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07. Dezember 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


Retrospektive Frank Capra
vom 08.12.16 bis 20.01.17


Frank Capra, das ist der 1897 in Italien geborene US-Regisseur, zu dessen in Deutschland wohl bekanntesten Filmen Titel wie die schwarze Komödie »Arsen und Spitzenhäubchen«, der Oscar-Abräumer »Es geschah in einer Nacht« oder der ultimative Weihnachtsfilm »Ist das Leben nicht schön?« gehören. Im Dezember / Januar zeigt das Arsenal 25 seiner Filme, darunter die vorgenannten (Arsenic & Old Lace am 26.12. und am Neujahrsabend, It happened one Night am 16. & 30.12. und It's a wonderful Life stilgerecht am 25. & 27.12.) sowie unter anderem You Can't Take it With You (Eröffnungs- und Abschlussfilm der Reihe), Mr. Deeds goes to Town (23.12. & 7.1.), Mr. Smith goes to Washington (2.1. & 7.1.), Pocketful of Miracles (10. & 17.12.) oder die drei unten etwas ausführlicher vorgestellten Filme. Das komplette Programm (mit den 15 anderen Filmen - darunter auch Stummfilmklassiker oder Weltkriegspropagandadokus aus der Reihe Why we fight) findet man auf der Homepage des Arsenal.
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  American Madness (Frank Capra)


American Madness
(Frank Capra)

USA 1932, Dt. Titel: Der Tag, an dem die Bank gestürmt wurde, Buch: Robert Riskin, Kamera: Joseph Walker, Schnitt: Maurice Wright, Art Direction: Stephen Goossón, mit Walter Huston (Thomas A. Dickson), Pat O'Brien (Matt), Kay Johnson (Mrs. Phyllis Dickson), Gavin Gordon (Cyril Cluett), Constance Cummings (Helen), Edwin Maxwell (Clark), Arthur Hoyt (Ives), Robert E. O'Connor (Inspector), Robert Ellis (Dude Finlay), Julia Griffith (Gossip on Phone), Sterling Holloway (Oscar), 75 Min.

Vorführungen: Freitag, den 9. Dezember & Freitag, den 30. Dezember, jeweils um 19 Uhr 30 im Arsenal 1

Retrospektiv (pun not intended!) betrachtet wirkt dieser Film verteufelt wie eine Generalprobe für It's a wonderful life, aber Capra wurde mit dem Projekt erst betreut, als Allan Dwan und Roy William Neill schon einige Tage beschäftigt waren - und drehte dann einfach die Szenen noch mal.

Robert Riskin, zu jener Zeit einer von Capras häufigsten Drehbuchautoren (er schrieb acht der späteren Filme für Columbia und gewann auch den Oscar für It happened one Night) soll in seinem Buch die inszenatorisch auffälligste Szene bereits sehr detailliert beschrieben haben: eine leichtfertige Telefonistin gibt nebenbei interne Informationen preis und in einem stetig anziehenden Schnitt-Stakkato wird daraus ein zunehmend aufgebauschtes Gerücht, das zum »Run« auf die Filmbank führt, den man in weitaus unspektakulärer Weise auch in It's a Wonderful Life wiedererkennt. Hübscher Gag zum Ende des Films: Die Telefonistin, die einem von Anbeginn des Films mit ihrer quietschigen Stimme im Ohr liegt, taucht abermals auf - und hat keinen Schimmer davon, was sie angerichtet hat.

