Belle de jour - Schöne des Tages
(Luis Buñuel)
Originaltitel: Belle de jour - Schöne des Tages, Frankreich 1966, Buch: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière, Lit. Vorlage: Joseph Kessel, Kamera: Sacha Vierney, Schnitt: Louisette Hautecoeur, mit Catherine Deneuve (Séverine Sérizy), Jean Sorel (Pierre), Michel Piccoli (Georges Husson), Geneviève Page (Anaïs), Pierre Cleménti (Marcel), Francisco Rabal (Hippolyte), Maria Latour (Mathilde), Françoise Fabian (Charlotte), Macha Meril (Renée), Muni (Pallas), Francis Blanche (M. Adolph), Georges Machal (der Herzug), François Maistre (der Professor), Dominique Dandrieux (Catherine), Brigitte Parmentier (Séverine als Kind), 100 Min., Deutscher Original-Kinostart: 15. September 1967, Kinostart Wiederaufführung: 20. Juli 2017
Als erste von zwei 4K-Restaurationen zum jeweils 50. Jahrestag (The Graduate folgt zwei Wochen später) bringt Studiocanal diesen Klassiker mit der jungen Catherine Denueve wieder in die Kinos. Erstaunlicherweise kannte ich Belle de jour noch gar nicht, weshalb mein Text sich auch den Eindrücken einer Erstsichtung widmet.
Im rororo-Filmlexikon von Liz Anne Bawden (6 Bände, nicht die zehnbändige Archivierung von Filmdienst-Faziten) erfasst man den Geist des Films in der kurzen Inhaltszusammenfassung meines Erachtens nicht wirklich: die »masochistischen erotischen Fantasien« der Titelfigur sind für mich eher der Versuch, der vielschichtigen Sexualität einer Frau näherzukommen. Aus einer Trivialvorlage einen frühen feministischen Film zu machen, ist schon etwas Besonderes - selbst, wenn die trivialen Momente und eine ab und an holprige Inszenierung dies etwas kaschieren.
© 2017 Studiocanal GmbH
Séverine (Deneuve) hat als 23jährige Ehefrau eigentlich den großen Fang gemacht. Ihr phänomenal aussehender Gatte Pierre (Jean Sorel) ist ein angesehener Arzt, der ihr den Zugang zu Tennisclubs und High-Society-Skipisten ermöglicht - und sich auch mit ihrer zurückhaltenden, kühlen Art abfindet, und sie nicht etwa bedrängt (insofern man dies bei einem doch viele delikate Stellen aussparenden Film seiner Zeit sicher sagen kann).
Der Film beginnt auch gleich mit einer dieser »masochistischen« Fantasien, bei der aus einem romantischen Kutschausflug, der implizit wohl von einem Heiratsantrag inspiriert wurde (ob geschehen oder erhofft, sei außen vor), plötzlich eine Auspeitschung durch die Kutscher wird, mit einer überdeutlich angedeuteten »Auftrags-Vergewaltigung« durch die Kutscher, bei der aber ein wichtiges Detail zu sein scheint, dass der Kutscher, der S√©verine eben noch ansatzweise die Kleider vom Leib riss, nun zärtlich ihren von Peitschenhieben malträtierten Rücken küsst. Wie ich schon sagte, Masochismus ist ihr durchaus vorhanden, doch der Film geht tiefer.
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Der Co-Autor des Drehbuchs, Jean-Claude Carrière, entblödet sich im Presseheft nicht, etwa folgenden Satz um sich zu schmeißen:
Als wir unsere Arbeit begannen, war uns bewusst, dass sich da zwei Männer, einer von ihnen ein Spanier, in die selten besuchten Gebiete weiblicher Erotik wagten, jenen Bereich, den Freud den »Dunklen Kontinent« genannt hatte.
Besonders gefällt (bzw. missfällt) mir hierbei der Halbsatz »einer von ihnen ein Spanier«, der so wirkt, als ginge es hier darum, eine französische Vorherrschaft »im Frauenverstehen« zementieren zu müssen. Die Referenz auf Freud wirkte für mich besonders überholt, weil ich am Tag zuvor noch Sally Potter Ginger & Rosa gesehen hatte, der in der selben Zeit spielt, bei dem die Regisseurin sich aber gerade darüber heftig lustig macht, wenn der Geburtsname von Ginger (Elle Fanning) exakt wegen dieses Freud-Zitats »Africa« lautet.
