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5. Januar 2020
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Knives Out (Rian Johnson)


Knives Out -
Mord ist
Familiensache
(Rian Johnson)

USA 2019, Deutscher Titel: Knives Out - Mord ist Familiensache, Buch: Rian Johnson, Kamera: Steve Yedlin, Schnitt: Bob Ducsay, Musik: Nathan Johnson, Kostüme: Jenny Eagan, Szenenbild: David Crank, mit Daniel Craig (Benoit Blanc), LaKeith Stansfield (Lieutenant Elliott), Noah Segan (Trooper Wagner), Ana de Armas (Marta Cabrera), Toni Collette (Joni Thrombey), Jamie Lee Curtis (Linda Drysdale), Chris Evans (Ransom Drysdale), Don Johnson (Richard Drysdale), Christopher Plummer (Harlan Thrombey), Michael Shannon (Walt Thrombey), Jaeden Martell (Jacob Thrombey), Edi Patterson (Fran), Katherine Langford (Meg Thrombey), Riki Lindhome (Donna Thrombey), M. Emmet Walsh (Mr. Proofroc), K Callan (Greatnana Wanetta), Frank Oz (Alan Stevens), 130 Min., Kinostart: 2. Januar 2020

Vielen halbwegs filmgebildeten Menschen fällt bei Rian Johnson als erstes die achte Episode von Star Wars: The Last Jedi ein, ein Werk, das, so habe ich in mehreren Kritiken lesen können, im Nachhinein von J.J. Abrams, dem Oberguru der dritten Trilogie, geradezu ausgemerzt wurde. Ich kenne Johnson seit seinem ersten Film, Brick, der im aktuellen Werk weit deutlichere Spuren hinterlässt.

Knives Out ist ein whodunit, jene Krimigattung, die man vor allem mit Agatha Christie verbindet. Ein Mord ist geschehen, zahlreiche Verdächtige befinden sich vor Ort, die sich meistens trotz familiärer Bindungen nicht besonders grün sind, und ein Meisterdetektiv wie Hercule Poirot oder Miss Marple wägt die sich gegenseitig widersprechenden Lügen, die geheimen Motive und die Alibis gegeneinander auf, wobei sich die Anzahl der Verdächtigen auch mal verringern kann, weil es neue Opfer gibt, wie in dem alten Abzählreim über die zehn kleinen nicht mehr politisch korrekt bezeichneten Ethnien (ja, so hieß auch ein Buch von Christie in der deutschen Übersetzung - wobei von den drei Ausgaben auf Englisch auch nur And then there were none (die letzten Worte besagten Reimes) einen nicht die Augen verdrehen lässt (bis ich eben ausnahmsweise auf wikipedia nachgeschaut habe, war ich der festen Überzeugung, der Originaltitel laute Ten little Indians, aber auch mit dem bösen N-Wort hat man das Buch in England verkauft).

Knives Out (Rian Johnson)

© Universum

Johnson, der in seinem Regiedebüt das Genre der hard-boiled detectives, wie man sie aus den Romanen von Dashiell Hammett und Raymond Chandler kennt, an einer US-Highschool verlegte, versucht sich nun also an einem anderen Subgenre der crime novel, und es extrem schnell offensichtlich, dass er damit nicht so liebevoll umgeht wie seinerzeit. Sein Detektiv, ein gentleman sleuth, heißt Benoit Blanc, der Name so französisch wie der von Poirot, aber nicht nur offensichtlich bedeutungslos, sondern von Daniel Craig mit einem Akzent versehen, der im Film selbst als »Kentucky Fried CSI« und »Foghorn Leghorn drawl« bezeichnet wird (letzeres nach der Looney-Tunes-Cartoonfigur, die oft mit dem kleinwüchsiger Hühnerhabicht Henery Hawk auftrat, wobei in der deutschen Übersetzung die Sprachfehler und Dialekte des meisterhaften Sprachtalents Mel Blanc (Ähnlichkeit zum Nachnamen Benoits Zufall?) oft komplett ausgemerzt wurden. Inwiefern man sich an Daniel Craigs mürrisch-überheblichen Tonfall in der deutschen Synchro gleichsam erfreuen kann, wird sich zeigen.