Die Montagesequenz ist übrigens so genial umgesetzt, dass es mir unter den Fingern brannte (einmal Filmwissenschaftler, immer Filmwissenschaftler), ein detailliertes Einstellungsprotokoll anzufertigen, um zu schauen, ob wirklich (insbesondere gegen Ende der Sequenz) jede Einstellung gefühlt ein oder zwei Frames kürzer als die vorangehende ist. Natürlich in Korrelation mit den Dialogfetzen, die auch immer kürzer werden. Gerade dafür, dass der Tonfilm hier ja noch eine brandneue Kiste war, ist das schon ein toller Effekt, wie man ihn später etwa in einer Simpsons-Folge weiterentwickelt hat, wo die streng geheime Ankunft von Michael Jackson (aka Leon Kompowski) zu einem ähnlichen Lauffeuer führt, das man hier aber noch mit einer sich immer weiter aufsplittenden Splitscreen umsetzt.

Das Drehbuch zu American Madness ist wirklich clever durchdacht, und der Film schafft es, in seinen kurzen (und äußerst kurzweiligen) 75 Minuten einen überzeugenden Querschnitt durch die amerikanische Gesellschaft während der großen Depression zu bieten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Film neben dem nominellen Star Walter Huston (wer ihn nur aus seinen späten Rollen wie in The Treasure of the Sierra Madre kennt, könnte überrascht werden - auf mich wirkte er wie ein junger Billy Bob Thornton, aber ohne dessen charakteristischen Argwohn - sondern aufrecht und superanständig wie ein Gary Cooper) als Vertreter der Chefetage der »National Bank« noch einen »Parallelstar« mit Pat O'Brien als einfachem »Teller«, also Schalterangestelltem, bietet. Und so hat man zwei Männer, beide mit Frau oder Freundin, und deren beide Schicksale werden miteinander verwoben, wobei auch beide einen Gegenspieler »auf ihrem Level« haben. Die aber beide auch »übergreifend« für Probleme sorgen.

Der Gegenspieler des »man of the people« in der Bank, Tom Dickson (Huston) ist ein gewisser Clark (Edwin Maxwell), der sich exakt so verhält, wie man sich heutzutage einen Bänker vorstellt: Gewinnmaximierung, Risikoerwägung etc. Dickson ist verglichen damit ein typisch capra-mäßiger Idealist, der seine Kredite aufgrund von Charaktereigenschaften vergibt und auch keine arme Witwe übervorteilen will, bloß weil das der Bank deutliche Gewinne bringen könnte. Dickson wirkt hier und da fast zu gut, um wahr zu sein, insbesondere beim Umgang mit seinen Untergebenen, die er wie die allerbesten Kumpel behandelt. Wie sehr Dickson ein Träumer ist, zeigt sich nicht bei seiner Bankführung (die im Kontext des Films als exemplarisch dargestellt wird), sondern bei seiner Ehe. Gattin Phyllis (Kay Johnson) hat sich für den Jahrestag etwas besonderes ausgedacht, aber Tom hat nicht nur (so sind die Männer!) das Datum verschwitzt, er bringt es sogar fertig, nach einer spontanen Neuplanung seiner liebenden Frau sein gerade gegebenes Versprechen sofort wieder zu vergessen, wenn er im Dienste der Bank auch den darauffolgenden Abend verplant.

Phyllis fasst ihre prekäre Lage wie folgt zusammen: »I can't compete with a bank. If it were some other woman, I could handle that.« Und da man solche Probleme gern über Kreuz abhandelt, wird die frustrierte Ehefrau jetzt energisch angegraben - von jenem Schürzenjäger und aufstrebenden Bankheini, der wegen Spielschulden gerade einigen Gangstern den Weg zum Tresor ebnen soll und deshalb in der Nacht dringend ein Alibi benötigt. Gavin Gordon als »Cyril Cluett« (man kann das mit den Alliterationen auch übertreiben) ist ein wenig der Schwachpunkt des Films. Nicht, weil er mit seinen seltsamen aufgemalten Augenbrauen und dem ganzen Gehabe ziemlich unsympathisch ist, sondern weil seine Alibi-Bemühungen (und andere kriminelle Neigungen) weitaus weniger clever sind als andere Punkte des Drehbuchs. Und man hat dabei nicht unbedingt das Gefühl, dass das nur daran liegt, dass Cluett zu blöd ist, seine Pläne zu ordnen (wenn man in der Bank aufsteigen will, macht man nicht mit einer Frau eines Vorgesetzten herum, nur weil man ein Alibi braucht - und es somit wahrscheinlich ist, dass man dieses Geheimnis später ausplaudern muss), sondern für so eine Nebenfigur reicht dann eben die Zeit, die man fürs Schreiben eines Drehbuchs ansetzen kann, irgendwie doch nicht mehr. Auch ein Robert Riskin muss Prioritäten setzen - und das Publikum hatte seinerzeit sicher etwas anderes zu tun als die psychologische Ausarbeitung eines kleinen Schurken zu hinterfragen.

