Ich und Kaminski
(Wolfgang Becker)
Deutschland 2015, Buch: Thomas Wendrich, Co-Autor: Wolfgang Becker, Lit. Vorlage: Daniel Kehlmann, Kamera: Jürgen Jürges, Schnitt: Peter R. Adam, Musik: Lorenz Dangel, Titelanimation: Luc Perez, »Kunst«: Manfred Gruber, mit Daniel Brühl (Sebastian Zöllner), Jesper Christensen (Manuel Kaminski), Amira Casar (Miriam Kaminski), Jördis Triebel (Elke), Geraldine Chaplin (Therese Lessing), Denis Lavant (Karl Ludwig), Jacques Herlin (Dominik Silva), Jan Decleir (Holm), Karin Pfammatter (Pensionsbesitzerin), Andrea Zogg (Dr. Vögeli), Josef Hader (Zugbegleiter), Karl Markovicz (Komponistenzwilling), Thomas Wendrich (Komponistenzwilling, Vikar 2), Milan Peschel (Eugen Manz), Patrick Bauchau (Prof. Megelbach), Tambet Tuisk (Junger Kaminski), Dorothea Gebhardt (Junge Therese), 120 Min., Kinostart: 17. September 2015
Es wirkt so, als wolle Wolfgang Becker, der in den vorangegangenen zwanzig Jahren nur bei zwei Kinospielfilmen Regie führte (1997: Das Leben ist eine Baustelle; 2003: Good Bye, Lenin!), dafür in seinem neuen Film Ich und Kaminski mal alle Register der Inszenierungsmöglichkeiten ausschöpfen: Wie Citizen Kane beginnt der Film mit einem (irgendwie in Schwarzweiß anachronistisch wirkenden) »Newsreel«, das gleich zu Beginn den Tod des Titelhelden verkündet (»Last night Manuel Kaminski died«), um dann in Fake-Doku-Schnipseln à la Zelig den fiktiven Maler in ein vor name dropping nur so strotzendes Geflecht einzubauen. Natürlich verkehrte Kaminski mit Jean Cocteau und Andy Warhol, verkaufte sein erstes Bild an Pablo Picasso, der über ihn sagte, er sei »der einzige Künstler der Moderne, der nicht von ihm (also Picasso) beeinflusst sei«. Dafür ließ sich Kaminski kopieren von niederen Künstlern wie Alfred Hitchcock oder Bob Dylan und taucht in Fotos mit den Beatles oder Muhammad Ali auf. Nicht nur die Figur ist eine Legende, Becker inszeniert sie auch so, bis er dann – ebenfalls ganz wie in Citizen Kane – einen Journalisten auf der Recherche begleitet (allerdings zeitlich vor dem Tod), um das Geheimnis des Künstlers zu entschlüsseln. Und um klar zu machen, wie sehr man mit dem Medium spielt, gibt es auch recht früh eine Vorschau auf dieses moderne »Rosebud«: »Am Ende ist die Wahrheit das Banalste«.
Bildmaterial © X-Verleih
Der zunächst in vielerlei Hinsicht unangenehme Möchtegern-Sachbuch-Bestseller-Autor Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) hat sich den Verlauf des Films schon ziemlich genau »ausgemalt«. Im achten Kapitel seiner epochalen Monographie über Kaminski (die ersten sieben Kapitel sind schon geschrieben) wird er offenbaren, dass die Blindheit, die den Maler einst berühmt machte, nur vorgespielt wurde. Dazu braucht Zöllner nur in die Schweiz reisen, den Künstler interviewen, dabei etwas zu manipulieren, am günstigsten wäre es dann, wenn Kaminski zeitnah zum Veröffentlichungstermin verstirbt (und man traut dem Kerl auch diesen möglichen Mord schnell zu) – und schon verwandelt sich Zöllners Größenwahnsinn in ein Happy End, nach dem er endlich die Vormachtstellung des anderen großen Kunstautors Golo Moser (»schreibt nur durchkonfektionierte Scheiße«) übernimmt.