Immerhin erklärt Carrière aber, dass er und Buñuel (im Vorspann übrigens ohne Tilde) zu Recherchezwecken mehrere Bordells besuchten und Frauen dort interviewten. Und die Feststellung, dass die Handlung des Films einem Trivialroman entstammt, alle Fantasien aber realen weiblichen Fantasien entstammen, wodurch die Fantasie hier realer ist als die »Realität«, reicht schon fast zur Ehrenrettung der beiden Adapteure.
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Die unterschiedlich deutlich markierten Fantasien sind auch der wichtigste Teil des Films, der zumindest aus heutiger Sicht die gesamte Interpretation trägt. Dass dazu auch eher als Flashback zu verstehende Erinnerungen gehören, die - auf abgemildete Weise - wie nebenher Beispiele dafür geben, wie unangemessene männliche Zudringlichkeit (um es mal etwas zu euphemisieren) wohl auch mit dafür sorgten, dass Séverine ihre Sexualität zu Beginn des Films nicht ausleben kann, wirkt 50 Jahre später noch sehr progressiv und mutig. Gerade die Verbindung solcher Einflüsse mit dem mehrfach wiederholten romantisierten Detail der Kutschfahrt heben den Film über die bloßen »masochistischen Fantasien«, die sich noch dazu vordergründig bei einem männlichen Publikum anbiedern, klar hinaus.
Interessant waren im Film für mich auch kleine inszenatorische Details, die ich nicht unbedingt positiv auffassen würde. Zum einen ist da das Make-Up von Frau Deneuve, das insbesondere zu Beginn des Films, ziemlich »dick aufgetragen« wirkt. Einer Frau, die in ihrer Sexualität »gefangen« wirkt und sich »kühl« benimmt, muss man doch deshalb nicht so einen fahlen Gesichtston geben, mit übermäßig fast zu Myrna-Loy-Niveau akzentuierten Augen. Nach Séverines ersten Erfahrungen mit der Prostitution ist auch der Wechsel von der sie komplett überfordernden zweiten Begegnung zum (offenbar wenige Minuten später stattfindenden) dritten Anbiederung bei einem Kunden, anschmiegsam und mit einem überzeugenden Lächeln, das man nie zuvor im Film sah, nicht ansatzweise überzeugend (mit der Einführung der »natürlicheren«, sexualisierten Catherine gibt es auch keine Make-Up-Beschwerden mehr!). Inwiefern das mit der jungen Deneuve zu tun hat oder den Regieanweisungen Buñuels (der sich generell nicht wirklich um ein realistisches psychologisches Profil seiner Figuren im Alltagsleben gekümmert hat), ist eine andere Frage.
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Sehr verwirrend fand ich auch die Inszenierung jener Fantasie, wo Séverine, mal wieder gefesselt, mit Schlamm beworfen wird, wo man das ganze mit deutlichen Jump-Cuts wohl zu ästhetisieren und erotisieren versucht hat (abermals mehr dem männlichen Blick verpflichtet als der weiblichen Sexualität), dabei aber auch beim Schlamm werfenden Michel Piccoli durch einige Schnitte den Zuschauer komplett aus der Illusion herausholt. Später offenbart sich dann, dass Buñuel wohl nebenbei seine Ehrerweisung an Godards A bout de souffle (das historische Beispiel für Jump-Cuts) deutlich machen wollte. Später kommt nämlich ein Straßenverkäufer der »New York Herald Tribune« im Film vor (da denkt man automatisch an Jean Seberg), der nicht nur zu den Schaukästen eines Kinos überleitet (Truffaut war damals ja am Drehbuch beteiligt), sondern auch den arg überzeichneten Kriminalfilm-Teil des Films markiert, der dann mit einer Szene endet, die quasi zu 70% die Schlussszene bei Godard nachahmt - inklusive der wenig überzeugenden Rauminszenierung (achtet mal auf den Polizisten: der müsste eigentlich eine Straßenecke zu weit entfernt sein, um so schießen zu können!)
Diese Kleinigkeiten ändern aber nichts daran, dass dies ein mitreißender und wichtiger Film ist, bei dem man sich die Chance, ihn in einer perfekten Kopie im Kino zu sehen, nicht entgehen lassen sollte.