Was man bei American Madness klar Frank Capra als Verdienst zurechnen kann, das ist die ganze Atmosphäre in der Bank. Bevor Capra die Dreharbeiten übernahm, ließ er das Set neu aufbauen. Wenn man bedenkt, dass Allan Dwan nach drei Tagen abserviert wurde und sein Nachfolger nach nur einem, ist es schon bemerkenswert, dass Columbia damals bereits soviel Vertrauen in Capra setzte, dass man für die Umbauten gleich noch mal drei Drehtage opferte. Aber diese drei Tage zahlten sich aus. Sound Mixer Edward Bernds sagte dazu: »Capra built Huston's office way up at the back of the stage with the bank activity in the background. It was unusual reasoning: the motive was not just pictorial, but to influence the psychology of the actors.« (zitiert nach Frank Capra - The Catastrophe of Success von Joseph McBride, S. 250).

American Madness (Frank Capra)

Ich persönlich bin aber abgesehen vom späteren Einfluss mehrerer Punkte des Films auf das Werk Capras vor allem vom Drehbuch verzückt. Drei Szenen gibt es, die im Verlauf des Films im Tresorraum spielen, und ähnlich wie bei der narrativen Klammer mit der Telefonistin gibt es auch eine Besonderheit des Tellers Matt (Pat O'Brien), wenn er morgens den Tresor für seine Kollegen öffnet: Er denkt sich vorher immer einen kleinen Witz aus, und die Kollegen machen sich gleich zu Beginn einen Spaß damit, dass sie sich verschwören, diesmal mal gar nicht darauf einzugehen und mit strengen Mienen einfach nur danebenzustehen und den Gag an sich abperlen zu lassen. Wenn man diese Situation am Ende des Films aufgreift, wartet man als Zuschauer bereits darauf, ob Matt auch jetzt wieder ein Bonmot zum besten geben wird. Und diese Szene, die auf mich wirkte, als wäre sie die Punchline, auf die man quasi 70 Minuten nur gewartet hat, zeigt auch, was man mit Gespür für Timing (die komplexe Routine der Tresoröffnung wird mehrfach im Film zelebriert, um auch zu unterstreichen, wie schwer es ist, an dieses Geld zu kommen) aus einem guten Drehbuch machen kann.

Allein für diese tolle Szene nehme ich auch die märchenhafte Politikvorstellung des Films gerne in Kauf, die in heutigen Zeiten nur schwer zu schlucken wirkt. »We have to get that money back into circulation to help this land to prosperity« klingt für mich ein bisschen zu sehr nach »Make America great again«, und es wird einem bewusst, wie weit entfernt Capras hemdsärmeliger Charme von der heutigen Zeit ist.


