Blinded by the Light
(Gurinder Chadha)
UK /USA 2019, Buch: Sarfraz Mansoor, Gurinder Chadha, Paul Majeda Berges, Vorlage: Sarfraz Mansoor, Kamera: Ben Smithard, Schnitt: Justin Krish, Musik: A.R. Rahman, Kostüme: Annie Hardinge, Production Design: Nick Ellis, mit Viveik Kalra (Javed), Kulvinder Ghir (Malik, Javeds Vater), Meera Ganatra (Noor, Javed's Mutter), Nell Williams (Eliza), Aaron Phagura (Roops, der andere Springsteen-Fan), Hayley Atwell (Ms Clay, Lehrerin), Dean-Charles Chapman (Matt), Rob Brydon (Matt's Dad), Nikita Mehta Shazia (Javeds Schwester), David Hayman (Mr. Evans), Ronak Chadha Berges (Javed mit 10), Billy Barratt (Matt mit 10), 118 Min., Kinostart: 22. August 2019
»To me, it feels like the spiritual companion to Bend it like Beckham - it shows the tightrope we have to walk as teenagers.« Bei diesen Worten von Gurinder Chadha fällt mir vor allem auf, wie über den größten Kassenerfolg der Regisseurin eine Anbindung des Publikums versucht wird - unabhängig davon, dass der Film fast zwei Jahrzehnte alt ist (Keira Knightley war damals noch eine unbekannte Newcomerin) und Chadha nie wieder auch nur ansatzweise an den Erfolg heran reichen konnte (wenn man mal von der Musical-Bühnenversion absieht). Eine wirkliche Verbindung zwischen den Filmen sehe ich indes nicht - abgesehen davon, dass Teenager mit Migrationshintergrund sich in England durchbeißen müssen - ob es nun ein fussballspielendes Mädchen ist oder ein Junge, der Gedichte schreibt und in den 1980ern Bruce Springsteen für sich entdeckt.
Chadha hat ihren eigenen Background immer wieder in ihren Filmen eingebracht, etwa in Bride & Prejudice, einer quasi indischen Jane-Austen-Variation, oder jener anderen Teenager-Komödie Angus, Thongs and Perfect Snogging (deutscher Titel: Frontalknutschen), und diese Expertise sieht man auch in Blinded by the Light, wenn sich auch das Streben nach einer Feelgood-Komödie mit den teilweise sozialkritischen Ansätzen nur bedingt ergänzt. Wenn britische Dreikäsehochs durch den Briefschlitz des »Pakis« auf den Flur einer Migrantenfamilie pinkeln und diese sich pragmatisch damit arrangiert, dann ist das schon eine sehr seltsame Art von Humor, die Balance zu halten zwischen rassistischer Unterdrückung und einer musikalischen Cinderella-Geschichte ist immerhin ambitioniert, ich gehe nur nicht immer damit konform, dass das Ausfindigmachen einer »wahren Geschichte« schon einer Existenzberechtigung für die Filmversion gleichkommt.
© 2019 Warner Bros. Entertainment Inc.
Blinded by the Light ist kein Jukebox-Musical (auch, wenn es entsprechende Passagen gibt) und man erzählt im Grunde eine Geschichte, die man ähnlich schon diverse Male in England umgesetzt hat, gerade der pakistanische Migrationshintergrund mit dem etwas hilflosen, aber traditionsversessenen Patriarchen steht für die Karrieren britischen Literaten wie Hanif Kureishi, Salman Rushdie oder Zadie Smith, in diversen Leinwand und TV-Versionen wurde das immer wieder durchgekaut, und die neue Ergänzung zum Rezept, die Musik von Bruce Springsteen, macht da nicht wirklich etwas Neues draus.
Was auf der Kinoleinwand ganz neu wirkt, aber in Promo-Musikvideos ein alter Hut ist: Die Texte von Springsteen, der ähnlich wie Hauptfigur aus einer Arbeiterfamilie stammt, werden hier als »Erscheinung« mit in den Film eingebunden - und der »Boss« wird dabei dargestellt wie ein unterschätzter Kandidat für den Literaturnobelpreis.
© 2019 Warner Bros. Entertainment Inc.
