Free Solo
(Jimmy Chin &
Elizabeth Chai Vasarhelyi)
USA 2018, Kamera: Jimmy Chin, Clair Popkin, Mikey Schaefer, Schnitt: Bob Eisenhardt, Musik: Marco Beltrami, mit Alex Honnold, Tommy Caldwell, Dierdre Wolownick, Jimmy Chin, Sanni McCandless, Mikey Schaefer u.a., 100 Min., Kinostart: 21. März 2019
»Alex ist heute richtig gut drauf.« Der Kameramann Mikey Schaefer schaut zum Kollegen, also direkt ins Publikum, »Aber ich bin fertig. Ich kann nicht mehr.«
Am 3. Juni 2017 erklomm Alex Honnold die El-Capitan-Wand im Yosemite-Nationalpark free solo. Ein feststehender Begriff für: ohne Seile, ohne Absicherung. Ein Fehltritt und es wäre sein Tod. In einem Fernsehinterviewausschnitt sagte es eine Moderatorin gleich zu Beginn, so wie es ist. Doch Alex erwidert nüchtern, jeder sterbe einmal und es könne jeden Tag soweit sein.
Das kann es nicht sein! Kein Mensch, zumindest kein Mensch bei klarem Verstand, sucht den Tod und fordert ihn derart heraus, und steckt das auch noch so locker weg. Das ist ein Unterschied. Doch Alex Honnold tickt anders. Selbst erfahrene Kletterer akzeptieren irgendwann eine Grenze. Auch wenn diese Grenze immer weiter hinaus geschoben wird. Vor nicht allzu langer Zeit hat uns The Dawn Wall einen spektakulären Aufstieg gezeigt. Und nun klettert einer ohne Ausrüstung, nur durch physikalisches Training und mentale Konzentration, diese Granitwand hoch? Warum?
© National Geographic / Jimmy Chin
Free Solo, eine National-Geographic-Produktion des Regie-Duos Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin (die beiden sind seit der gemeinsamen Arbeit am Film Meru ein Paar), ist dabei zweierlei. Oder besser gesagt: dreierlei. Die Biographie eines außergewöhnlichen Sportlers. Das zum einen, das vordergründig. Dann aber ist die Dokumentation eine Spurensuche nach Beweggründen und, auch das, eine Dokumentation über das Dokumentieren einer solchen Höhenleistung.
Ich kenne nicht die Statistiken, wie viele Kletterer im Jahr bei einer Expedition sterben. Die Anzahl Kletterer, die unversehrt in den »Ruhestand« gehen, dürfte verschwindend gering sein. Die Anzahl der Kletterer, die den Weg gegangen sind, den Alex Honnold beschreitet, und noch leben, tendiert gegen Null. Erschwerend für Honnold kommt bei seinem Unternehmen hinzu, dass er plötzlich eine Freundin hat. Frauen gäbe es immer wieder, sagt er zu Beginn, aber das Klettern kommt bei ihm an erster Stelle. Nun lässt er sich doch auf eine festere Bindung ein und prompt verletzt er sich. Es geht in Free Solo, der Name sagt es ja schon, um eine Leistung, die man mental alleine bewältigt. Tommy Caldwell, dessen Aufstieg der Dawn-Wall-Route von 2015 Thema in The Dawn Wall (dummdeutsch: »Durch die Wand«, von Josh Lowell und Peter Mortimer, 2017) ist, kletterte frei, aber zum einen mit einem Partner und zum anderen erlauben die Regularien dabei die Verwendung von Seilen, nicht als Kletterhilfe, aber als Absicherung. Das ist beim Free-Solo-Klettern anders.
© National Geographic / Jimmy Chin
Also, Caldwell erklärt es so: Man legt sich einen mentalen Panzer um, der einen das durchziehen lässt. Eine emotionale Bindung weicht diesen Panzer auf. Aber auch in seiner Beziehung tickt Alex Honnold anders.
