Finsteres Glück
(Stefan Haupt)
Schweiz 2016, Buch: Stefan Haupt, Lit. Vorlage: Lukas Hartmann, Kamera: Tobias Dengler, Schnitt: Christof Schertenleib, Musik: Tomas Korber, Fremdton Kollektiv, mit Eleni Haupt (Eliane Hess), Noé Ricklin (Yves Zanini), Elisa Plüss (Helen Hess), Chiara Carla Bär (Alice Hess), Martin Hug (Adrian), Alice Flotron (Tante Julia), Suly Röthlisberger (Großmutter Zanini), Rebecca Indermaur (Sandra), Peter Jecklin (Dr. Wieland), 114 Min., Kinostart: 16. August 2018
Der laut Presseheft achtjährige Yves (Noé Ricklin) ist der einzige Überlebende eines Autounfalls, durch den er zum Vollwaisen wurde. Die Psychologin Eliane (Elina Haupt) soll sich im Krankenhaus um den traumatisierten Jungen kümmern, der zwar voller Enthusiasmus von einer erlebten Sonnenfinsternis spricht, dann aber, wenn es um seine verunglückte Familie geht, stockt und verstummt.
Die Verbindung zwischen dem Knaben und der Psychologin wird im Film schon vorbereitet, bevor man einen der beiden kennt, denn Eliane hat, mehr aus Faszination denn aus irgendeiner konkreten Zielsetzung, eine Monographie über den »Isenheimer Altar in Colmar« geschrieben, einen Triptychon, der unter anderem hinter der Kreuzigung Christi eine Sonnenfinsternis erkennen lässt. Die Inspiration der Romanvorlage war eine Zeitungsmeldung von einer (bis auf das jüngste Kind) bei einem Autounfall verunglückten Familie, die auf dem Weg zur Kirche / dem regional wohl sehr berühmten Bild war. Damals (1999) gab es auch gerade eine Sonnenfinsternis.
© W-film / Tobias Dengler
Der Film beginnt so: man sieht dunkle, sehr atmosphärische Bildausschnitte, dazu christliche Musik, dann Blicke aus einem Autofenster. In einem Büro verändert sich das Außenlicht (»Ist das jetzt die Sonnenfinsternis?«), dort hängt ein Druck des Bildes an der Pinnwand. Dann erlebt man, budgetfreundlich angedeutet, den Unfall, ehe die eigentliche Handlung einsetzt.
Es gibt zwar einige Flashbacks, aber die eigentliche Geschichte findet in der Gegenwart statt. Eliane nimmt Yves für einige Zeit zuhause auf, wovon ihre älteren Töchter nicht so begeistert sind. Es wurde noch nicht entschieden, ob der Junge von seiner Großmutter oder der Tante aufgenommen werden soll, die sich auch noch relativ spinnefeind sind. Und während Eliane und Yves sich langsam näher kommen und im Ansatz etwas wie ein Familienleben rekonstruiert wird (sogar Elianes Ex bringt sich ein), fällt es der Psychologin zunehmend schwerer zwischen Beruf und Privatem zu unterscheiden. Gleichzeitig ist sie aber auch noch die Expertin, die bei der Entscheidung über den Verbleib des Jungen ein Wörtchen mitzureden hat (Yves: »Nicht zu der Tante Julia. Sie hat gesagt, es wär besser, wenn der Papi tot wär.«)
© W-film / Tobias Dengler
Der Film beschreibt behutsam die Entwicklung des Jungen, mit einigen Rückfällen, Familienzwistrigkeiten und einer dunklen, fast geisterhaften Atmosphäre. Inszenatorisch und schauspielerisch ist das schon recht fulminant, aber ungeachtet der realen Inspiration wirkt vieles zu hübsch zusammengebastelt, wie in allzu vorsorglichen Krimis oder Psychodramen aus der Zeit Hitchcocks (Marnie etc.) bekommt man gegen Filmende alle Details wie auf einer Perlenkette vorgebetet.
Was mich für den Film eingenommen hat, waren die kleinen Details. Angefangen mit der sich am Rande abspielenden nachvollziehbaren Angst Yves', mit Autos herumkutschiert zu werden (als die Tante ihn, mit Polizei im Schlepptau, abholt, wird darauf natürlich keine Rücksicht genommen, was gleich mal deren fehlendes Einfühlungsvermögen unterstreicht).
© W-film / Aliocha Merker
Aber auch die für die Handlung nicht so wichtigen Kleinigkeiten haben viel ausgemacht. Als Yves im Umgang mit Eliane mit sanftem Druck auf Nutella plädiert, und sie es durchgehen lässt, dann aber bei der Cola strikter ist, das erzählt durch die wiedererkennbare Authentizität mehr über die Ersatzfamiliendynamik als irgendwelche abstrakte Dialoge. Davon gibt es auch welche, etwa bezogen auf das auch für Hobbyastrologe Yves interessante Altarbild, das Eliane quasi mit ihm zusammen interpretiert (während ihre Töchter diese Faszination nicht mit ihr teilen). Die Querverweise zum Gemälde, das mit Tode, Leid, Wiederauferstehung lauter Anknüpfungspunkte bietet, waren mir eine Spur zu dick aufgetragen, aber wenn es schon im Roman und dessen Inspiration eine so große Rolle spielten, kann man das schon mal durchgehen lassen. Die Symbolik, die auch beim Thema Wasser eine große Rolle spielt (und mehrere Pieta-Einstellungen) war mir aber generell eine Spur zu dick.
© W-film / Aliocha Merker
Aber Regisseur Stefan Haupt bekommt gegen Ende noch die Kurve, sperrt sich gegen ein allumfassendes Degeto-Happy-End, und man verlässt das Kino versöhnlich.
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Ein kleines Detail, das mich verwirrt hat, war die Familienbeerdigung, bei der (so mein Eindruck) fast alle anwesenden Kinder etwa in Yves' Alter waren, nicht im Alter seiner älteren Geschwister Maurice und Lisa. Da letztgenannte den Unfall im Gegensatz zu Yves ja nicht überlebt haben und deren Schulkameraden etc. wohl eher im Alter sind, wo man Kindern schon mal eine Beerdigung zumuten kann bzw. sie von sich aus entscheiden, dass sie dabei sein wollen, hat mich dies schon sehr verwundert. Yves hat auch im Film keinen Kontakt zu Gleichaltrigen, da scheint ihm sein Meerschweinchen wichtiger. Es wirkt ein wenig, als sei hier die Darstellerauswahl mehr von den Dreharbeiten beeinflusst (Kinder aus dem Casting? Bekannte des Yves-Darstellers?) als von der erzählten Geschichte.