In der gefühlt ersten halben Stunde, als Javet noch einen eher typischen britischen Musikgeschmack frönt (u.a. mit Einspielungen von »It's a Sin«, »The sun always shines on TV«, »Lessons in Love«, »I just died in your arms tonight«, »Pump up the Volume«, »Live it up« oder »Mary's Prayer«), bekommt keiner dieser Songs diese Luxusbehandlung. Einzig bei Tiffany (»I think we're alone now«) wird hier auch klar bei der Qualität unterschieden, aber implizit wirkt es so, als hätte man damals nur seichte Liebeslieder in den britischen Charts gehabt, was so natürlich nicht stimmt. Der gängige Standpunkt »no one listens to Springsteen anymore - he's history!« wird im Nachhinein einfach zu einem historischen Fehler gemacht, dass Springsteen zu Zeiten von Born in the USA so kommerziell wie nur irgendwas war, kommt in diesem vom Boss abgesegneten Film natürlich nicht durch - und mit dieser Lobhudelei habe ich ein kleines Problem.
Die Darstellung der 1980er finde ich auch nicht durchgehend gelungen. Zugegeben, ich habe damals nicht in London gelebt, sondern in der niedersächsischen Provinz, aber dass 50jährige Hausfrauen mit einer Toyah-Wilcox-Frisur rumlaufen, finde ich schon etwas überzogen. Und im Gegensatz zu Javed habe ich auch nie Smash Hits und den New Musical Express quasi gleichberechtigt nebeneinander gelesen. Bei mir mag das auch was mit den Englischkenntnissen zu tun gehabt haben, aber da durchlebt man schon eine persönliche Evolution nach Altersklassen. Irgendwann habe ich auch kein Cinema mehr gekauft, sondern epd Film gelesen, diese Publikationen bedienen schon ganz unterschiedliche Zielgruppen.
Foto: Nick Wall © 2019 Warner Bros. Entertainment Inc.
Wenn der ohnehin erstaunlich gutaussehende Javed (ist halt ein Film, da sehen auch die Underdogs aus wie Bollywood-Stars - oder hier wie eine Mischung aus dem jungen Adrian Brody und dem Disney-Zeichentrick-Aladdin) dann dazu übergeht, Bluejeans und Holzfällerhemden mit abgerissenen Ärmeln zu tragen, verlässt man ein wenig die rein literarische Metamorphose des aufstrebenden Autors, und als ersten Höhepunkt der Geschichte gibt es einen Konflikt mit typischen Rassisten, denen Javed und sein neuer bester Freund (»I broke your Bruce-cherry!«) gemeinsam Springsteen-lyrics entgegenschmettern, wobei die bullies sich angesichts der Songzeile »spit in their face« plötzlich nicht mehr sicher sind, ob sie tatsächlich gerade angespuckt wurden. Ist hübsch zusammengebastelt, hat aber mit der realen Situation ungefähr so viel zu tun wie die Stellen, in denen wildfremde Menschen plötzlich perfekt choreographiert zu tanzen beginnen.
Was mir an Blinded by the Light besonders aufstieß, sind diese Stellen, in denen sich die Missstände allzu hübsch in Wohlgefallen auflösen: etwa die Entsorgung unzähliger alter Gedichte, die wie eine Flugblattaktion exakt die richtigen Personen erreicht, oder der Obdachlose mit dem grauen Rauschebart, der wie ein running gag immer wieder das »Bühnenensemble« dieser Welt bereichert.
Foto: Nick Wall © 2019 Warner Bros. Entertainment Inc.
Und dann ist der Schluss auch noch aufgebaut wie ein Konglomerat alter Filmklischees. Zugegeben, das (angerissene) Musical ist nicht das progressivste aller Filmgenres, und solche Feelgood-Movies funktionieren halt nach bestimmten Regeln.
Zwar wird gegen Ende klargestellt, dass es nicht ausreicht, Springsteen-Texte wie die heilige Schrift »zu lesen«, um wiedergeboren zu werden, aber jedes mal, wenn bestimmte Klischees hier durchbrochen werden, türmt man eine halbe Minute neue Klischees obendrauf. Dieses »ein-Schritt-vor-zwei-Schritte-zurück« ist zwar eine kongeniale Choreographie, aber ich hatte deutlich mehr erwartet.