Ich möchte gar nicht zuviel vorgreifen. Als Helden zeichnet ihn das Filmteam nicht. Sie runden sein Porträt vielschichtig und umsichtig ab, so, dass man einen nicht einfachen Menschen mit seinen Fehlern und Stärken wahrnehmen kann. Man vermittelt jedoch anschaulich, dass während es dem einen Menschen wichtig ist, Glück zu empfinden, ist es einem anderen wichtig, eine Leistung zu vollbringen. Und auch dafür gibt es Gründe. Das Team spürt dem nach, so gut es geht, ohne zu sehr zu psychologisieren. Es ist ein Angebot an den Zuschauer, um zu verstehen, was Alex zu seinen Leistungen bringt. Dabei unterschlägt der Film keineswegs die Defizite in Honnolds Leben und in seiner Beziehung. Dort treten diese nämlich besonders klar hervor. Wie wichtig eine weibliche Sicht auf Themen ist, zeigt sich auch hier besonders schön. Es ist sicherlich dem Part von Elizabeth Chai Vasarhelyi zuzusprechen, die in diesen Boys Club der Kletterkunst das Gefühl dafür vermittelt, wie die andere Seite aussieht. Man kann die Zwischentöne als Zuschauerin nicht ausblenden, die hier eingeflochten werden, man erkennt die Fallhöhe, wenn die Partnerinnen dieser Sportler immer wieder an ihre Plätze verwiesen und in konkreten Situationen allein gelassen werden.
© National Geographic / Jimmy Chin
Der eigentliche Ausgang steht fest. Sofern man dem Thema, oder dem Sport im allgemeinen folgt, weiß man, dass Honnold als Erster diesen Felsvorsprung aus Granit im Alleingang und ohne Hilfsmittel, übrigens in unter vier Stunden, bewältigt hat. Im Kino, dort gehört der Film nun einmal hin, denn nur in überwältigender Größe spürt man die überwältigende Höhe und den tiefen Abgrund in angemessener Weise, weiß man, der Film würde anders beworben werden, hätte er keinen »glücklichen Ausgang«, oder um es so zu sagen, wie es Leistungsorientierte sicherlich tun würden, wenn er nicht »liefern« würde. Hier kommt eine weitere Facette hinzu. Es geht um das Filmemachen im Sportbereich selbst. Und auch das, ohne es in den Vordergrund zu schieben.
Es ist gar nicht mal, dass andere Kletterer erwähnen, dass Honnoldw »mit dem Zirkus« unterwegs sei. Wir sehen nur ihn, aber hinter ihm steht ein Filmteam und das Filmteam hat sein Equipment und für das Equipment braucht man Fahrzeuge und so weiter. Jimmy Chin ist Kameramann und Profi-Kletterer. Er weiß, was er als Kletterer braucht, er weiß, was er als Kameramann braucht. Das Kamerateam, zu dem neben Chin auch der anfänglich zitierte Schaefer und Kollege Clair Popkin gehören, ist, das ist selten im Film, praktisch Teil der Dramaturgie. Bereits bei The Dawn Wall sah man die Kameraleute mit ihren Kameras in den Seilen. Aber wie fühlt sich das an?
© National Geographic / Jimmy Chin
Es ist ausgeschlossen, dass man einem Instinkt folgt, man müsse die Aufnahme in den Kasten bekommen. Ginge es nach Honnold, dann wäre da niemand um ihn herum. Er macht das für sich. Er muss es für sich machen. Alles andere wäre auch kaum erklärbar. Als Kameraperson muss man die Bilder einfangen und darf zum einen nicht »stören«. Was an jedem anderen Set nur ärgerlich wäre, könnte hier einen tödlichen Ausgang nehmen. Die Verantwortung wiegt entsprechend schwer. Das Wissen um diese Verantwortung kommunizieren sie auch, sich selbst gegenüber und dem Publikum gegenüber. Dementsprechend werden, das zu zeigen spart man in der Regel aus Dokumentationen aus, Aufnahmepositionen besprochen und justiert. Als wäre der Druck noch nicht groß genug, muss ein Filmemacher sich dessen bewusst sein, dass die Aufnahme das Dokument eines fatalen Sturzes werden könnte. Diese Bedenken lässt man das Publikum wissen. Es wirkt fast befreiend, als in einer Szene das Team seinem Protagonisten einen Spitznamen verpasst. Es würde mich auch nicht wundern, wenn Honnold das gar nicht durch seinen Panzer lassen würde.