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Wie Helmut Dietl auf Speed macht Becker den gesamten Kunstbetrieb lächerlich, schreckt auch nicht vor Sparwitzen und Schwulenfeindlichkeit zurück – und anfänglich ist das Tempo seines magnum opus wahrlich schwindelerregend. Nur, um später dieses Tempo einzufrieren und dem Film eine neue Gangart zu verschaffen, wobei aus dem visuell und anderweitig unzurechnungsfähigen Zöllner ganz sachte ein echter Mensch wird, quasi der Mönchslehrling, der seinem großen Guru folgt, bis er die Erleuchtung erlangt. Währenddessen gibt sich Becker reichlich Mühe, der Romanvorlage nicht nur gerecht zu werden, sondern sie in visueller Opulenz und mit vielen inszenatorischen Ideen zu einem kleinen filmischen Meisterwerk zu machen.
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Dabei schießt der Regisseur aber mehrfach über sein Ziel heraus: ein uncharakteristisch grimassierender Brühl kommentiert mit Onelinern aus dem Off die leichte Schizophrenie seiner Figur, man schwelgt in kleinen Halluzinationen, in denen der unwirsche Schaffner (Josef Hader nach Der Bau erneut als Cameo-Opfer) umgebracht wird oder andere Komparsen, die das vermeintliche Genie des eitlen Schreiberlings nicht zu würdigen wissen, gleich vor ein historisches Erschießungskommando gestellt werden. Dass das Ganze eine Komödie ist, wird durch den aufdringlichen Soundtrack über Gebühr verdeutlicht, Becker kleckert nicht, er klotzt: mit angeberischen Kranfahrten, teuren Animationen und diversen internationalen Stars wie Jesper Christensen (mit zu hübschem Altersmakeup), Denis Lavant und Geraldine Chaplin, die aber in einem sprachlich sehr international gehaltenen Film allesamt vor allem deutsch sprechen (und einzig Christensen nimmt man ab, dass er zumindest die Lippenbewegungen hinbekommen hat, obwohl auch er nachsynchronisiert wirkt). Überkandidelt und von sich selbst überzeugt wie Zemeckis bei Forrest Gump (man beachte die aufgeplusterte Zwillings-Szene) erlaubt sich Becker auch einige Schludrigkeiten, den unnötigen Greenscreeneinsatz etwa, chargierenden Nebendarsteller (sorry, Amira Casar!) oder eine handwerklich nicht komplett überzeugende Montage (obwohl die ja auch nichts herzaubern kann, was der große Zampano nicht gedreht hat). Das wird dann kaschiert durch immer wieder eingestreute Staunmomente, von denen derjenige, der mir persönlich im Gedächtnis bleiben wird, der Abspann ist, eine amüsante Kaffeefahrt durch die Kunstgeschichte, bei der jeder Sparte des Filmemachens ein passendes Pendant (von Dada bis Magritte) zugeordnet wird. Und Wolfgang Becker nicht weniger als eine Hopper-Figur im Nighthawks-Ambiente ist, mit »Cinema«-Schriftzug im Hintergrund, und – billiger machen wir's nicht – einer zerfließenden Dali-Uhr. Das zeugt im großen Maße davon, was für einen Film Becker drehen wollte. Es ist ihm nicht ganz gelungen (auch wegen Finanzierungsproblemen), aber in diesem Fall gibt es schon für Ambition und Chuzpe eine Auszeichnung. Lieber in der Champions League ins Stolpern kommen als immer nur in der Regionalliga auf der Ersatzbank sitzen. Was einen Großteil seiner deutschen Kollegen passend umschreibt.
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Ach ja: und der obligatorische Auftritt des mannsgroßen Vogelkostüms aus Baustelle fehlt auch nicht. Habe nur beim Abspann übersehen, ob wieder Jürgen Vogel drin gesteckt haben soll.