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  Lady for a Day (Frank Capra)


Lady for a Day
(Frank Capra)

USA 1933, Dt. Titel: Lady für einen Tag, Buch: Robert Riskin, Story: Damon Runyon, Kamera: Joseph Walker, Schnitt: Gene Havlick, Musik: Howard Jackson, Kostüme: Robert Kalloch, Art Direction: Stephen Goossón, mit Warren William (Dave the Dude), May Robson (Apple Annie), Guy Kibbee (Judge Blake), Glenda Farrell (Missouri Martin), Ned Sparks (Happy McGuire), Walter Connolly (Count Romero), Jean Parker (Louise), Nat Pendleton (Shakespeare), Barry Norton (Carlos), Halliwell Hobbes (Butler), Hobart Bosworth (Governor), Robert Emmett O'Connor (Inspector), Samuel S. Hinds (Mayor), Sidney D'Albrook (Louis the Lug), Lew Kelly (Harry the Horse), Shorty (Shorty), 88 Min.

Vorführungen: Samstag, den 10. Dezember & Freitag, den 16. Dezember, jeweils um 19 Uhr im Arsenal 1

Noch weitaus märchenhafter als American Madness fällt Lady for a Day aus, zu dem Capra 1961 selbst ein Remake drehte (A Pocketful of Miracles), in dem er jenes Star-Ensemble (Bette Davis, Glenn Ford, Ann-Margret, Peter Falk) zusammensuchte, dass ihm 1932 nicht vergönnt war. Erstaunlicherweise ist es aber so, dass gerade die Besetzung mit Unbekannten oder sogenannten »Charakterdarstellern« stark dazu beitrugen, dass die eigentlich sehr unglaubwürdige Story funktioniert.

Lady for a Day wurde ein großer finanzieller Erfolg, der Capra seine erste Oscar-Nominierung einbrachte. Außerdem nominiert: Riskin für das Drehbuch, die 70jährige Theaterschauspielerin May Robson für die Titelrolle und last but not least der Film selbst als »Bester Film«. Man gewann zwar in keiner Kategorie (May Robson verlor gegen Katherine Hepburn, die Meryl Streep ihrer Zeit), aber gleich als nächster Capra-Film folgte dann It happened one Night, der bekanntlich die erst vier Jahrzehnte später wiederholte Kombo von Film-Regie-Buch-Hauptdarsteller-Hauptdarstellerin für sich entscheiden konnte.

Die Story ist schnell erzählt: eine betagte ärmliche und alkoholkranke Apfelverkäuferin spielt ihrer in Spanien lebenden Tochter in Briefen vor, sie sei eine Dame der höheren Gesellschaft. Die will nun den Sohn eines spanischen Ehrenträgers ehelichen, der sich aber vorher vom ordnungsgemäßen Zustand der Familienverhältnisse überzeugen will. Daraus wird eine Art »Pygmalion for the depression« (Joseph McBride), wobei der vermeintliche Henry Higgins hier ein abergläubischer Ganove ist, der auf die glücksbringenden Früchte von »Apple Annie« vertraut und sie mit Hilfe einer halbseidenen Sängerin, diverser Gangster und zwielichtiger Gestalten als veritable society lady verkaufen will.

Lady for a Day (Frank Capra)

Wo der Film für mich persönlich versagt, ist die allzu schnelle Wandlung der eben noch in ihren Gin heulenden »Apple Annie« zu einer dezenten Dame im Stil der Miss Sophie aus Dinner for One. Ungeachtet ihrer erlesenen Wortwahl bei den Briefen, die sie auf eigens organisierten Hotel-Briefpapier verfasst, gehört zu solch einem Wechsel einfach mehr als ein hübsches Kleid und die Make-Up-Expertise einiger Salondamen (»Where's the victim?« - »Lots of material for the hungry artists!«). Das merkt man umso deutlicher, wenn man den unterhaltsamen Versuchen beiwohnt, aus den im schnieken Anzug auftretenden Berufsneppern halbwegs glaubhafte Diplomaten zu machen (die sich weniger auf ihre Rolle konzentrieren als einen Machtkampf darüber austragen, wer die imposanteste Rolle im prestigeträchtigsten Land spielen darf - egal wie schlecht).

