittel des Films stellte dies für mich auch ein gewisses Problem dar. Während Savannah und Rich als Figuren aus Barneys Klasse gut definiert und mit eigenen Problemen ausgestattet wirken, gibt es eine knappe Handvoll andere Kinderfiguren, die irgendwie zu spät in den Fokus des Films geraten, dann aber das emotionale Rückgrat des Film mittragen sollen. Noch misslicher fand ich aber, wie man dem Film einen größtenteils komplett überflüssigen Showdown aufstülpt. Und im Zusammenhang damit gibt es einige Story-Entscheidungen, die dem Film eigentlich auch nicht weiterhelfen. Andrew Morris ist gegen Ende des Films zum Beispiel ein reinrassiger Bösewicht, seine Strafe für seine Vergehen ist aber vergleichsweise harmlos. Stattdessen bemüht man sich um eine »Lösung« des technologisch-gesellschaftlichen Problems des Films, die mich nicht wirklich überzeugen konnte.
Die Balance des Spannungsbogens droht zu kippen und man verlässt sich zu sehr auf filmische Handlungskonventionen, mit denen die jungen Zuschauer zwar groß geworden sind - aber das heißt ja nicht automatisch, dass man seinen Film nach diesem Schema strukturieren muss. Die Dramatik auf dem Schulspielplatz war komplett ausreichend für den Film, dass man danach einen (vermeintlich witzigen) Einbruch in Richtung Industriespionage folgen lässt, nimmt den Film einiges an Stärke (wenn man zumindest Teenager ist und auf solche Details achtet).
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Wen es interessiert: dies ist übrigens kein blaublütiger Disney-Film, die Regisseure Sarah Smith (Arthur Christmas) und Jean-Philippe Vine (diverse Episoden von Shaun the Sheep) haben wie die Produzentin Julie Lockhart, die schon an Creature Comforts mitarbeitete, eine Vergangenheit bei Aardman Animation, ehe sie beim ersten abendfüllenden Film von »Locksmith Animation« landeten. Aber ähnlich wie Disney einen Großteil der Ghibli-Filme international vermarktete, um im Kern die Konkurrenz abzugraben, benötigt man für Fernseh-Sender und Streaming-Angebote derart viel »content«, dass man halt einiges zusammenkaufen muss. Und wenn man mit dem Level an Qualität zufrieden ist, kann man es ja auch mal halboffiziellen Disney-Film durchgehen lassen (ehe man die Verantwortlichen vielleicht im eigenen Studio mit einbringt - ähnlich wie es bei einigen Pixar-Kreativen einst lief.
Regisseurin Sarah Smith über den Film »Wir wollten einen Film über Kinderfreundschaften im Zeitalter der sozialen Medien machen und über das universelle Gefühl, das jedes Kind hat, dass alle anderen außer ihm alles super hinbekommen«. Die auch für das Drehbuch mitverantwortliche Smith zählt Spike Jonze' Her zu ihren wichtigsten Inspirationen: »Ich erinnere mich, dass ich dachte, wir müssen diesen Film für Kinder machen, weil Kinder so ohne jeden Filter in die Online-Erfahrungen eintauchen. [...] Sie haben kein Gefühl dafür, dass das vielleicht keine echte, zuverlässige Stimme ist oder dass etwas vor sich geht, das mit der Realität nichts zu tun hat.« - Zugegebenermaßen habe ich mir über die spezifischen Erfahrungen von heranwachsenden digital natives nicht das Hirn zermartert. Letztlich wird diese Problemstellung auch nicht derart deutlich thematisiert, wie es hier hübsch für die Pressematerialien zusammengestellt wurde.
Ron's gone wrong ist ein unterhaltsamer, kindertauglicher Film über einige komplexe Zusammenhänge, die heutzutage unseren Alltag prägen. Doch für jeden satirischen Inhalt oder eine Steve-Jobs-Parodie gibt es auch Albernheiten über Barney Großmutter (gesprochen von Olivia Colman) und deren seltsame Ziege. Manchmal ergänzt sich das hervorragend (etwa beim Schicksal von »poop girl«), aber letztlich sollte man den Film auch nicht zu ernst nehmen. Das Internet und Roboter mit Macintosh-Design spielen in heutigen Animationsfilm eine stetig steigende Rolle (man vergleiche Baymax in Big Hero 6, Eve in Wall-E oder Ralph Wrecks und das Sequel Ralph Breaks the Internet), aber aus Kindersicht sind das einfach Stauneffekte und keine Diskussionsthemen für A.I.-Experten und Gesellschaftsphilosophen.
Und manchmal bevorzuge ich auch selbst die unkompliziertere Perspektive.