Knives Out (Rian Johnson)

© Universum

Der Film beginnt mit dem hoheitlichen Familienanwesen (von dem man später erfährt, dass es in den 1970ern preiswert akquiriert wurde) im atmosphärisch dichten Frühnebel, zwei aufgebrachte Wachhunde rennen in Zeitlupe auf die Kamera zu.

Dann folgt eine längere Verhörrunde, die sich durch zwei Eigenheiten auszeichnet: zum einen springt man von einer befragten Person zur nächsten, wobei diese fast miteinander verschmelzen, was unnötige langweilige Wiederholungen vermeidet. Wer dieses Stilmittel erfunden hat, weiß ich nicht, ich kenne es aus einer Deep-Space-Nine-Folge (»Rules of Engagement«) von meinem Lieblingsregisseur des Franchise, LeVar Burton (spielte auch den Geordi La Forge bei TNG), der damals natürlich auch das bekanntermaßen nie vor der Kamera sprechende Serien-Maskottchen Morn in den Befragungsreigen einbaute (natürlich stammt die Idee dazu eher von den Autoren der Episode: Bradley Thompson, David Weddle & Ronald D. Moore.).

Knives Out (Rian Johnson)

© Universum

Der zweite Kniff dieser Intro: Während man hört, was die Befragten so von sich geben, sieht man jeweils Flashbacks, die die Sprecher bereits entlarven: Lügen, falsche Alibis und verborgene Motive werden für den Zuschauer sichtbar, was für etwas mehr anfängliche Spannung sorgt, vor allem aber für Amüsement.

Dann kommt auch die einzige Verdächtige, die kein Familienmitglied ist, ins Spiel: die junge Migrantin Marta Cabrera (Ana de Armas) war die Vertraute des verstorbenen Mystery-Autoren Harlan Thrombey (Christopher Plummer in einer Rolle, die nicht so klein ist, wie man anfänglich annehmen könnte), und diese Figur hat Autor Rian Johnson offensichtlich besonders ins Herz geschlossen, denn nicht nur hat sie die lächeriche medizinische Eigenart, dass sie dazu neigt, sich zu übergeben, sobald sie die Unwahrheit spricht (ein Wunder, dass darauf nicht schon jemand zuvor gekommen war), sie ist auch die sympathischste und offenbar unschuldigste Figur, die dann ohne eigene Schuld zur Hauptverdächtigen wird und Beweismittel verschwinden lassen muss, obwohl sie eigentlich die einzige im Haus war, die sich auch für den Menschen Harlan interessiert hat (und zwar nicht in irgendeiner sexuellen Weise).

Knives Out (Rian Johnson)

© Universum

Natürlich darf ich hier nicht zu viel verraten, aber ich hatte schon nach etwa einer halben Stunde eine etwas naheliegende Vermutung zum Tatverlauf, die aber in aller Konsequenz ein Mainstreampublikum überfordert oder entfremdet hätte. Wer's dann im Endeffekt war, hat mich nach einigen abstrusen Wendungen, die dem Filmtitel zumindest noch etwas nachkamen, nicht mehr riesig interessiert, aber weil ich oft mehr für narrative Belange als den wirklichen Plot interessiere, war später recht offensichtlich, dass eine Person von der Inszenierung anders behandelt wird als die anderen - und die offenbarte sich dann auch irgendwann als der Missetäter (absichtlich schwammig formuliert, aber mit ein bisschen Glück ist es für die Lesenden nach dem Film nachvollziehbar, was ich meine).

Mit dem ganzen Familienstammbaum habe ich mich gar nicht erst abgegeben. Schnöde Inhaltsangabe ist nicht mein Ding, und ob Jamie Lee Curtis jetzt die Schwägerin von Michael Shannon ist oder Chris Evans der Patensohn von Don Johnson, tut dem Vergnügen keinen Abbruch. Der größte Vorwurf, den ich Rian Johnson für diesen Film machen kann, sind zwei oder drei Nebenfiguren, die irgendwie immer nur im Hintergrund herumscharwenzeln und aus Gründen, die mir nicht klar werden, nie auch nur ansatzweise vollwertige Verdächtige waren, darunter die großartige Komödiantin und Sängerin Riki Lindhome (Garfunkel & Oates, Ramona Nowotzki bei The Big Bang Theory), die hier komplett verschenkt wurde und dabei auch noch drapiert wurde, als wolle man einem die Frau als Spezies madig machen. Als Wiedergutmachung sollte sie in seinem nächsten Film die Hauptrolle spielen!