Ein interessantes Phänomen beim Betrachten des Films war für mich, dass ich immer etwas mehr erwartete. Wird die angedeutete Anziehung zwischen »Missouri Martin« und »Dave the Dude« sich zu einer veritablen Lovestory entwickeln? Werden die spanischen Edelmänner sich ihrerseits als abgefeimte Betrüger erweisen? Und wann greift die Polizei endlich ein?

Lady for a Day (Frank Capra)

Aber spätestens, wenn sich dann das junge Paar im Hotelgarten hinter einem hübsch drapierten künstlichen Mini-Wasserfall anschmachtet, wird klar, dass man damals ganz andere Sensibilitäten hatte. Dennoch ist es interessant, wie etwa der beinlose »Shorty« (die street peddlers sollen Capra persönlich bekannt gewesen sein und er engagierte sie kurzerhand) dafür sorgt, dass die rührselige Story einiges an Glaubwürdigkeit gewinnt. Der mit Robert Riskin befreundete Drehbuchautor Philip Dunne fasste dessen Zusammenarbeit mit Capra mal hübsch zusammen: »Frank provided the schmaltz and Bob provided the acid« (McBride, S. 291).

Zu den Höhepunkten des Films gehört definitiv Guy Kibbee in seiner Rolle als Judge Blake (ungefähr so richterhaft wie Judge Roy Bean) beziehungsweise in seiner Rolle als »E. Worthington Manville«. Diese Rolle, für die man ursprünglich W.C. Fields engagieren wollte, zeugt davon, wie Capra und Riskin selbst aus so einer kleinen Rolle (siehe auch den köstlichen Butler) einiges herauskitzeln.

»Do these old eyes deceive me or am I in the presence of an angel?«

»Oh, shut up, Judge!«


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  Lost Horizon (Frank Capra)


Lost Horizon
(Frank Capra)

USA 1937, Dt. Titel: In den Fesseln von Shangri-La, Buch: Robert Riskin, Lit. Vorlage: James Hilton, Kamera: Joseph Walker, Schnitt: Gene Havlick, Gene Milford, Musik: Dimitri Tiomkin, Art Direction: Stephen Goossón, Special Make-Up: Jack Dawn, mit Ronald Colman (Robert Conway), Jane Wyatt (Sondra), Edward Everett Horton (Lovett), John Howard (George Conway), Thomas Mitchell (Barnard), Margo (Maria), Isabel Jewell (Gloria), H.B. Warner (Chang), Sam Jaffe (High Lama), 132 Min.

Vorführungen: Dienstag, 13. Dezember, um 20 Uhr (mit Einführung von Lukas Foerster) & Montag, 26. Dezember, um 18 Uhr im Arsenal 1

Um diesen Film Capras ranken sich inzwischen fast so viele Legenden wie um das sagenumwobene Shangri-La, in dem der Film größtenteils spielt. So soll Capras erste Schnittfassung sechs Stunden lang gewesen sein, der Film hat sich finanziell erst beim Re-Release 1942 amortisiert - und nicht zuletzt führten die Querelen um Schnittfassungen, stiefmütterliche Reklame oder die Besetzung des »High Lama« auf lange Sicht zum Bruch zwischen Capra und Harry Cohn, dem Chef von Columbia - sowie mit Autor Robert Riskin.

Komplett absurd scheint es, dass der Film, der während der Retro in der restaurierten Fassung von 132 Minuten gezeigt werden soll (bei der Pressevorführung gab es ein Problem, wir sahen zwar diese Fassung, aber leider von einer pixeligen DVD), ausgerechnet für den Schnitt mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Vielleicht ging es den Academy-Mitgliedern hier um den herkulischen Akt, gegen die Unmengen an Bildmaterial anzukämpfen (Capra drehte u.a. eine Dinnerszene viermal mit je zwei Kameras oder schaffte es, an einem einzigen Tag, drei Stunden Film mit Monologen von Sam Jaffe zu füllen). Aber ein Film, der dafür bekannt ist, dass er immer wieder gekürzt und verändert wurde (aus sechs Stunden wurden erst dreieinhalb, dann etwas über zwei, zum Re-Release kürzte man abermals und es gibt auch eine TV-Version von 95 Minuten), ohne dass man zu einer Fassung kam, die sich dann wirklich gegen diverse Einwände durchsetzen konnte, erzählt ja mehr vom Scheitern als von einem gelungenen Job.

Lost Horizon (Frank Capra)

Das größte Problem des Films ist der Verbleib in der reichlich konfliktfreien Utopie, wo Riskin und Capra etwa der Buchvorlage einen Bruderstreit zufügten, um zumindest etwas Spannung aufzubauen. Dabei beginnt der Film wirklich vielversprechend. Man springt in medias res mitten in eine spektakuläre Rettungsaktion (die ursprüngliche Rahmenhandlung zu Beginn des Films wurde ans Ende gesetzt, wo sie aber auch reichlich unmotiviert wirkt) und landet mit einer Handvoll Figuren in einem Flugzeug, das unter Waffengewalt gekidnappt wird und aus zunächst schleierhaften Gründen in die Himalayas fliegt. Dort gerät man dann in eine (erstaunlich westlich wirkende) asiatische Zauberwelt (zweiter Oscar für die »interior decoration« von Stephen Goossón), mit der sich die unterschiedlichen Passagiere unterschiedlich gut arrangieren.

Der Kern des Films ist der innere Konflikt eines in der Buchvorlage unbedeutenden, hier aber auf Churchill-Niveau aufgeblasenen britischen Diplomaten (Ronald Colman), der eigentlich die Stelle des foreign secretary aufnehmen sollte, nun aber versucht, hinter das Geheimnis von Shangri-La zu kommen. Wobei ihm die erleuchtete Lebensphilosophie hier weitaus besser anzusprechen scheint (und die beiden Brüder bekommen auch noch je einen love interest zugeschustert, um für ein wenig Romantik zu sorgen).

Leider funktioniert die seltsame Mischung aus einer Abenteuergeschichte, die mich sehr an Arthur Conan Doyles The Lost World erinnerte (nur mit tibetanischen Mönchen statt Dinosauriern), mit ein paar Fantasy-Elementen und politischen Grundsatzdiskussionen nur hier und da in Ansätzen mal.

Lost Horizon (Frank Capra)

Es ist ja ganz interessant, wenn man um die Drehstrapazen weiß, wenn es um die gefährlichen Schneelandschaften geht, aber die spektakuläre Flucht der Brüder aus den »Fesseln von Shangri-La« (wie der deutsche Verleihtitel es reichlich aufgebauscht formuliert) gehört für mich zu den ausgewalzten Passagen des Films. Man weiß, dass der Diplomat nur des Familienfriedens wegen mitwandert - und das Schicksal des dauerhaft nörgelnden Bruders ist eher von geringem Interesse. Schon, wie der überstürzte Abschied inszeniert wurde, macht es dem halbwegs filmerfahrenen Betrachter klar, dass diese Location im Film noch eine Rolle spielen muss - doch bis es dazu kommt, stapft man gefühlt eine Viertelstunde durch den Schnee und beginnt dann mit der Rahmenhandlung, die davon berichtet, dass der eine Bruder sich gegen sämtliche Warnungen ortskundiger Einheimischer immer wieder auf den Weg macht, um Shangri-La wiederzuentdecken.

Die epische Breite des Films ist interessant, seine Fragestellungen sind es ebenso, und die kleinen Streitereien zwischen den fünf unfreiwilligen Abenteurern sind lange Zeit sehr unterhaltsam. Aber es fehlt irgendwie der Fokus, und gerade im Vergleich mit dem beinahe halb so kurzen American Madness merkt man, das Capra das Zwei-Stunden-Format, das alle seine späten Filme auszeichnet, hier erst noch meistern muss.